„Politik für eine neue Zeit“ – Die Entstehung der Unionsparteien

Andreas Burtscheidt

Die erschütternden Erfahrungen christlich motivierter Persönlichkeiten während der Diktatur des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkrieges, gemeinsames Wirken in Widerstandskreisen und erlittenes Leid während der Inhaftierungen in etlichen Gestapozellen, ließen die lange andauernden konfessionellen Grenzen und Gegensätze des 19. Jahrhunderts endlich überwinden. Nicht wenige Zentrumspolitiker hatten dies seit Beginn des 20. Jahrhunderts zumindest mit Blick auf die Öffnung der rein katholischen Zentrumspartei immer wieder ersehnt, doch kam ein Durchbruch vor 1933 nie zustande. Zu ihnen zählte etwa der christliche Gewerkschafter Adam Stegerwald (1874-1945) in Würzburg. Dessen direkte Aktivitäten nach Kriegende und kurz vor seinem Tod wirkten sich auf ganz Bayern aus.

Initiativen für eine interkonfessionell-christliche Partei nach 1945

Noch vor der Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 bildeten sich in Bayern auf lokal-­regionaler Ebene, z.B. in Würzburg, Bamberg, Regensburg und München, erste Zirkel konservativ-liberaler Persönlichkeiten, die den Wunsch nach einer neuen christlich-interkonfessionellen und sozialen Sammlungspartei zu ihrem erklärten Ziel machten. Angesichts des völligen Zusammenbruchs Deutschlands auf allen Ebenen sahen sie nur auf der Basis einer christlichen, sozialen, rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätzen verpflichteten Politik die Möglichkeit eines umfassenden Neuanfangs.

Diese Zusammenschlüsse geschahen aber nicht nur in Bayern, spontane und voneinander unabhängige Gründungsinitiativen fanden auch in Berlin, Köln, Frankfurt oder Hannover statt. Vor allem der Wille aller beteiligten Protagonisten zur Interkonfessionalität einer künftigen christlichen Partei war die wesentliche neue Errungenschaft in einer nach 1945 neu zu formierenden Parteienlandschaft – auch zu sehen als Gegengewicht zu den sozialistisch-kommunistischen Strömungen der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Mehrere Zirkel in Bayern

In diesem Geiste kam auch in München der sogenannte „Mittwochskreis“ zusammen, den der Rechtsanwalt Josef Müller (1898-1979, „Ochsensepp“) in Anlehnung an Stegerwalds Vorstellungen gezielt mit Blick auf eine Parteineugründung initiiert hatte. Dieser Münchner Gruppe gehörten etwa Karl Scharnagl (1881-1963), Joseph Baumgartner (1904-1964) und der damals 29-jährige Franz Josef Strauß (1915-1988) an. Nach einer ersten programmatischen Grundsatzschrift im August 1945 beschlossen die Mitglieder dieses Zirkels am 12. September 1945 den Namen „Bayerische Christlich-Soziale Union“ und legten mit der Bildung eines zehnköpfigen „Ausschusses zur Vorbereitung der Gründung einer Christlich-Sozialen Union“ den organisatorischen Grundstein für die neue Volkspartei. Am 11. Oktober 1945 wurde die Parteigründung lokal in München vollzogen, einen Tag später bereits in Coburg und tags darauf in Würzburg. Wenige Wochen danach wurde am 17. Dezember 1945 der Münchener Gründungsausschuss zum „vorläufigen Landesausschuss“ der CSU transformiert und Josef Müller übernahm den Vorsitz. Am 8. Januar 1946 gab auch die amerikanische Militärregierung in Bayern ihre Zustimmung zur Zulassung der CSU und noch am selben Tag fand die gesamtbayerische Gründungsversammlung statt. Erst ein knappes Jahr später, am 14. und 15. Dezember 1946, beschloss die zweite Landesversammlung das erste Grundsatzprogramm und bestätigte den bisher vorläufigen Parteivorsitzenden Josef Müller als nunmehr ersten CSU-Vorsitzenden in seinem Amt.

Vom Grundsatz her: christlich und sozial

In ihrem ersten Grundsatzprogramm bündelte die neu gegründete CSU ihren Politikansatz in erster Linie als Gegenentwurf zur entchristlichten Programmatik der Nationalsozialisten, deren völkische Ideologie als eine „Abwendung von der göttlichen Ordnung“ (Grundsatzprogramm 1946) am Ende eines längeren europäischen Säkularisierungsprozesses angesehen wurde. Dem entgegengestellt wurden nunmehr das christliche Sittengesetz, das Naturrecht, die christlich-abendländische Kultur sowie die christliche Soziallehre und -ethik. Die Rolle der Familie wurde besonders hervorgehoben. Ferner trat die neue Partei für das Subsidiaritätsprinzip ein, verfolgte einen stark ausgeprägten Föderalismus in Deutschland und wandte sich wirtschaftspolitisch gegen alle planwirtschaftlichen Bestrebungen aber auch gegen einen reinen Wirtschaftsliberalismus, für eine soziale Marktwirtschaft. Mittelstand und Landwirtschaft galt ein besonderes Augenmerk. Diese Punkte finden sich bis heute in allen Parteiprogrammen, beginnend mit den „Zehn Punkten der CSU“ vom 31.12.1945 und anschließend in den sieben Grundsatzprogrammen von 1946, 1957, 1968, 1976, 1993, 2007 und 2016.

CSU – bayerisch und eigenständig

Die CSU bildete 1946 einen bayerischen Landesverband der sich untergliedert in Orts-, Kreis-, Bezirksverbände. Die Bezirksverbände existieren in den sieben bayerischen Regierungsbezirken und in den drei Großstädten München, Augsburg und Nürnberg/Fürth. Als sich außerhalb Bayerns erst 1950 in Göttingen die mittlerweile 15 Landesverbände der Christlich Demokratischen Union (CDU) zu einer Bundespartei zusammenschlossen, war die bayerische Eigenständigkeit der CSU längst zementiert. Für die Christlich-Soziale Union in Bayern stand schon seit 1948 die Preisgabe ihrer organisatorischen Selbständigkeit nicht mehr zur Debatte und dies mit dem Anspruch nicht nur regional, sondern auch bundespolitisch zu wirken, um besser bayerischen Sonderinteressen Gehör zu verschaffen. Dies entsprach einer Traditionslinie, die vor allem die ehemaligen BVP-Mitglieder forcierten, da in ihren Reihen bis 1933 bereits ein besonderer Hort eines katholisch-königstreuen, bayerischen Patriotismus vorhanden war, der die bayerische Eigenständigkeit immer betont wissen wollte.

Hier spielt auch die Bayernpartei (nicht identisch mit der früheren Bayerischen Volkspartei) eine wichtige Rolle. Sie war eine weitere Parteienneugründung, die erst am 28. Oktober 1946 in München vollzogen wurde und im ersten Jahrzehnt nach Kriegsende zu einer starken Konkurrenz der CSU wurde. Da die amerikanische Militärregierung ihr erst spät die Lizenz erteilte, fand sich die BP erst im März 1948 auf Landesebene als Partei zusammen. Obwohl sie in ihren Reihen sowohl bayerische Separatisten, Konservative wie Monarchisten und auch enttäuschte CSU-Politiker wie Joseph Baumgartner sammelte, entstand sie zwar nicht als Abspaltung der CSU, machte dieser aber bis weit in die fünfziger Jahre das Leben schwer. In erster Linie forcierte die BP einen eigenständigen bayerischen Staat und sah sich infolgedessen auch als einzige wirklich bayerische Partei an.

In Verschiedenheit geeint

Was sich hier knapp zusammengefasst als eine harmonische und zielorientierte Genese einer jahrzehntelangen bayerischen Erfolgsstory der CSU liest, war aber intern schon in der Gründungsphase wesentlich umstritten. Die Gründungsjahre waren geprägt vom starken Ringen um die programmatische und organisatorische Ausrichtung der Partei. Dabei stand die liberale, gesamtdeutsch und christlich-interkonfessionell ausgerichtete Gruppe um Josef Müller den weitaus katholisch-konservativeren Mitgliedern aus der ehemaligen BVP wie Fritz Schäffer (1888-1967), Alois Hundhammer (1900-1974) oder dem ehemaligen BVP-Generalsekretär Anton Pfeiffer (1888-1957) gegenüber, die lieber an die Tradition der 1933 aufgelösten rein katholischen Bayerischen Volkspartei (BVP) anknüpfen wollten, betont föderalistische und partikularistische Positionen vertraten und sich in ihren gesellschaftspolitischen Vorstellungen eng an die römisch-katholische Lehre anlehnten. Dazwischen führte der um Michael Horlacher (1888-1957) gruppierte „Bauern(verbands)flügel“ der Partei ein weiteres Eigenleben, der zwischen den beiden anderen Gruppierungen zu verorten war. Horlacher war ebenfalls einer der Protagonisten der Parteigründung, von 1948-1951 stellvertretender Vorsitzender neben Josef Müller und bis zu seinem Wechsel in den Deutschen Bundestag 1950 bayerischer Landtagspräsident. Der Politik­wissenschaftler Alf Mintzel teilte die neu gegründete CSU in einen altbayerisch-katholisch-konservativen und einen fränkisch-liberalen, tendenziell protestantischen Flügel ein, eingebettet in drei historisch-gewachsene Parteibinnenstrukturen bzw. Traditionszonen – die der Altbayern, der Schwaben und der Franken.

Literatur

Winfried Becker, Ein bayerischer Sonderweg? Die Bayerische Volkspartei und die Republik von Weimar, in: Wolfram Pyta u. a. (Hrsg.), Die Herausforderung der Diktaturen. Katholizismus in Deutschland und Italien 1918-1943/45, Tübingen 2009, S. 39-63.

Oliver Braun, Konservative Existenz in der Moderne. Das politische Weltbild Alois Hundhammers (1900-1974) (Untersuchungen und Quellen zur Zeitgeschichte 7), München 2006. Ders., Christlich-Soziale Union (CSU), I. Geschichte, Version 22.10.2019, 17:30 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Christlich-Soziale_Union_(CSU) (abgerufen: 01.02.2020)

Alf Mintzel, Die CSU. Anatomie einer konservativen Partei 1945-1972, Opladen 1975; Ders., Geschichte der CSU. Ein Überblick, Opladen 1977.

Heinrich Oberreuter, Christlich-Soziale Union (CSU), II. Politische Positionen, Version 22.10.2019, 17:30 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Christlich-Soziale_Union_(CSU)
(abgerufen: 01.01.2020)