Von der Pressemitteilung zum Tweet – Kommunikation

Peter Hausmann

„Beim Wurstmachen und beim Politikmachen sollte man besser keinen zuschauen lassen.“ Dieser Satz wird Reichskanzler Otto von Bismarck zugeschrieben. Der „Eiserne Kanzler“ konnte nicht ahnen, wie und mit welcher Geschwindigkeit sich die Medienwelt an der Schwelle vom 20. zum 21. Jahrhundert verändern wird und wie sich Medien in einer offenen, demokratischen Gesellschaft entwickeln werden. Zu Bismarcks Zeiten gab es elektronische Medien nicht einmal im Ansatz. Erst sieben Jahre vor dem Ende seiner Amtszeit im Jahr 1890 erschien das erste Pressefoto in der Leipziger Wochenzeitung „Illustrirte Zeitung“. Fünf Jahre später, 1895, bauten die die Gebrüder Lumière den ersten „Cinematographen“. Von der Bilderflut heutiger Medien war man meilenweit entfernt und erst im Laufe des Ersten Weltkriegs befand die deutsche Generalität, dass bewegte Bilder als Instrument der Propaganda „dienlich“ sein könnten.

„Zeitung“ – das Mittel der Kommunikation

Wenn man so will, war das eine Art Einstieg in die politische Kommunikation mit dem Volk. Zwar gab es schon seit Mitte des 17. Jahrhunderts in Leipzig die erste Zeitung namens „Die Einkommenden Zeitungen“. Der Name mag verwirren, aber Zeitung war damals noch der Begriff für jede Art von Nachricht. Erst im 19. Jahrhundert nahm das Zeitungswesen, in dem Sinn wie wir es heute kennen, Fahrt auf. Die sogenannten Intelligenzblätter erschienen auf dem Markt. Die unruhigen Zeiten des Vormärz und der 1848er-Revolution brachten dann den Durchbruch für die Zeitungen mit politischer Berichterstattung. Siebzig Jahre später erlebten die Parteizeitungen ihre große Blüte. Ob „Rote Fahne“, „Vorwärts“ oder der „Bayerische Kurier“ die Zeitungslandschaft wurde bunt und politisch.

Zu Bismarcks Zeiten tickten Politik und Medien langsam – fast in beschaulicher Ruhe. Zwar wusste auch Bismarck, dass die gezielte Präsentation von Informationen elementare Bedeutung für das politische Geschäft hat. Aber der „Eiserne Kanzler“ wollte bestimmen, was kommuniziert wird und worüber Informationen an die Öffentlichkeit gelangen. Bismarck kannte seinen Machiavelli. Der italienische Machttheoretiker hatte schon an der Schwelle zum 16. Jahrhundert in seinem Werk „Il Principe“ den fundamentalen Grundsatz geprägt, wonach kein organisiertes Zusammenleben und Zusammenarbeiten von Menschen ohne den Austausch von Informationen erfolgreich bestehen kann. Nicolò Machiavellis These lautete: Ohne Informationsaustausch zwischen Regierenden und Regierten ist Machtausübung unmöglich. Ohne Kommunikation gibt es keine Legitimation und keinen Machterhalt. Die These gilt unverändert auch im Zeitalter offener und demokratisch verfasster Gesellschaften. Dort sogar umso mehr. Da die Politik in demokratischen Systemen in einem ständigen Wettbewerb von Ideen und Konzepten steht, haben die Medien dabei eine Schlüsselfunktion in der Kommunikation der Politiker mit den Wählerinnen und Wähler.

Der Faktor Geschwindigkeit

Der Faktor Geschwindigkeit hat dabei immer die Entwicklung der Medienarbeit von Parteien bestimmt. So auch bei der CSU. Sie konnte anfangs, wie andere Parteien auch, Art und Umfang der Kommunikation weitgehend selbst bestimmen. Dazu gehörte es auch, die Medien sogar von Tagungen auszuschließen, wie z.B. dem Parteiausschuss und den Kreuther Klausurtagungen, und sie mit „Presseverlautbarungen“ abzuspeisen. Das war auch Anfang der 1980er-Jahre noch oft der Stand der Medienarbeit. Die öffentlichen Auftritte der Spitzenpolitiker beschränkten sich auf Kundgebungen, Parlamentsdebatten und rare Pressekonferenzen. In dieser fast beschaulichen Zeit der 1950er- und 60er-Jahre floss der Nachrichtenstrom gemächlich. Selbst die „Tagesschau“, bis zur Gründung des ZDF 1961 die einzige Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen, erfüllte wegen der fehlenden technischen Übertragungswege und der relativ langen Zeit für das Entwickeln, Kopieren und den Schnitt der Filme nicht immer den eigenen Anspruch.

In der damaligen Bundeshauptstadt Bonn luden die wenigen beim Bundespresseamt akkreditierten „Parlamentsjournalisten“ zweimal in der Woche den Regierungssprecher ein, um mit ihm bei Kaffee und Mineralwasser die Lage zu diskutieren. Das war eine fast beschauliche Zeit, in der die Nachrichten gemächlich flossen. Aus diesem Treffen entstand die Institution der Bundespressekonferenz. Sie wird vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung mit der Gleichschaltung der Presse in der Nazi-Zeit vom Verein der Hauptstadtkorrespondenten dreimal in der Woche veranstaltet. Bis heute laden die Journalisten dazu ein.

Die Bundestagsfraktionen bedienten sich bald der Hintergrundgespräche als Mittel der Pressearbeit. Seit Fritz Zimmermans Zeiten als Vorsitzender der CSU-Landegruppe findet in den Sitzungswochen des Parlaments der bei Journalisten beliebte „weiß-blaue Stammtisch“ statt. Trotzdem war die Pressearbeit der Parteien in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik bei weitem nicht so herausfordernd und umfangreich wie heute. Die Pressemitteilungen wurden „per reitendem Boten“ in die Fächer der Journalisten der Bundes- und Landespressekonferenzen geliefert. Fernschreiber verbreiteten die Texte an die Nachrichtenagenturen. Den politischen Grundton beeinflussten sogenannte „Leitmedien“. Das waren die überregionalen Tageszeitungen und die Wochenmagazine „Stern“ und „Spiegel“.

Der Bayernkurier – die Stimme der CSU

Franz Josef Strauß war es, der versuchte, diese Situation zu beenden und der Stimme der CSU ein Sprachrohr zu geben. Am 3. Juni 1950 erschien die erste Ausgabe des „Bayernkurier“. Strauß, damals Generalsekretär der CSU, fungierte als Herausgeber und erster Chefredakteur des Blattes. Der Name lehnte sich an das historische Vorbild des „Bayerischen Kurier“ an. Die Zeitung wurde 1856 gegründet und entwickelte sich ab 1869 zu einer konservativen Wochenzeitung der damals gegründeten katholischen „Bayerischen Patriotenpartei“. Später wandte sich die Zeitung dem gemäßigt konservativem „Zentrum“ und ab 1918 der „Bayerischen Volkspartei“ zu.

Der Bayernkurier erfreute sich schon bald des regen Interesses der Politikredakteure anderer Medien – nicht zuletzt wegen der Symbiose seines Herausgebers Strauß mit dem legendären Chefredakteur Wilfried Scharnagl. Von dem der CSU-Vorsitzende einmal sagte: „Wilfried Scharnagl schreibt, was ich denke, und ich denke, was er schreibt.“ Nicht alle Nachfolger von Strauß rüsteten das Blatt mit diesem Alleinstellungsmerkmal aus. Schließlich teilte der Bayernkurier das Schicksal aller Parteizeitungen. Seit ihrem Auftreten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnten sie nicht annähernd die Auflagenzahlen der großen Tages- und Wochenzeitungen erreichen. Schließlich führten der wirtschaftliche Druck auf die Printprodukte mit sinkenden Auflagen und der Verlust von Anzeigen, die seit dem Ende der 1980er-Jahre mit den revolutionären Veränderungen der Medienlandschaft durch die Digitalisierung einhergingen, zum endgültigen Aus auch für diesen Monolithen in der Medienlandschaft.

Die „vierte Gewalt“ verändert das Tempo

Für die Pressearbeit begann mit der Digitalisierung eine völlig neue Ära. Je stärker sich die Medien als vierte Gewalt im Staat und als Immunsystem der Demokratie definierten, desto offener mussten die Parteien kommunizieren. Sie gestatteten den Blick hinter die geschlossenen Türen und stellten sich in regelmäßigen Pressekonferenzen den Fragen der Journalisten. Die Zeit der Verlautbarungen und Pressemitteilungen waren vorüber. Zu dieser Entwicklung trug die zunehmende Geschwindigkeit der Nachrichtenübertragung und der damit verbundene Wettstreit um Einschaltquoten seit den 1970er-Jahren maßgeblich bei. Neben ARD und ZDF wurden etliche öffentlich-rechtliche Regionalsender, bis dahin auf Bildungsprogramme wie das Telekolleg beschränkt, zu sogenannten Vollprogrammen mit Unterhaltung und Nachrichtensendungen ausgebaut.

Auch die privatrechtlichen Programmanbieter wie RTL und SAT 1 bauten neben dem starken Anteil von Unterhaltungssendungen und Serien ihre Nachrichten- und Informationsprogramme aus. Um schnell Marktanteile und damit Werbezeiten zu generieren, platzierten sie Morgen-, Mittags- und Nachtmagazine in Zeiten mit traditionell niedrigen Zuschauerzahlen. Damit zwangen sie die ARD und ZDF in einen Wettbewerb um die schnellste Nachricht. Gab es in den 1950er- und 60er-Jahren nur eine Nachrichtensendung am Tag, starteten die öffentlich-rechtlichen Sender ebenfalls mit Morgenmagazinen in den Tag, streuten zwischen ihren Hauptsendezeiten mittags, abends und am späten Abend Kurznachrichtensendungen ein und vollendeten mit den Nachtmagazinen den Nachrichtenfluss quasi rund um die Uhr.

Neue „Öffentlichkeiten“ und neue „Wahrheiten“ im World Wide Web

Mit „Social Media“ – Facebook, Twitter, Instagram, Youtube, Apps und Co. – legte der Nachrichtenfluss noch mehr Tempo zu. Das Auftauchen der „sozialen Medien“ ist das Ende der alten Öffentlichkeit mit ihren Leitmedien. Rein formal betrachtet könnte man davon sprechen, dass unsere Gesellschaft einen demokratischen Idealzustand erreicht hat. Jedermann steht ein Medium zur Verfügung, in dem er Beiträge zum politischen Diskurs abliefern kann. Er kann Richtiges und Falsches sowie auch Intelligentes und Blödes von sich geben. In den Weiten des Internets bilden sich immer stärker neue „Öffentlichkeiten“, in denen die Grenzen zwischen privat und öffentlich immer mehr verschwinden. Algorithmen, so genannte social bots – Computerprogramme, die automatisch Botschaften ins Internet senden – und Trolle sind in der Lage, mit ihrer oft verdrehten und falschen Darstellung von Fakten „neue Wahrheiten“ zu schaffen. Für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeiter der Parteien ist das die wohl größte Herausforderung seit dem Entstehen von regelmäßig erscheinenden Zeitungen vor fast zweihundert Jahren. Wie Kommunikationswissenschaftler herausgefunden haben, leiden aber alle Parteien gemeinsam unter einem Dilemma, das auch schon die Arbeit der Parteizeitungen begleitete. Ihren Botschaften werden von den Rezipienten wenig Glauben geschenkt. Nicht zuletzt deshalb hinken die Click- und Besucherzahlen der Webseiten von Parteien weit hinter denen anderer Informationsportalen her.