Was hat die CSU mit der Champions League zu tun?

Reinhard Meier-Walser

Er stehe zwar als Aktiver „nicht mehr auf dem Platz“, beobachte aber „das Spiel“ nach wie vor sehr aufmerksam und mache durchaus hin und wieder „mal einen Zwischenruf“, meinte Edmund Stoiber in „bajuwarischer Bescheidenheit“ im Interview mit dem „Donaukurier“ anlässlich seines 75. Geburtstages am 28. September 2016. Der frühere Bayerische Ministerpräsident und Vorsitzende der Christlich-Sozialen Union, dessen große Leidenschaft neben der Politik dem Fußball gehört und der eigenen Angaben zufolge schon „länger beim FC Bayern ist als bei der CSU“, bemüht gerne Metaphern aus der Welt des runden Leders zur Kennzeichnung von Merkmalen des politischen Wettbewerbs. So hätten, charakterisierte Stoiber rückblickend treffsicher die Analogien in der Entwicklung des FC Bayern und des Freistaates Bayern, beide den gleichen Weg eingeschlagen und „vom unteren Mittelplatz eine Topposition erreicht“. Dass er selbst maßgeblich als treibende Kraft in hoher politischer Verantwortung Bayern und die CSU in die Champions League führte, das attestieren dem CSU-Ehrenvorsitzenden nicht nur politische Freunde und Weggefährten, sondern auch einstige „Gegenspieler“ wie der frühere SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder. Vermutlich gerade weil dieser „auf dem Platz“ manch harte Auseinandersetzung mit seinem Kontrahenten von der CSU ausgetragen hatte, meinte er später voller Respekt, Stoiber sei „ein Vollblutpolitiker, wie es nur wenige in Deutschland gibt“.

„Vorstandsvorsitzender der Bayern AG“

Als Edmund Stoiber am 28. Mai 1993 zum Bayerischen Ministerpräsidenten gewählt wurde, war die CSU, deren Umfragewerte vor allem wegen der „Amigo-Affäre“ auf 38% gesunken waren, mit der bedrohlichen Perspektive konfrontiert, dass die rechtsradikalen Republikaner im darauffolgenden Jahr unter Umständen sogar zweistellig in den Bayerischen Landtag einziehen könnten. Der von Franz Josef Strauß geprägte und von Stoiber später oft zitierte Grundsatz christsozialer Strategie, demzufolge es rechts von der CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe, erfuhr in dieser Phase eine brisante Aktualität.

Bemerkenswerterweise gelang es Stoiber jedoch bereits binnen kurzer Zeit, eine Trendwende einzuleiten: Bei der Landtagswahl am 25. September 1994 konnte die CSU mit 52,8% der Stimmen nicht nur ihre absolute Mehrheit behaupten, sondern es gelang ihr auch, den Einzug der Republikaner ins Parlament zu verhindern. Die Rechtsaußen-Partei, die vier Jahre zuvor mit 4,9% fast den Einzug ins Maximilianeum geschafft hatte, landete nun mit 3,9% sogar deutlich abgeschlagen unter der 5-Prozent-Hürde.

Mit welcher Strategie und mit welchen Instrumenten gelang Stoiber, dem, so sein weithin bekanntes Image, „blonden Fallbeil“, dieser Erfolg? Schließlich war es kein einmaliger Sieg, sondern er bildete die solide Grundlage für eine nachhaltige Konsolidierung, wie das Landtagswahlergebnis von 52,9% für die CSU im September 1998 bestätigte. Fünf Jahre später konnte die CSU mit ihrem Spitzenkandidaten Edmund Stoiber, der im Januar 1999 auch den Parteivorsitz übernommen hatte, ihre Mehrheit sogar nochmals um 7,8% auf nunmehr 60,7% ausbauen. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte gelang es ihr damals, die Zweidrittelmehrheit der Landtagsmandate zu erreichen.

Planung als Grundlage erfolgreicher Politik

Stoibers Erfolge ruhten auf mehreren Säulen: Erstens auf zielgerichteter, rationaler Planung. Bereits als junger Landtagsabgeordneter hatte er in dem gemeinsam mit Kurt Faltlhauser herausgegebenen Sammelband „Politik aus Bayern“ für eine zielgerichtete Planung als Steuerungs­instrument komplexer politischer Prozesse geworben. Planung allerdings nicht im sozialistischen Sinne ideologisch geprägter „Planverbindlichkeit“, sondern im Sinne „offener Planung“, die das eigene Handeln ordne und bedeute, dass „durch den Planungsprozeß selbst die Ziele und Wege zu diesem Ziel ebenso offen gelegt werden, wie die Grundlagen, auf die man sich stützt“. Nicht die im Kontext unprofessioneller politischer Amtsführung oftmals bemühte Formel des „Durchwurstelns“ kennzeichnete mithin Stoibers Tätigkeit als, wie er sich als Ministerpräsident selbst sah, „erster Manager der Bayern AG“, sondern ein analog zu dem von der CSU geschaffenen differenzierten Bayerischen Landesplanungsgesetz entwickelter mehrstufiger Reformplan für Stoibers ambitioniertes Projekt der Modernisierung Bayern.

Zweitens hatte Stoiber erkannt, dass, wie er sich im Interview mit der Süddeutschen Zeitung später erinnerte, angesichts der durch die finanziellen Zuwendungen für die neuen Länder bedingten Zurückstellung von Bundesmitteln für Bayern in der Folge der Wiedervereinigung sowie des Minus-Wachstums und der hohen Arbeitslosigkeit im Jahre 1993 eine konsequente Privatisierung nötig war, damit Bayern seinen Aufholprozess fortführen und „aus dem Mittelfeld heraus deutscher Meister werden“ konnte: „Gestalten statt besitzen – das war eine deutliche Veränderung der Politik meiner Vorgänger. Bis auf das Hofbräuhaus haben wir alles auf den Prüfstand gestellt, um in die Zukunftsoffensiven zu investieren.“

Der „Bayerische Weg“

Drittens konnten im Zuge der konsequenten Privatisierungspolitik Anteile des Freistaates an Industrie- und Energieunternehmen lukrativ veräußert und die Erlöse in eine wertschöpfende Modernisierung der Infrastruktur des Landes investiert werden. Allein für die „Offensive Zukunft Bayern I und II“ sowie die „High-Tech-Offensive Bayern“ wurden rund vier Milliarden Euro aufgewendet. Auf der Basis strategischer Planung, wofür die Staatsregierung auch den Rat führender Unternehmensberatungen einholte, wurde ein flächendeckender Ausbau der Hochschul-, Universitäts- und Forschungslandschaft insbesondere in den Bereichen Medizin, Technik, Biotechnologie, Energie, Umwelt und Materialwissenschaften systematisch vorangetrieben. Gleichzeitig wurden Museen und andere Kultur­einrichtungen gefördert, um sowohl harte als auch weiche Standortfaktoren zu verbessern. Neben der Stärkung des Technologietransfers gehörte, so Edmund Stoiber in seinen Memoiren, auch die Förderung von Unternehmensgründungen und die Mobilisierung von Wagniskapital zu den Eckpunkten seines Modernisierungsprogramms, um „hoffnungsvolle, zukunftsträchtige Initiativen und junge Unternehmen voranzubringen“. Dass dieses Programm so erfolgreich war, lag letzten Endes auch daran, dass, wie Silvia Maria Eder in ihrer Analyse des „Bayerischen Weges“ in der Ära Stoiber detailliert herausgearbeitet hat, eine nachhaltige „Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft“ praktiziert und auf die Anwendung von „regulativen Instrumenten“ verzichtet wurde.

„Keine Schuldenberge für unsere Kinder und Enkel“

Viertens konnte Stoiber das von ihm nicht nur politisch, sondern auch moralisch begründete Projekt eines ausgeglichenen Staatshaushaltes realisieren. Bereits im Landtagswahlkampf 1998 tourte er mit der Forderung „Wir dürfen unseren Kindern keine Schuldenberge und erdrückenden Alterslasten aufhalsen“ durch das Land. Seine von ihm und Finanzminister Faltlhauser konzipierte Politik strikter Haushaltskonsolidierung, die eine Reduzierung der jährlichen Schuldenlast um jeweils 10 bis 15% vorsah, führte schließlich planungspräzise dazu, dass die acht Jahre zuvor getroffene Zusage eines ausgeglichenen Haushaltes ohne neue Schulden im Jahre 2006 eingehalten werden konnte. Dies ist insbesondere auch deshalb bemerkenswert, weil am kostspieligen Modernisierungsprogramm mit dem Ziel, „Bayern zu einer der innovativsten Wachstumsregionen der Welt zu machen“ (Regierungsprogramm der Bayerischen Staatsregierung 1998-2003), keine Abstriche vorgenommen werden mussten.

„Laptop und Lederhose“

Und schließlich, fünftens, verstand es Stoiber meisterhaft, etablierte und bewährte Stärken Bayerns und der CSU mit neuen Strategien und Ansätzen zu verbinden. Bereits in seiner Regierungserklärung am 30. Juni 1993 hatte er avisiert, die Zukunft „mit neuen Ideen, neuen Plänen und Visionen“ anpacken, gleichzeitig aber auch Traditionen achten zu wollen. Analog zur Kombination der Reform einer überwiegend landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft mit der Bewahrung bayerischer Traditionen in der Ära Alfons Goppel oder der Symbiose der Weisheiten klassischer Antike mit den Errungenschaften moderner Technik im Wirken von Franz Josef Strauß entwickelte Stoiber eine für ihn charakteristische Fähigkeit, scheinbar Widersprüchliches oder Gegensätzliches im Sinne einer dichotomischen Struktur sinngebend und wirkungsvoll zu verknüpfen. Zu den bekanntesten diesbezüglichen Begriffspaaren aus Stoibers Vokabular zählt „Tradition und Fortschritt“. Aber auch der Titel seiner Regierungserklärung vor dem Bayerischen Landtag am 29. Oktober 1998 zeigt deutlich, dass er es geschickt verstand, Kontinuität und Wandel argumentativ und konzeptionell in Einklang zu bringen: „Bayern – Weltregion und Heimat“. Besonders gern verwendete Stoiber das von Roman Herzog entworfene Bild „Laptop und Lederhose“, um seinen Ansatz, den Freistaat im Wettbewerb der Globalisierung wirtschaftlich und technologisch voranzubringen und gleichzeitig Bayerns kulturelle Identität zu wahren, zu verdeutlichen. „Kürzer, prägnanter, besser kann man“, so seine Erinnerung, „meine Politik nicht beschreiben.“

Triumph, Probleme, Rückzug

Als Fußballfan, der er seit Kindesbeinen ist, hat Edmund Stoiber mehrfach miterlebt, dass selbst Torschützenkönige und Champions League-Gewinner ihre Top-Form verlieren und gegenüber anderen Mannschaftskameraden ins Hintertreffen geraten können. Und doch kam es auch für ihn selbst völlig unerwartet, dass sein politischer Stern nach seiner triumphalen Wiederwahl als CSU-Parteivorsitzender mit 97,9% im Juli 2003 und seinem spektakulären Zweidrittelmehrheits-Sieg bei der Landtagswahl im September desselben Jahres zu sinken begann. Seine rigorose Sparpolitik wurde nicht von allen Parteifreunden gutgeheißen, personelle Veränderungen im Kabinett hinterließen Wunden und manche Entscheidung des Ministerpräsidenten wie sein Vorstoß zur Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts oder sein Zögern in der Frage, ob er nach der vorgezogenen Bundestagswahl vom September 2005 als Minister für Wirtschaft und Technologie nach Berlin gehen oder als Bayerischer Ministerpräsident in München bleiben würde, schwächten seine Position. Nachdem seine Umfragewerke deutlich sanken und sein Rückhalt auch in der CSU-Landtagsfraktion, der „Herzkammer“ der Partei, deren Mitglied er seit 1974 war, mehr und mehr schwand, kündigte er am 18. Januar 2007 an, dass er sein Ministerpräsidentenamt Ende September 2007 niederlegen und auch nicht mehr für den Parteivorsitz kandidieren werde.

Vom „Münchner Merkur“ später gefragt, wie lange es gedauert habe, bis er sich von seinem Rücktritt, der ihm aus Kreisen der CSU-Landtagsfraktion nahegelegt worden war, erholt habe, konnte Stoiber allerdings selbstbewusst kontern, er habe sich nicht erholen müssen. Das „Schlimmste für einen Politiker“ sei, abgewählt zu werden. „Das ist mir nie passiert.“

Literatur

Silvia Maria Eder, „Der Bayerische Weg“. Die Wirtschaftspolitik der Bayerischen Staatsregierung in der Ära Stoiber, Stuttgart 2004.

Edmund Stoiber, Planen und Verplanen. Inhalt und Grenzen staatlicher Planung, in: Kurt Faltlhauser/Edmund Stoiber (Hrsg.), Politik aus Bayern, Stuttgart 1976, S. 150-156.

Regierungserklärung und Regierungsprogramm 1998-2003. Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber vor dem Bayerischen Landtag am 29. Oktober 1998: „Bayern – Weltregion und Heimat. Innovativ, sozial, eigenständig“.

Edmund Stoiber, Weil die Welt sich ändert. Politik aus Leidenschaft – Erfahrungen und Perspektiven, München 2012.

„Wir sind an einem entscheidenden Punkt“. Interview mit Edmund Stoiber, in: Münchner Merkur vom 28.9.2016.

Marco Hadem, „Ein Vollblutpolitiker“, in: Donaukurier vom 28.9.2016.

Fallbeil, Macher, Landesvater. Roman Deininger und Wolfgang Wittl im Interview mit Edmund Stoiber, in: Süddeutsche Zeitung vom 5.4.2019.