Der fließende Übergang zwischen Partei und Bayerischer Staatsregierung – Machtressource Staatskanzlei

Michael Weigl

75 Jahre CSU, 72 Jahre Regierungsbeteiligung in Bayern, 71 Jahre christlich-soziale Minister­präsidenten im Freistaat – dass bei einer solchen Bilanz, die ihresgleichen sucht, schon mal etwas durcheinanderkommen kann, ist verständlich. Partei und bayerische Staatsregierung scheinen eins, naturwüchsig und deshalb untrennbar miteinander verwachsen. Tatsächlich aber liegen die Dinge komplizierter.

Distanzgebot zwischen Regierung und Partei

Zunächst gelten auch für Bayern die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG 44, 125 v. 02.03.1977) formulierten Grundsätze der parteipolitischen Neutralität von Regierungen. Auch der bayerischen Staatsregierung ist es demnach untersagt, „sich in amtlicher Funktion im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie unter Einsatz staatlicher Mittel zu unterstützen oder zu bekämpfen“. Weitergehend dient die bayerische Ministerialbürokratie – wie alle anderen Beamtinnen und Beamte – „dem ganzen Volk, nicht einer Partei“ (§ 33 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Dieses Distanzgebot zwischen Regierung und Partei ist im Freistaat nicht nur rechtliche Bestimmung, sie zählt auch zum Selbstverständnis einer Ministerialbürokratie, die – anders, als in anderen Ländern oder im Bund – keine politischen Beamten kennt, sondern nur Staatssekretäre mit Kabinettsrang (Art 43 Abs. 2 BV; Art 51 Abs. 2 BV).

Obwohl die CSU jahrzehntelang alleine zu regieren verstand, ist sich die bayerische Ministerialbürokratie immer ihrer Unabhängigkeit bewusst gewesen. Sie war und ist niemals willfähriges parteipolitisches Instrument gewesen. Nichtsdestotrotz stellt die geballte Kompetenz und Schlagkraft von Ministerien in Bayern wie andernorts eine wesentliche Machtressource von Parteien dar. Der Zugriff auf Ministerien ermöglicht die Ausarbeitung von Lösungsvorschlägen für komplexe Probleme, die einen juristisch fundierten Sachverstand benötigen, der in den Parteizentralen niemals versammelt werden kann. Außerdem erlangt eine Partei durch die Besetzung eines Regierungsamtes Zugriff auf die vielfältigen institutionalisierten Netzwerke einer Behörde zu gesellschaftlichen Akteuren, die wiederum in dieser Dichte und Qualität niemals von der Partei selbst aufgebaut und gepflegt werden könnten.

Die Nähe von Partei und bayerischer Staatsregierung ist so als eine der zentralen Gründe der Erfolgsgeschichte CSU zu identifizieren. Doch auch wenn die Partei wesentlich von diesem, aus ihrer Dominanz im bayerischen Parteiensystem resultierenden Umstand profitiert: Ein Automatismus der Hoheit von Ministerpräsident und CSU-Staatsministern in innerparteilichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen folgt hieraus noch nicht. Wie groß die Nähe von CSU-geführter Staatsregierung und Partei tatsächlich ist, hängt stattdessen davon ab, wer im komplexen innerparteilichen Machtgeflecht gerade die besseren Karten hat.

Zentren der Macht

In der deutschen Parteiendemokratie sind die politischen Parteien viel zu selbstbewusst, organisatorisch ausgebaut und pluralistisch, als dass sie sich ihren Kurs von einer – wenn auch selbst geführten – Regierung „diktieren“ lassen würden. In der CSU sind es vor allem vier Machtzentren, die traditionell um innerparteilichen Einfluss ringen: die Münchner CSU-Landesleitung, die CSU-Landesgruppe in Berlin, die bayerische Landtagsfraktion und die bayerische Staatregierung. Alle vier sind nicht nur fortwährend und institutionell abgesichert in innerparteiliche Entscheidungsprozesse eingebunden, sie besitzen auch die nötigen Ressourcen, gegebenenfalls Mehrheiten für ihre Interessen organisieren zu können. Wer in der CSU mächtig sein will, muss folglich diese Machtzentren für sich gewinnen – je mehr, desto besser. Die CSU-Europagruppe fällt es dagegen bis heute schwer, mit diesen traditionellen Machtzentren mitzuhalten. Zwar hat auch sie kontinuierlich an Einfluss in der Partei gewonnen. Noch aber reicht die „Hausmacht“ Europa allein nicht aus, den Kurs der Partei wesentlich mitzubestimmen.

Machtressource Ministerpräsidentenamt

Indem das Kanzleramt im Normalfall außer Reichweite ist, stellt das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten das höchste Staatsamt dar, das die CSU erringen kann. Indem es Autorität, (mediale) Sichtbarkeit, Gefolgschaft und staatspolitische Gestaltungsmacht verspricht, kommt ihm eine außerordentliche innerparteiliche Autorität zu. Vor allem das mit dem Ministerpräsidentenamt verbundene Band zur Landtagsfraktion ist hierbei bedeutungsvoll. Mit der in parlamentarischen Systemen üblichen Handlungseinheit aus Staatsregierung und Landtagsfraktion ist es einem Ministerpräsidenten möglich, ein Loyalitätsband zur „Herzkammer“ der Partei zu schmieden, an dem in innerparteilichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen kaum ein Weg vorbeiführt. Die Führung der bayerischen Staatsregierung ist so eine der zentralen Machtressourcen der Partei. Gleichwohl ist auch sie nicht unbegrenzt.

Ein Ministerpräsident kann nur selten schalten und walten, wie er will. Nicht nur können starke Ministerinnen und Minister mit Unterstützung durch Teile der Partei – beispielsweise einem der CSU-Bezirksverbände – ihm manchen Strich durch die Rechnung machen. Auch ergibt sich die CSU-Landtagsfraktion keinesfalls willenlos dem Willen des Ministerpräsidenten. Prägende Fraktionsvorsitzende wie Ludwig Huber (1962-1972), August „Gustl“ Lang (1974-1982) oder Alois Glück (1988-2003) verstanden es durchaus, Fraktionsinteressen gegenüber der Staatsregierung zur Geltung zu bringen. Auch die Landtagsfraktion will von einem Ministerpräsidenten erst einmal „erobert“ werden. Schließlich werden die anderen Machtzentren der Partei – Landesleitung und Landesgruppe – nicht widerstandslos ihre eigenen Machtansprüche aufgeben.

Personalunion als Machtabsicherung

Erste Wahl zur Absicherung der Macht eines Ministerpräsidenten ist die Übernahme auch des Parteivorsitzes. Gelingt die Realisierung einer solchen Personalunion der wichtigsten Ämter im CSU-Universum wie unter Franz Josef Strauß oder Edmund Stoiber, können bayerische Staatregierung, Landtagsfraktion und CSU-Landesleitung zu einem Kosmos der Macht verschmelzen, gegen den die CSU-Landesgruppe als viertes Machtzentrum nur noch wenig ausrichten kann. In Realisierung des Anspruches der CSU, nicht nur Regionalpartei, sondern zugleich machtvoll gestaltende Bundespartei zu sein, kommt dem Parteivorsitzenden traditionell die Aufgabe zu, sichtbar für die Interessen der Partei im Bund zu streiten, beispielsweise im Bundesrat oder im Koalitionsausschuss. Ein Ministerpräsident, der zugleich Parteivorsitzender ist, besitzt demnach Zugriff nicht nur auf die Machtzentren Staatregierung, Landtagsfraktion und CSU-Landesleitung. Er ist auch das Gesicht der Partei in der Bundespolitik.

Alternative Doppelspitze

In Zeiten einer Personalunion verschwimmen die Grenzen zwischen Partei und Regierung. Dies kann so weit führen, dass sogar das strategische Zentrum der CSU aus der Landesleitung in die Staatskanzlei verlegt wird. Unter einer Doppelspitze ist die Landesleitung dagegen Hoheitsgebiet des Parteivorsitzenden und in dieser Funktion parteiinterner Vetospieler gegen allzu große Machtansprüche der bayerischen Staatsregierung. Dass auch eine solche Konstellation funktionieren kann, haben die Jahre der Doppelspitze Franz Josef Strauß und Alfons Goppel nachdrücklich gezeigt. Voraussetzung aber ist, dass sich die Protagonisten ihrer Rolle getreu als bundespolitisches Kraftpaket einerseits und Landesvater andererseits verhalten. Was passiert, wenn dies nicht der Fall ist, demonstrierten nicht zuletzt die Jahre 1993 bis 1998, als Ministerpräsident Edmund Stoiber in die Bundespolitik ausgriff – und damit den eigenen CSU-Parteivorsitzenden, Bundesfinanzminister Theo Waigel, schwächte.

Ist unter einer Doppelspitze die Trennung von Partei und Regierung offensichtlich, hat in Zeiten einer Personalunion der Ministerpräsident und Parteivorsitzende alle Ressourcen in der Hand, seinen parteilichen Führungsanspruch auch tatsächlich durchzusetzen. Für ihn kämpfen aber muss er trotzdem. Nur wenn die übergeordneten Ziele – der Gewinn von Wahlen und Ämtern – erreicht werden, kann er sich seiner Macht sicher sein. Werden diese Ziele nicht erreicht, hat sich die CSU noch nie zimperlich dabei gezeigt, ihre Spitze auszutauschen.