Wer hat das Sagen? „Starker Anführer“ oder Doppelspitze oder...?

Peter Hausmann

„Der oane schiebt, der ander reibt“ heißt es beim Schafkopf, diesem urbayerischen Kartenspiel, in dem einer der vier Kartenspieler in den meisten Partien mit einem der anderen zusammenspielt. Der Satz ist taktische Vorgabe und Erfolgsrezept zugleich für die „Kartler“. Diesen Grundsatz könnte man auch gut auf die Zeiten in der langen Geschichte der CSU übertragen, in der die Partei es immer wieder einmal mit einer so genannten Doppelspitze versucht hat. Sie bestand aus dem Parteivorsitzenden und dem Bayerischen Minister­präsidenten.

In den Amtszeiten von Josef Müller (1946-1949), dem legendären „Ochsensepp“, zunächst mit Ministerpräsident Hans Ehard, der 1949 auch den Parteivorsitz übernahm, Franz Josef Strauß (1961-1978) mit Ministerpräsident Alfons Goppel, danach Parteivorsitzender und Ministerpräsident bis zu seinem Tod am 3. Oktober 1988, Theo Waigel (1988-1999), zunächst mit Ministerpräsident Max Streibl, dann ab 1993 mit Edmund Stoiber (1999-2007) bis hin zu Erwin Huber und Ministerpräsident Günther Beckstein (2007-2008) gab es immer wieder diese Führungskonstellation. Der Grundgedanke für diese Formation war, der CSU mehr Durchsetzungskraft zu verschaffen – vor allem in schwierigen Situationen, wie z.B. nach dem Tod von Franz Josef Strauß. Er entsprang nicht zuletzt auch aus der einzigartigen Konstruktion namens CSU. Sie beschränkt sich zwar organisatorisch ausdrücklich auf Bayern, gestaltet aber Politik über Bayern hinaus für Deutschland und Europa. Viele der politischen Großprojekte in der Nachkriegsgeschichte wie das geeinte Europa und die Überwindung der Teilung Deutschlands sind mit den Namen von Franz Josef Strauß und Theo Waigel und wichtigen Beiträgen ihrer Partei verbunden.

Die Anfänge – Auf dem Weg zur modernen Volkspartei

Die Phasen eines CSU-Führungsduos wurden allerdings gerne und oft von medialen Betrachtungen begleitet, ob die Konstruktion nicht doch Reibungsverluste mit sich bringt. Immer wieder bemühten Medien dabei das Bild des Tandems, – verbunden mit der Frage, wer lenkt und wer trägt nur zur Antriebskraft bei. Dabei waren es nicht nur allein redaktionelle Gedankenspiele, die diese Spekulation nährten. Auch mehr oder weniger allgemein bekannte Animositäten, persönlicher Ehrgeiz und die persönlichen Umfelder der jeweiligen Führungspersonen beflügelten oft die Phantasie der Schlagzeilenmacher. Ein Blick zurück beweist aber, dass ein Führungsduo trotz aller Schwierigkeiten und Probleme für die unmittelbar Betroffenen für die CSU als Partei durchaus erfolgreich war.

Josef Müller, einer der legendären Gründerväter der CSU, musste die Christlich Soziale Union durch die wohl turbulenteste Phase ihrer Selbstfindung und programmatischen Ausrichtung steuern. In der zweiten Hälfte der 40er-Jahre im vorigen Jahrhundert standen sich zwei Strömungen nahezu unversöhnlich gegenüber. Die sogenannten Ultramontanen, Alois Hundhammer und Fritz Schäffer, kurzzeitig erster Ministerpräsident Bayerns nach dem Zweiten Weltkrieg, standen für eine katholisch-konservative Strömung. Ihnen gegenüber hatte sich eine liberal-überkonfessionelle Strömung formiert, deren Exponent Josef Müller war. Es ist das historische Verdienst des „Ochsensepp“, dass die CSU nicht zu einer Partei im Sinne der alten Bayerischen Volkspartei wurde, wie die Traditionalisten es planten. Er legte damit den Grundstein zur modernen Volkspartei. Josef Müller zahlte dafür allerdings einen hohen Preis. Im Mai 1949 unterlag er wegen der anhaltenden Flügelkämpfe bei der Wahl zum CSU-Vorsitzenden dem Ministerpräsidenten Hans Ehard, dem es schließlich gelang, die Partei in ein ruhigeres Fahrwasser zu bringen.

Die Ära Franz Josef Strauß

Auch Franz Josef Strauß lieferte während seiner Zeit als Parteivorsitzender ein Beispiel dafür, dass ein Tandem nicht nur funktioniert, sondern auch wichtige Entscheidungen fällen kann. Als er 1961 die Führung der CSU übernahm, war Strauß bereits ein bekannter Bundespolitiker. Sechzehn Jahre bildete er mit Alfons Goppel als Ministerpräsident ein erfolgreiches Duo. Als 1969 die sozialliberale Koalition aus SPD und FDP mit Bundeskanzler Willy Brandt in Bonn die Regierungsgeschäfte übernahm, begann eine neue Ära der deutschen Außenpolitik. Die neue Regierung schloss 1972 die sogenannten Ostverträge ab, die genau genommen den staatlichen Status Quo festschrieben. Franz Josef Strauß bestand aber darauf, die deutsche Frage offenzuhalten. Der CSU-Vorsitzende befürchtete, die in diesem Vertrag fixierte gegenseitige staatsrechtliche Anerkennung würde die Spaltung Deutschlands in zwei Teilstaaten zementieren und das Wiedervereinigungsgebot der Präambel des Grundgesetzes aushöhlen.

Gegen Widerstände auch aus den eigenen Reihen bewegte Strauß den bayerischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel im Mai 1973, eine Klage vor dem Verfassungsgericht gegen den Grundlagenvertrag einzureichen. Das Urteil attestierte und hielt fest, dass die Wiederherstellung der staatlichen Einheit als politisches Ziel von keinem Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland aufgegeben werden dürfe und betonte die Fortexistenz eines „immer noch existierenden Staates Gesamtdeutschland“. Historisch betrachtet, schaffte er es, dass 17 Jahre nach dem Urteil die Weichenstellung in der Wendezeit 1989/1990 in Richtung der Wiedervereinigung möglich wurde. 1978 übernahm Franz Josef Strauß das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten von Alfons Goppel. Er stand nun in der Doppelverantwortung, Politik für Bayern zu machen und dabei den bundespolitischen Anspruch seiner Partei aufrecht zu erhalten.

Die Erben des Franz Josef Strauß

Nach seinem Tod im Oktober 1988 folgte ihm Theo Waigel im Amt des CSU-Vorsitzenden. In seiner Amtszeit „saß er zweimal auf dem Führungstandem“. Zuerst mit Max Streibl, der 1993 wegen Vorwürfen in der sogenannten Amigo-Affäre zurücktreten musste, und dann bis Anfang 1999 mit Edmund Stoiber. Fragen von Journalisten, wer denn nun das Sagen in der CSU habe, beantwortete Waigel gerne mit dem Satz: „Die Parteisatzung und die bayerische Verfassung regeln die Zuständigkeiten des CSU-Vorsitzenden und des Ministerpräsidenten“.

Die politische Arbeit im Duo beschreibt Theo Waigel in seinen Memoiren „Ehrlichkeit ist eine Währung“. Mit Max Streibl verband ihn ein sachliches, freundschaftliches Verhältnis. Über die Frage, wie es 1990 nach der Wende in der DDR weitergehen solle, entstand allerdings ein Dissens mit dem Ministerpräsidenten. Max Streibl plädierte für einen „Freiheitsvertrag“ mit der DDR, weil er durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik wirtschaftliche Nachteile und damit eine Belastung der 1990 anstehenden Landtagswahl befürchtete. Doch Waigel „verdeutlichte ihm, die deutschlandpolitische Linie werde vom Parteivorsitzenden entschieden“. Der Rest der Geschichte der deutschen Wiedervereinigung ist bekannt. Als Bundesfinanzminister hatte Theo Waigel eine tragende Rolle. Er schloss den ersten Vertrag zur Herstellung der Währungs- und Wirtschaftsunion mit der damals gerade gewählten Regierung der DDR ab. Noch nie hatte es in der Welt den Umbau einer staatlich gelenkten Planwirtschaft in eine soziale Marktwirtschaft gegeben. Theo Waigel meisterte diese Aufgabe. Noch heute wird Deutschland in aller Welt für die Leistung gelobt, diese große Umwälzung gestaltet und zu einem positiven Ende gebracht zu haben.

Ab 1993 hieß die Doppelspitze Theo Waigel und Edmund Stoiber. Der bayerische Innenminister hatte sich im Kampf um die Nachfolge Streibls durchgesetzt. Der Ehrlichkeit halber muss erwähnt werden, dass die Debatte um die Besetzung des Ministerpräsidentenamtes von Zeitungsberichten begleitet wurde, die Wunden hinterließen. Das belastete das persönliche Verhältnis zwischen dem Parteivorsitzenden und dem Ministerpräsidenten. Trotzdem gelang es beiden, ein sachliches Arbeitsverhältnis zu entwickeln. Zum Wohl Bayerns und der CSU nahm das Tandem Waigel/Stoiber Fahrt auf. Die Einführung einer europäischen Gemeinschaftswährung, dem Euro, wurde Ende der 90er-Jahre zu einer erneuten Belastungsprobe für die Doppelspitze. Die Regierungschefs der EU hatten sich auf die Einführung einer Gemeinschaftswährung verständigt. Bundesfinanzminister Theo Waigel arbeitete den Stabilitätspakt für das neue Geld aus.

Die Euro-Einführung und damit die Aufgabe der eigenen, nationalen Währung fiel den Deutschen nicht leicht. Immerhin war die D-Mark eines der wenigen historisch unbelasteten nationalen Symbole. Sie stand für den Wiederaufstieg Deutschlands und die Rückkehr in den Kreis der freien, demokratischen Völker der Welt. Die logische Folge war eine Art Trennungsschmerz, der sich auch in der CSU in teils erbitterten Debatten über die europäische Gemeinschaftswährung niederschlug. Dabei standen die Angst vor dem Verlust der Währungsstabilität und die Zweifel am Erfolg des neuen Geldes im Mittelpunkt der Diskussionen. Theo Waigel musste nicht nur gute Argumente ins Feld führen, sondern auch seine ganze Autorität als Parteivorsitzender in die Waagschale werfen, um die CSU eindeutig auf Pro-Euro-Kurs zu bringen. Heute wissen wir, dass der Euro eine stabile Währung ist und seine Vorteile für die deutschen Volkswirtschaft alle tatsächlichen oder vermuteten Nachteile überwiegen.

Nach der Abwahl der Bonner Regierungskoalition 1998 kündigte Theo Waigel seinen Abschied als CSU-Vorsitzender an und übergab das Amt wenige Wochen später an Edmund Stoiber. Seither gab es bis auf ein Jahr keine Doppelspitze in der CSU. Für beide Akteure war es rückblickend sicherlich keine einfache Zeit. Aber die CSU schaffte es, die Menschen für ihre Politik zu gewinnen. Edmund Stoiber bewertete mir gegenüber einmal diese debattenstarke Zeit ungeachtet aller Differenzen als Gewinn und als Zeichen der Stärke für die CSU.