Wer wählte die CSU – wer wird sie wählen?

Gerhard Hirscher

Die CSU hat in den letzten 75 Jahren immer wieder breite Teile der bayerischen Bevölkerung ansprechen können. Die über Jahrzehnte vorhandene Rekrutierungs- und Mobilisierungsfähigkeit der CSU war nur denkbar, weil sie immer wieder neue Generationen und verschiedene soziale Gruppen binden konnte. Ebenso wichtig war die anhaltende Fähigkeit, Wähler auf dem Land wie in den Städten anzusprechen. Dabei ist, wie Jürgen Falter schon 2007 betont hat, die Wählerschaft der CSU in ihrer Zusammensetzung der Gesamtwählerschaft immer ähnlicher geworden: „Im Vergleich zu 1966 ist die CSU-Wählerschaft im Jahre 2003 säkularer, sehr viel stärker aus dem neuen Mittelstand stammend, deutlich älter, formal sehr viel gebildeter und etwas weniger stark mit der Partei identifiziert“ (Falter S. 388f). Dabei sollte nicht übersehen werden, dass sich die Struktur der Wählerschaft in Bayern und die der CSU lange Zeit von der im restlichen Deutschland unterschieden hat. Die Prozesse der Veränderung und der Angleichung der Wählerschaft waren ein langsam, aber kontinuierlich wirkender Faktor.

Die Wählerschaft in Bayern – lange Zeit anders als im restlichen Deutschland

Franz Urban Pappi hat noch 2011 gezeigt, dass sich wesentliche sozialstrukturelle Daten der Wählerschaft der CSU bis in die jüngste Vergangenheit in ihren absoluten Werten von der Situation in anderen Landesteilen abheben. So ist etwa die Zahl der Konfessionslosen in der Wählerschaft in Bayern von 5% im Zeitraum 1980 bis 1990 angestiegen auf 9% in den Jahren 1991 bis 1998 und 11% in den Jahren von 2000 bis 2008. Im sonstigen Westdeutschland sind diese Werte jedoch von 9% über 14% auf 16% gestiegen; in Ostdeutschland sogar auf 71% (Pappi). Der Anteil der Katholiken betrug in der Zeit von 2000 bis 2008 in der Wählerschaft noch 37%, die der katholischen Kirchgänger noch 25%. Auch wenn diese rückläufig waren, so war dies immer noch deutlich mehr als die 11% im restlichen Westdeutschland oder die nur 1% katholische Kirchgänger im Osten. Eine traditionelle Kerngruppe der Wählerschaft der CSU war also noch lange überdurchschnittlich stark vertreten, was dazu führte, dass die katholischen Kirchgänger in Bayern 2000 bis 2008 noch 34% der Wählerschaft der CSU ausmachten, aber nur 21% der CDU-Wählerschaft im Westen und nur 3% der CDU-Wähler im Osten. Auch andere Faktoren waren für den Volksparteicharakter der CSU günstig: So war 2000-2008 die Gruppe der Wählerschaft, die sich subjektiv der Arbeiterschicht zugehörig fühlt, mit 34% noch deutlich größer als im restlichen Westdeutschland mit 27%. Auch die nach 1945 geborenen ohne Abitur waren in Bayern mit 59% stärker vertreten als in Westdeutschland mit 52%. Dies trug dazu bei, dass in diesem Zeitraum die Arbeiterschicht in Bayern 33% der Wähler stellte gegenüber nur 24% für die CDU in Westdeutschland. Insgesamt waren die Wähler in der unteren Einkommensgruppe im Zeitraum von 2000 bis 2008 bei der CSU mit 27% deutlich stärker vertreten als bei der CDU im Westen mit 22%  – in der CDU in den neuen Bundesländern allerdings mit 32% noch stärker. Diese Analyse unterstreicht, dass die CSU größere Rücksicht nehmen musste auf traditionelle Bevölkerungsgruppen, aber auch auf diejenigen Segmente, die zur unteren Mittelschicht gehören und viel von den Leistungen des Sozialstaats erwarten und auf diesen angewiesen sind. Von daher musste die CSU noch etwas stärker Partei der „kleinen Leute“ sein als die CDU.

Die künftige Wählerschaft

Ob diese Unterschiede heute und in den nächsten Jahren noch maßgeblich sein werden, ist offen. Der wachsende Zuzug nach Bayern – auch aus anderen Teilen Deutschlands – verändert die Struktur der Wählerschaft weiterhin. In den zehn Jahren seit Erscheinen dieser Studie hat sich in Bayern vieles verändert: Bei der Landtagswahl 2018 war die Zahl der konfessionslosen Bürger (gemeint ist in diesem Fall weder katholisch noch evangelisch) auf 20% der Bevölkerung angestiegen. Der Anteil der regelmäßigen katholischen Kirchgänger betrug bei der CSU-Wählerschaft noch 13%. Zugleich ist der Anteil der Wähler mit mindestens Abitur in Bayern auf über 39% angestiegen; bei den Wählern der CSU auf 30%. Als Arbeiter haben sich noch 25% (auch 25% der CSU-Wähler) bezeichnet; als Landwirte 2% (3% der CSU-Wähler). Eine Umfrage der FG Wahlen im Auftrag der Hanns-Seidel-Stiftung, die Anfang 2018 erschien, unterstrich diese Veränderungen in der bayerischen Wahlbevölkerung. Die Studie stellte unter anderem fest, dass sich nur noch eine Minderheit von 42% als „thematisch traditionell oder sehr traditionell“ beschreiben lässt. Daher ist offensichtlich, dass die CSU auch künftig versuchen muss, diese Veränderungen in der Zusammensetzung der Bevölkerung und dem Wandel in den Einstellungen aufzugreifen und neue Wählerschichten anzusprechen. Die klassischen, konfessionell und sozial deutlich abzugrenzenden Segmente der Wählerschaft wird es immer weniger geben. Die CSU wird aber immer eine Partei sein, die sich ihre Wählerschaft aus der breiten bürgerlichen Mitte sucht – und das mit bayerischem Akzent.

Literatur

Jürgen Falter, Wandel durch Anpassung: Die Veränderung der CSU-Wählerschaft 1966-2003, in: Werner Patzelt, Martin Sebaldt, Uwe Kranenpohl (Hrsg.): Res publica semper reformanda. Wissenschaft und politische Bildung im Dienste des Gemeinwohls, Wiesbaden 2007, S. 374-389.

Heinrich Oberreuter, Zwischen Programm und Populismus – die offene Zukunft der CSU, in: Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften 9 (2011) Heft 2, S. 163ff.

Franz Urban Pappi, CSU- und CDU-Wählerschaften im sozialstrukturellen Vergleich, in: Aktuelle Analysen 57 der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung, München 2011.

Forschungsgruppe Wahlen, Eine Analyse der Landtagswahl vom 14. Oktober 2018, Mannheim 2018.

Einstellungen zur Politik. Eine Studie, wie sich Menschen in Bayern politisch identifizieren, interessieren und informieren, München 2018.