Die CSU – Eine aufsässige Schwester?

Andreas Burtscheidt

Die Frage, weshalb es zwei christdemokratische Parteien in Deutschland gibt, von denen eine sich nur in Bayern organisiert, aber in Partnerschaft mit der größeren Schwesterpartei auch bundes­politisch agiert und mit dieser in einem „Verhältnis konkurrierender Kooperation“ (Heinrich Oberreuter) steht, deckt eine Traditionslinie auf, die über die unmittelbare Nachkriegszeit nach 1945 hinausweist.

Anknüpfung an eine Weimarer Traditionslinie

Aus den negativen Erfahrungen gerade beim Untergang der Weimarer Republik heraus wagten christliche Demokraten nach 1945 endlich den Aufbruch, die konfessionellen Grenzen vergangener Jahrzehnte zu überwinden und ein überkonfessionelles Sammelbecken aller Christdemokraten zu schaffen, was seit Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder nicht gelungen war. Die beiden Schwesterparteien CDU und CSU sind nach 1945 aber bewusst nicht die direkten Nachfolgeparteien der einzig auf katholische Christen hin orientierten Deutschen Zentrumspartei (Zentrum) und der ebenso rein katholischen Bayerischen Volkspartei (BVP) gewesen, an deren Wurzeln sie nur in bestimmten Punkten anknüpften, doch eine markante Kontinuität wiederholte sich nach dem Zweiten Weltkrieg augenscheinlich: Schon die Zentrumspartei hatte 1918 ihren bayerischen Flügel verloren, der fortan in der BVP aufging und anders als die im übrigen Deutschen Reich auftretende Zentrumspartei den Föderalismus über den Einheitsstaat stellte und infolgedessen wesentlich stärker bayerische Sonderinteressen betonen konnte.

Ehe nach 1945 erste zentrale Parteistrukturen der neuen christdemokratischen Bewegung auf Landes- und erst später auf Bundesebene geschaffen wurden, fand sich die Idee einer umfassender gedachten Christdemokratie zuerst auf lokaler und regionaler Ebene wieder. Viele der einstmals führenden Politiker von Zentrum und BVP spielten in dieser Gründungsphase wieder eine tragende Rolle, etwa der ehemalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer (1876-1967) vom Zentrum oder der letzte BVP-Vorsitzende Fritz Schäffer (1888-1967, 1929-1933 BVP-Vorsitzender) und Alois Hundhammer (1900-1974), ein bekennender königstreuer bayerischer Patriot mit einem klaren Bekenntnis zum Föderalismus und ein Vorkämpfer für bayerische Eigenstaatlichkeit.

Gründung der Bundes-CDU erst 1950 – CSU bleibt eigenständig

Als sich schließlich 15 Landesverbände der Christlich Demokratischen Union gebildet hatten, sich aber erst 1950 in Goslar zu einer Bundespartei zusammenschlossen, blieb die Christlich Soziale Union in Bayern als Landesverband eigenständig, mit dem Anspruch nicht nur regional, sondern auch bundespolitisch zu wirken, um so abermals besser bayerischen Sonderinteressen Gehör zu verschaffen, woraus sie insgesamt ihre Stärke zu ziehen vermag. Für die Christlich Soziale Union in Bayern stand schon seit 1948 die Preisgabe ihrer organisatorischen Selbständigkeit nicht mehr zur Debatte. Bereits 1949 hatten für Bayern maßgeblich die Vertreter der CSU im Parlamentarischen Rat in Bonn gegen die Verabschiedung des Grundgesetzes gestimmt, da sie die föderalen Elemente in dem neuen Staat nicht genügend gestärkt sahen.

Unions-Schwesterparteien in „konkurrierender Kooperation“ vereint

Die beiden als Schwesterparteien titulierten Unionsparteien bleiben fortan zwei eigenständige Organisationen, finanziell, organisatorisch und programmatisch rechtlich völlig getrennt. Die CSU verzichtet auf Wahlteilnahmen außerhalb Bayerns, die CDU wiederum verzichtet in Bayern auf eine Teilnahme – auch dies eine Lehre aus der Weimarer Zeit, als sich etwa in der damals noch zu Bayern gehörenden Pfalz Zentrum und BVP heftige Wahlkampfauseinandersetzungen lieferten und sich gegenseitig Stimmen wegnahmen.

Darüber hinaus gibt es aber viele Gemeinsamkeiten: Bislang haben sich beide Parteien seit 1949 immer auf einen gemeinsamen Kanzlerkandidaten/in bei Bundestagswahlen geeinigt, zweimal 1980 (Franz-Josef Strauß) und 2002 (Edmund Stoiber) auf Politiker der CSU. In der Regel gab es auch ein gemeinsames Wahlprogramm beider Parteien. Durch ein eigenes Wahlprogramm kann die CSU aber ggf. ihre Unabhängigkeit betonen, vor allem, wenn es personelle oder programmatische Meinungsverschiedenheiten mit der CDU gibt (wie etwa im Zuge der Flüchtlingskrise 2015). In Organen auf Bundesebene bzw. auf europäischer Ebene treten die Parteien stets gemeinsam auf. Im Bundestag bilden CDU und CSU zusammen eine Fraktion. Innerhalb der Fraktions­gemeinschaft genießt die CSU-Landesgruppe erst in Bonn und ab 1999 in Berlin – eines ihrer Machtzentren neben Landtagsfraktion, Landesleitung und Staatsregierung in München – einen Sonderstatus, der Sichtbarkeit, bayerische Interessenvertretung und strategisch-operative Eigenständigkeit ermöglicht. Im Europäischen Parlament bilden beide Unionsparteien zusammen eine CDU/CSU-Gruppe in der EVP-Fraktion. CDU und CSU führen gemeinsam Koalitionsverhandlungen und beteiligen sich nach wie vor gemeinsam an Bundesregierungen. Auch haben sie gemeinsame Bundesorganisationen wie etwa die Junge Union. Das Verhältnis von CDU und CSU war aber nie frei von Störungen und Unstimmigkeiten.

Im Zuge der Idee einer Vierten Partei (bis in die frühen achtziger Jahre prägten maßgeblich Union gemeinsam, SPD und FDP die Geschicke der Bundesrepublik) gründeten sich Mitte der 1970er-Jahre so genannte CSU-Freundeskreise außerhalb Bayerns, die bei einem Beschluss, die CSU als Vierte Partei auf die gesamte Bundesrepublik auszudehnen, schnell lokale Verbände hätten aufbauen können. Nach der von CDU und CSU knapp verlorenen Bundestagswahl 1976 fand die Konfrontation ihren Höhepunkt im letztendlich nicht ausgeführten Kreuther Trennungsbeschluss. Nach der Wahlniederlage von Franz Josef Strauß bei der Bundestagswahl 1980 und dem Regierungswechsel 1982 wurde die Idee der Vierten Partei endgültig fallen gelassen, da der Machtwechsel durch die Zusammenarbeit mit der FDP möglich geworden war und die Freundeskreise lösten sich größtenteils auf.

Literatur

Frank Decker für Bundeszentrale für politische Bildung: Etappen der Parteigeschichte der CSU, 2017 (abgerufen am 01.1.2020).

Alf Mintzel, Die CSU. Anatomie einer konservativen Partei 1945-1972, Opladen 1975.

Alf Mintzel: Geschichte der CSU. Ein Überblick, Opladen 1977.

Heinrich Oberreuter, Christlich-Soziale Union (CSU), II. Politische Positionen, Version 22.10.2019, 17:30 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Christlich-Soziale_Union_(CSU) (abgerufen: 01.01.2020).

Thomas Schlemmer, Die aufsässige Schwester. Forschungen und Quellen zur Geschichte der Christlich-Sozialen Union 1945-1976, in: Historisch-Politische Mitteilungen 6/1999, S. 287-324.