Ingeborg Geisendörfer – die „Glöcknerin von Bonn“

von Elena Luckhardt

„Verantwortung haben Frauen immer getragen. Es war ihnen bloß nicht so bewußt. (…) Aber ich glaube, es gibt immer noch ein Reservoir von Frauen, das noch nicht ausgeschöpft ist, und viele müssen erst noch aufgespürt und ermutigt werden. (...) Wenn die Argumente gut sind, setzen sie sich durch.“ (Interview mit Erika Ruckdäschel: ACSP, PS Geisendörfer)

Ingeborg Geisendörfer wurde am 30. Mai 1907 in Dillingen an der Donau als Ingeborg Schauding geboren. Nach ihrem Schulabschluss am Lyzeum und ihrer Ausbildung zur Lehrerin an einer Lehrerinnenbildungsanstalt in München unterrichtete sie von 1927-1934 zuerst in Neuhardenberg in der Mark Brandenburg als Hauslehrerin beim Staatskanzler Fürst Hardenberg, bevor sie nach Bayern zurückkehrte. Dort bekam sie 1934 ihre erste Festanstellung als Lehrerin und arbeitete von 1934-1940 in München und Rosenheim.

Nachdem sie im Jahr 1940 den Pfarrer Robert Geisendörfer geheiratet hatte, engagierte sie sich nicht nur, wie für die Frau eines Pfarrers üblich, im kirchlichen und sozialen Bereich. Ingeborg Geisendörfer behielt ihren Lehrberuf bei, was zu der damaligen Zeit unüblich war. Bereits in ihrer Jugend nach dem Ersten Weltkrieg hatte sie über ihren Vater, der als Sozialpfarrer für die Diakonie verantwortlich und zugleich Vorsitzender des Evangelischen Handwerker-Vereins war, die Probleme und Nöte anderer Menschen, insbesondere soziale Armut, miterlebt.

Darüber hinaus begann Ingeborg Geisendörfer, sich für Frauen einzusetzen und sich politisch zu engagieren: Sie arbeitete im Evangelischen Presseverband für Bayern mit und wurde stellvertretende Landesvorsitzende der Frauen-Union (FU) sowie des Evangelischen Arbeitskreises (EAK). Dem EAK gehörte Geisendörfer auch auf Bundesebene an. Zudem war sie Mitglied der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.

Knapp zwei Jahrzehnte und insgesamt fünf Legislaturperioden – von 1953-1972 – war Ingeborg Geisendörfer CSU-Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Nach Maria Probst war sie dort die zweite weibliche und zugleich die erste evangelische CSU-Abgeordnete. Dem Vorstand des Bundestags gehörte sie 1953-1961 und 1965-1972 an. Im Bundestag befasste sie sich durch ihre Zugehörigkeit zum Atomausschuss insbesondere mit dem Atomgesetz. Zusätzlich engagierte sie sich in der Kultur- und Wissenschaftspolitik. Hierzu zählte auch ihr Engagement für das evangelische Studentenwerk Villigst.

Ingeborg Geisendörfer sagte zu der Frage, wie es dazu kam, dass sie in den Bundestag gewählt wurde: „Jedenfalls haben die mittelfränkischen Bauern rebelliert und haben gesagt, unsere evangelischen Zuckerrüben sind nur katholisch geweiht und das lassen wir uns nicht gefallen, also wählen wir nicht CSU. Daraufhin wurde der Name meines Mannes, der in Mittelfranken sehr bekannt war, benutzt, man wollte mit mir als Trägerin dieses Namens werben. Ich stand auf einem Listenplatz so weit hinten, daß ich mit Sicherheit keine Aussicht hatte, in den Bundestag hineinzukommen. Ich wollte nicht in den Bundestag. In der Nacht nach der Wahl weckte mich mein Mann und sagte: ich glaube, das geht schief. Am nächsten Morgen stand fest, daß ich gewählt war, und wir standen vor der sehr ernsten Frage, was tun. Schon damals kam immer die Klage, daß die Frauen und die Evangelischen benachteiligt wären in der Politik, und wenn nun eine evangelische Frau verzichtet hätte, wäre die Reaktion gewesen: da sieht man’s, wenn sie gewählt werden, versagen sie sich.“ (Interview mit Erika Ruckdäschl: ACSP, PS Geisendörfer)

Die Ausübung der evangelischen Konfession war ihr darüber hinaus ein großes Anliegen, und Geisendörfer übernahm im Bundestag die Verantwortung für die „Christliche Morgenfeier“. Dies brachte ihr, der Pfarrerstochter aus Bayern, von Walter Henkels den Namen „Glöcknerin des Bundestags“ ein.

1968 wurde Geisendörfer mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. 1972, zu ihrem 65. Geburtstag, gratulierte ihr der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann: „Ich habe stets Achtung vor Ihrer Art empfunden, handfeste Verantwortung für die Dinge unserer Gesellschaft, des Staates und der Kirche zu übernehmen…“

Ingeborg Geisendörfer verzichtete bei der Bundestagswahl im Jahr 1972 auf eine erneute Kandidatur, um „jüngeren Frauen, auch evangelischen, die Chance [zu] geben, politische Verantwortung zu tragen“. (zitiert nach munzinger.de)
„1972 habe ich gedacht, ich kandidiere nicht mehr. Ich habe zu einem sehr frühen Zeitpunkt das gesagt, dadurch bin ich nicht in die bittere Situation gekommen, wie mancher meiner Kollegen, die nicht mehr aufgestellt worden sind und das nie ganz verwunden haben (…). Meine Begründung war damals, man soll Jüngeren die Möglichkeit geben auch nachzurücken, sonst heißt es, die kleben ewig an ihrem Sitz.“ (unveröff. Zeitzeugengespräch von F. Hopfenmüller mit Ingeborg Geisendörfer am 9. Februar 1988: ACSP, PS Geisendörfer)