„Laptop und Lederhose“ – Nur ein Slogan?

Thomas Helmensdorfer

Stefan R. ärgert sich und ist sauer. Ziemlich ärgerlich und sehr sauer. Da ist er in eine Erdgeschoßwohnung in ein Mehrfamilienhaus in München-Schwabing eingezogen und hat erfahren, dass sich im dritten Stock des Hauses eine Werbeagentur eingerichtet hat. Nicht irgendeine Agentur, sondern ein Unternehmen, das sich auf politische Werbung spezialisierte: Team '70. Und vor allem und besonders für die CSU arbeitet. Ein Skandal für Stefan R. Und so verziert er seine Wohnungstür in Zeiten von Landtags-, Bundestags- oder Europawahlkämpfen mit Anti-­CSU-Buttons aller Ausführungen. Und die Mitarbeiter von Team '70 inklusive ihrer Chefs müssen, soweit sie die Treppe in das obere Stockwerk nehmen, daran vorbeigehen (der einzige Ausweg ist die Fahrt mit dem Lift von der Tiefgarage in das Büro).

Wahlslogans mit Prägekraft

Politische Wahlkämpfe bringen, um eine hohe und breit gestreute Reichweite und Aufmerksamkeit bei den Wahlberechtigten zu erlangen, naturgemäß eine hohe Produktion von Werbe­materialien mit sich. Nicht nur die Kandidaten bei Kommunal- und Landtagswahlen wollen ihre Botschaften („messages“) möglichst intensiv der Bevölkerung nahebringen, auch die Partei selbst – als zentrale Wahlkampforganisation – ist bemüht, ihre politischen Anliegen der Öffentlichkeit näherzubringen. Eine wichtige Klammer aller Materialien, inhaltlich und visuell, bildet der Slogan. Bei allen Vorbereitungen für einen neuen Wahlkampf stand die Ausformulierung dieses „Claims“ bei der CSU in den 1970er- bis 90er-Jahren immer im Vordergrund aller Aktivitäten. Der Grund dafür ist einfach zu erklären: So wie die CSU traditionell seit Beginn der 1970er-Jahre „Löwe & Raute“ als ihr unverwechselbares Markenzeichen einsetzte, dazu die Farben Grün und Blau, so spiegelte sich der zu findende Claim durchgängig in allen Werbemitteln wider. Und immer möglichst nahe am „Zeitgeist“. Das reicht von der „liebens- und lebenswerten Heimat“ über das „Wir in Bayern“ bis hin zum „Freiheit oder Sozialismus“. Sowohl der Spitzenkandidat, also immer der Minister­präsident, als auch der Landtags- oder Bundestagskandidat mussten mit der Aussagekraft und der bayerischen Identität des Slogans verbunden werden können.

Sicher, nur eine Fußnote in der Geschichte der Wahlwerbung, aber für die verantwortlichen Agenturmanager besteht eine bedeutsame Unterscheidung zwischen der Werbung wirtschaftstreibender Unternehmen und der politischen Werbung: Es darf sozusagen hemmungslos kopiert werden. Gesetze über unlauteren Wettbewerb, sieht man von den einschlägigen strafrechtlichen Vorschriften einmal ab, existieren nicht in der politischen Öffentlichkeitsarbeit der Parteien. Der für seine Aphorismen schon oft bemühte Johann Wolfgang von Goethe formulierte es eleganter: „Alles Gescheite ist schon gedacht worden, man muss nur versuchen, es noch einmal zu denken.“

So war es keine beabsichtigte Strategie der CSU oder von Team '70, dass die Tourismuswerbung und auch werbetreibende Unternehmen sich Elemente aus der weiß-blauen Politwerbung herausgriffen oder adaptierten. Im Gegenteil. Diese Wiederholungen stärkten auf ihre eigene Art im Gegenzug die Identifikation der CSU mit und in Bayern und profilierten die CSU als bayerische „Staatspartei“. Ein Umstand, der in Jahren mit hohen Wahlergebnissen für die Christlich Soziale Union sogar dazu führte, dass in der Vorlaufzeit zum Wahltag die Hinweise zur Briefwahl in der parteieigenen Werbung zurückgestellt wurden.

Wie kam der Löwe aus dem Staatswappen ins Partei-Logo?

Anfangs der 1970er-Jahre, Team '70 hatte schon einige Designelemente für das visuelle Auftreten einer „frischeren“ CSU vorgelegt, kam die Anfrage nach einem Logo, einer Bildmarke, für die Partei. Bis dahin gab es kein einheitliches Erscheinungsbild („corporate design, campaign design“), denn die Christlich-Soziale Union pflegte aufgrund ihrer starken Verbundenheit mit den Regionen und verschiedenen „Stämmen“ in Bayern (Franken, Schwaben, Oberpfalz, Ober- und Niederbayern) auch deren Eigenarten in Wahlkämpfen. Team '70 präsentierte nun die Farbkombination „Blau“ und „Grün“ als Kennzeichen und entwickelte „Löwe & Raute“ aus dem bayerischen Staatswappen. „Löwe & Raute“ wurden in den nachfolgenden Jahrzehnten konsequent in allen Wahlkämpfen und Arbeiten der CSU-Öffentlichkeitsabteilung eingesetzt und im Zeitverlauf, wie auch das Signet „CSU“, nur leicht modifiziert. Auch hierin spiegelte sich die Beständigkeit der Partei im Freistaat Bayern wider.

Wahlkampfmagazine „enthüllen“ eine Partei und ein Land

Ohne Übertreibung lässt sich, auch nachdem viele Jahrzehnte vergangen sind, feststellen, dass mit einer sehr besonderen „Schriftenreihe“ der CSU ein „Blattschuss“ in der politischen Werbelandschaft gelang: die „Enthüllungen“. Geboren aus der Idee, dass man den Wählerinnen und Wählern in den Sommermonaten 1974, also vor der Landtagswahl in Bayern, eine politische Information bieten möchte, die zu allerletzt politisch aufgemacht ist, aber indirekt sehr wohl politische Inhalte, neudeutsch content, liefert. Was kompliziert klingt, ist einfach gelöst: Kaum jemand interessiert sich in den Sommermonaten für Wahlkampf oder politische Werbung. Aber wenn die politischen Themen so griffig und unterhaltsam verpackt werden, dass man sie gerne liest, besser noch im Freundeskreis darüber spricht, dann ist das Ziel der kommunikativen Anstrengungen maximal erreicht.

Und so entstand die Serie mit den „Enthüllungen“: „Enthüllungen über eine mögliche Zukunft“, „Enthüllungen über eine Partei“, „Enthüllungen über einen Freistaat“. Und das von der CSU, der Partei mit dem Honoratioren-Image, der Verkörperung des ländlich-biederen Stils, meilenweit entfernt von einem „sophisticated“ Profil. Es muss daran erinnert werden, dass in Sachen „politischer Humor“ traditionell die bekennende „linke Seite“ bei Künstlern die Spitzenplätze im Kulturbetrieb besetzten. Kabaretts wie die „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“, die „Stachelschweine aus Berlin“ oder das „Kom(m)ödchen“ aus Düsseldorf ritten eigentlich die originären politisch-satirischen Attacken. In diesem Zusammenhang lieferten die „Enthüllungen“ der CSU genügend Diskussionsstoff in der Medienlandschaft. Und  – offen gestanden: Team '70 erhielt nicht nur freie Hand bei der inhaltlichen Gestaltung der Broschüren, die damaligen Führungspitze der CSU bekannte sich voll und ganz zu den Publikationen. Es kam einige Jahre später nur bei einer Ausgabe von Löwe & Raute zu einer Diskussion darüber, warum der damalige Finanzminister Max Streibl mit sichtbar ausgeprägter Bügelfalte in der Hose angelnd an einem Seeufer stand; Anmerkung: Team '70 fand kein anderes Motiv mit dem Minister in der Freizeit.

Aufgrund des großen Erfolgs der „Enthüllungen“ startete 1976 das „Sommer-Magazin“, das in hoher Auflage verteilt, größere und kleinere Geschichten und Episoden aus dem Freistaat Bayern präsentierte. Das Magazin „Löwe & Raute“, es erschien 1978 bis 1994 insbesondere in Wahlkampfjahren, setzte die Reihe fort. Es stellte CSU-Politik eher frisch und frei dar, mehr Infotainment als politische Belehrung, und wurde in Millionenauflage im Freistaat verteilt. Ein Leser, der offensichtlich vom Fach war („die „L & R“ ist ganz offensichtlich eine Meisterleistung. Ich selber wurzele tief in der Werbung und sehe die Schrift also auch unter diesem Aspekt“) schrieb an die CSU-Landesleitung: „so gesehen haben Sie einen unglaublichen Treffer erzielt. Selbst meine dickste linke Umgebung reicht das Ding herum und mault“ (Name und Adresse des Schreibers sind dem Autor bekannt).

Zwischen Anerkennung und Ablehnung: politische Werbung

Interessanterweise galten politische Kampagnen in den 1970er-Jahren bei den professionellen Topwerbern und -agenturen in Deutschland als unfein, amateurhaft, meilenweit von der Kreativität der Macher in den bunten Werbewelten in Hamburg, Düsseldorf oder Frankfurt entfernt. Auch die Arbeiten von Team '70 wurden manchmal mit unfeinen Kommentaren aus der Branche bedacht, einer der Höhepunkte war die direkte Beschimpfung der Agenturchefs („Vergleiche zur Propaganda im Dritten Reich“) bei einem Fachvortrag vor einer sich als elitär verstehenden berufsständischen Vereinigung. Diese Herabminderung der politischen Werbung hat sich seit den 1990er-Jahren glücklicherweise erheblich geändert und manche renommierte Agentur bemüht sich mittlerweile mit Verve (lt. Wikipedia „künstlerisch kreative Leichtigkeit“) um einen der millionenschweren Euro-Etats der Parteien.

Kann ein Bundespräsident zum Wahlkampfhelfer werden?

Anscheinend schon. In vielen Quellen wird dem damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog die Urheberschaft an dem Spruch „Laptop und Lederhose“ zugeschrieben. Angeblich hätte er diese Formulierung 1998 bei seiner Rede über Bayerns Wandel vom Agrar- zum Hightech-Standort verwendet. Sie war eher eine freundliche Skizzierung des „mia san mia“, aber nie ein Slogan für zentrale Wahlkampfelemente. Aber fest steht, er passt wie angegossen zum Image der CSU und wurde und wird in vielen Medien fleißig im Zusammenhang mit der Interpretation des CSU-Images verwendet. Mit einem Wort: Er hätte auch von Team '70 stammen können.

Sollte man die politische Öffentlichkeitsarbeit der CSU mit einem Satz kennzeichnen, dann konnte es kaum jemand treffender formulieren als Herbert Riehl-Heyse, politischer Reporter bei der „Süddeutschen Zeitung“, der einem Buch den Titel gab: „CSU  – Die Partei, die das schöne Bayern erfunden hat.“ Zum Ausklang dieser Anmerkungen über die Wahlkampfarbeit für die CSU sei noch einmal an den eingangs erwähnten „Protestierer“ Stefan R. erinnert, der gegen die Arbeit von Team '70 (und der CSU) in Wahlkampfzeiten mit vielen Aufklebern auf seiner Wohnungstür protestierte: Es war Stefan Rinser (1941-1994), der Sohn der Schriftstellerin Luise Rinser.