75 Jahre CSA – Die Christlich-Soziale Arbeitnehmerschaft gestern, heute und morgen

von Peter Keller

Landesvorsitzender der CSA von 1989 bis 2000, Ehrenvorsitzender der CSA

 

„Eine C-Partei ist nicht wahrhaft Volkspartei, wenn sie nicht wahrhaft sozial ist.“ Mit diesem Verdikt als Anleihe von Bischof Ketteler kann man die Aufgabe der CSA als das soziale Gewissen der CSU beschreiben.

 

CSA-Politiker als „soziales Gewissen“ der CSU

Vor 75 Jahren wurde die CSA gegründet. Zukunft ist Herkunft. Wenn wir uns unserer Herkunft nicht erinnern, haben wir auch keine Zukunft. Stellvertretend für diese unsere Herkunft nenne ich Hugo Karpf, Adam Stegerwald und Stefan Höpfinger. Sie setzten als ehemalige Arbeiter und „politische Pfadfinder“ Ecksteine in Gewerkschaften und politischer Führung. In der neueren Zeit standen für das „soziale Gewissen“ u.a. Barbara Stamm, Horst Seehofer, Paul Wünsche, Erich Ziegler, Hans Stützle, Heinz Hausmann Reiner Meier, Matthäus Strebl und Konrad Kobler.

Zum besseren Zusammenwirken von CSU und CSA sollten nach einer Vereinbarung, die der damalige CSU-Generalsekretär Bernd Protzner und ich in meiner Eigenschaft als damaliger CSA-Landesvorsitzender 1999 getroffen hatten, in jedem CSU-Ortsverband sog. CSA-Ortsverbandsbeauftragte ernannt werden. Leider hat die CSA unter meinem Nachfolger Horst Seehofer diese Forderung nicht weiterverfolgt.

 

Markt und Soziales

In der heutigen Sozialen Marktwirtschaft soll das „S“ den Auftrag versinnbildlichen, in der Wirtschaft Mitbestimmung und damit mehr Demokratie zu ermöglichen. Zu den Kernelementen des „S“ gehören die Gewerkschaften als Interessensvertreter der Arbeitnehmer (Artikel 9 Abs. 3 GG), Betriebsräte (Artikel 175 Bayerische Verfassung) und die Tarifautonomie. Soziale Marktwirtschaft funktioniert nur mit Sozialpartnerschaft. Schon die Gründerväter hatten zu einer Gesamtwirtschaftsordnung auch eine Sozialordnung gefordert. Gerade heute, in der Zeit von Globalisierung und Digitalisierung, geht es erneut um die Deutungshoheit von Markt und Sozialem.

 

Tarifverträge - Tarifflucht

Zwei entscheidende Kernelemente der Sozialpartnerschaft in der Sozialen Marktwirtschaft sind Tarifverträge für alle Arbeitnehmer und Betriebsräte als Interessenvertreter der Arbeitnehmer. Leider nimmt aber die Tarifflucht immer mehr zu und die Zahl der Betriebsräte immer mehr ab, auch in Bayern. Dabei ist soziale Partnerschaft in der Marktwirtschaft nur mit starken Gewerkschaften zu erreichen. Daher sollten wir als CSA erwarten, dass möglichst viele Arbeitnehmer auch Gewerkschaftsmitglieder sind, um überall Betriebsräte und Tarifverträge durchzusetzen. In Zeiten von Teilzeitarbeit und Niedriglöhnen muss der Staat für eine Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen sorgen.

 

Schaffung von Arbeiterkammern

Über viele Jahre war die CSA mit Franz von Prümmer, dem Vorsitzenden der Bundesarbeitsgemeinschaft der Arbeiterkammern, der „politische Motor“ zur Schaffung von Arbeiterkammern, ähnlich denen in Österreich, Luxemburg, Saarland und Bremen. Ziel war die Institutionalisierung einer Interessenvertretung aller Arbeitnehmer mit umfassender Rechtsberatung und eine gezielte Bildungspolitik. Den Plan einer Einführung musste ich seinerzeit als Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft für Arbeitskammern aufgeben, u.a. weil (ausgerechnet) die Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB) und die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) ihre Unterstützung für dieses Projekt zurückzogen. Ich habe sehr bedauert, dass ein politisches Gleich- bzw. Gegengewicht zu den Kammern der Wirtschaft nicht ermöglicht werden konnte.

 

Sozialpolitik und Arbeitswelt

Für die CSA ist und bleibt es eine Daueraufgabe, das Soziale in der Marktwirtschaft und auch in der CSU zu rechtfertigen. Eine Perspektive für benachteiligte Menschen (Unqualifizierte, Behinderte) wäre ein eigener 3. Arbeitsmarkt mit Förderungsinstrumenten und Investitionszuschüssen. Es ist immer noch besser, Arbeit zu finanzieren statt Arbeitslosengeld zu bezahlen.

Unsere Vorstellungen im großen Bereich der Sozialpolitik, z.B. die Anerkennung von Erziehungszeiten im Rentenrecht (Mütterrente) – ein Arbeitsschwerpunkt von Joachim Unterländer und Ernst Pöppl –stießen insbesondere beim „kleinen Mann“ und auch in der CSU auf große Zustimmung.

Eine besondere Herausforderung werden Digitalisierung und Dezentralisierung der Arbeitswelt und deren Folgen auf die menschliche Arbeit darstellen. Die Stichworte sind hier „4. und 5. Technologische Revolution“, „Homeoffice“, Algorithmen, Robotik. Dann erst recht bedürfen Familien und die Organisation von Beruf und Freizeit einer sozialethischen Begleitung.

Unsere politische Zukunft, d.h. auch unsere soziale Zukunft, liegt in Europa. Deshalb gilt es, das Soziale in der Marktwirtschaft auch auf dieser Ebene möglichst stark zu verankern. Der europäische Markt sichert unsere Arbeitsplätze, weil 40% unserer Produkte in die EU exportiert werden. Zwei ehemalige Landesvorsitzende der CSA, Fritz Pirkl und Gabriele Stauner, sowie der CSU-Europaabgeordnete Edgar Schiedermeier, arbeiteten erfolgreich für soziale Mindeststandards im Europäischen Parlament.

 

Auch in Zukunft gilt es, das Neue sozial zu denken und zu gestalten

75 Jahre nach Gründung der CSA ist der soziale Friede immer noch die Grundlage für die soziale Partnerschaft. Daher darf nicht hingenommen werden, dass das Soziale in der Sozialen Marktwirtschaft in Wort und in Schrift, bewusst oder unbewusst, „vergessen“ wird. Erst Marktwirtschaft plus Sozialpolitik ergeben Soziale Marktwirtschaft. Die CSA steht für das „S“ in der CSU. Schon Oswald von Nell-Breunig forderte: „Sozialpolitik muss auch politisch organisiert werden“.

In seinem Werk „Die Stadt in der Wüste“ schreibt Antoine de Saint-Exupéry: „Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommele nicht die Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer“. Dieser Satz beflügelt mich zu folgender Metapher: Wenn die CSA weiterhin an den gesellschaftspolitischen Weichenstellungen beteiligt sein will, so genügt es nicht, Mitglieder zu gewinnen, Programme vorzulegen, Wahlen vorzubereiten und Veranstaltungen zu organisieren. Vielmehr müssen wir unseren Kolleginnen und Kollegen das Bewusstsein vermitteln, dass sie als Arbeitnehmer in Deutschland und Europa gleichberechtigte Sozial-Partner in Wirtschaft und Gesellschaft sind. Und wir müssen ihre Bereitschaft wecken, sich in einer Gewerkschaft und in demokratischen politischen Parteien zu engagieren, denn es gilt, „das Neue sozial zu denken“ und zu gestalten.“

Galerie