Marielies Schleicher - Ein knappes Jahrhundert Einsatz für Sozialpolitik und Frauenförderung

von Elena Luckhardt

Marielies Schleicher, geboren am 28. Juli 1901 in Aschaffenburg, wäre in diesem Monat einhundertzwanzig Jahre alt geworden. Sie gehört zu den bedeutenden CSU-Frauen, die sich bald nach der Gründung in der CSU politisch engagierten.

Ihre Schulbildung genoss die aus einer Mediziner- und Fabrikantenfamilie stammende Schleicher zu Beginn bei den Ursulinen in Aachen. Später wurde Schleicher auf das Realgymnasium der Englischen Fräulein in Regensburg geschickt, wo sie ihr Abitur machte – wie auch die um genau ein Jahr jüngere Maria Probst.

 

Ihre Tochter Ursula Schleicher schreibt zu dieser die Schülerinnen, auch ihre Mutter, tief prägenden Schule:
„Wann sich die beiden aus Bayern, die Münchnerin Maria Mayer (später Probst) und die Aschaffenburgerin Marielies Wiesner (später Schleicher) zum ersten Mal getroffen haben, konnte ich nicht feststellen, doch beide wurden von ihren Eltern Internaten anvertraut, um ihnen die damals bestmöglichste Erziehung zu ermöglichen. So trafen sie sich wahrscheinlich zum ersten Mal in der Schule der Ursulinen in Aachen. (…) Von meiner Mutter, Marielies Schleicher, weiß ich, dass die Internatsschülerinnen in Aachen damals nur einmal in der Woche die Badewanne – vorschriftsmäßig mit einem Hemd bekleidet – benutzen durften. Die Wirren des Krieges ab 1914 hatten ihre Folgeerscheinungen, die Hungersnot war groß und so beendeten zufällig beide Schülerinnen ihren Schulaufenthalt in Aachen und trafen sich wieder in Regensburg in der Internatsschule des Mädchen-Realgymnasiums der Englischen Fräulein. Es war die erste höhere Mädchen-Schule in Bayern, die ab 1916 tatsächlich bis zum Abitur führte. Vorher gab es nur den Weg über eine Knabenschule und das nur als Gast für die Abschlussprüfung. Diese Erziehung muss sehr gut gewesen sein. Ich begleitete nach dem Zweiten Weltkrieg meine Mutter zu einem Treffen der ehemaligen Klosterschülerinnen in der alten Schule der Englischen Fräulein und war überrascht über den Werdegang vieler Mitschülerinnen. Viele Abiturientinnen dieser Schule hatten beachtliche Karrieren gemacht, entweder als Freiberufliche oder höhere Beamtinnen, die sich aber auch auf verschiedenen Ebenen der Politik engagierten. Auch Marieluise Fleißer, die bekannte Schriftstellerin aus Ingolstadt. („Die Pioniere von Ingolstadt“) ging aus dieser Schule hervor.“ (Ursula Schleicher,  Auf den Pfaden von Maria Probst - Begegnungen und Erinnerungen, in: Höpfinger, Renate (Hrsg.), Maria Probst. 1902-1967, Bayerische Lebensbilder Bd. 4, München 2017, S. 174).

 

Nach ihrem Schulabschluss studierte Marielies Schleicher Medizin in Bonn und Würzburg und begann nach dem Zweiten Weltkrieg, sich aktiv für Frauen und Mädchen einzusetzen: 1948 wurde sie Vorsitzende des Katholischen Frauenbundes und des Katholischen Mädchenschutzvereins. Es folgten die Konstituierung einer Arbeitsgemeinschaft der Hausfrauenverbände Aschaffenburgs 1951 und die Gründung eines Mädchenlehrlingsheimes mit Haushalts- und Sozialpflege-Schule im Jahr 1952. Im Jahr 1952 sollte auch die politische Aktivität von Marielies Schleicher beginnen: Sie wurde, obgleich sie noch kein CSU-Mitglied war, Mitglied der CSU-Stadtratsfraktion Aschaffenburg. In diese Zeit fällt die Bildung des Ortsausschusses für hauswirtschaftliche Berufsausbildung im Jahr 1954. Zwei Jahre später wurde Schleicher zur Beirätin für das Fürsorgewesen der Stadt Aschaffenburg gewählt. Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1957 engagierte sie sich in der CSU im sozialpolitischen Sektor.

Ursula Schleicher schreibt zu dem Engagement ihrer Mutter für die Frauen: „Viele Frauen hatten nach dem Krieg Bedenken, sich politisch zu engagieren, da ihre Familien gerade von den Erlebnissen der „Nazizeit“ so oder so geprägt waren. Meine Mutter wurde gleich nach dem Krieg sozialpolitisch tätig. Sie wurde schon 1948 Vorsitzende des Katholischen Frauenbundes in Würzburg und blieb es bis ca. 1990. Sie wurde 1952 Stadträtin in Aschaffenburg und stand in ständigem Kontakt mit Maria Probst, die dann ja auch Vorsitzende der Frauen Union in Unterfranken war. Meine Mutter engagierte sich auch in der Europäischen Frauen-Union (EFU), sobald die Deutschen dort Mitglied wurden. Sie kannte zahlreiche EFU-Frauen aus den anderen Ländern und war mit den Finninnen, Holländerinnen etc. befreundet.“ (Ursula Schleicher,  Auf den Pfaden von Maria Probst - Begegnungen und Erinnerungen, S. 179).

 

In den Jahren von 1962 bis 1974 war Schleicher Landtagsabgeordnete. In diese Zeit fielen weitere Mandate, die von ihrem großen Engagement zeugen: 1963-1974 war sie Mitglied des Landesgesundheitsrates, 1966-1974 Schriftführerin des Landtagspräsidiums, 1970-1974 Mitglied des Ausschusses für Staatshaushalt und Finanzfragen, und im Jahr 1974 wurde sie stellvertretendes Mitglied des Zwischenausschusses des Bayerischen Landtags.

Ursula Schleicher merkt hierzu an: „Meine Mutter, Marielies Schleicher, wurde 1962 über die CSU-Liste Unterfranken in den Bayerischen Landtag gewählt. Dies war auch für mich der Anlass, ihre Kolleginnen und Kollegen dort kennen zu lernen. 1965 wurde an mich der Wunsch herangetragen, die Frauenarbeit der CSU auszubauen. (…) Die „Arbeitsgemeinschaft der CSU“ hielt im Frühjahr 1965 ihr jährliche Landesversammlung in Ingolstadt ab. Zu dieser Tagung wurde ich eingeladen, um in die Arbeit der politisch interessierten Frauen Einblick zu nehmen. Nach zwei Monaten Bedenkzeit war ich bereit, zunächst „vorübergehend“ einzuspringen. Und so begann für mich – ungeahnt – ein neuer Lebensweg.“ (Ursula Schleicher,  Auf den Pfaden von Maria Probst - Begegnungen und Erinnerungen, S. 181).

Zu ihrem 90. Geburtstag am 28. Juli 1991 wurde ihr eine ganz besondere Ehre zuteil: Sie wurde zur ersten Ehrenbürgerin der Stadt Aschaffenburg ernannt. Sie verstarb am 17. Januar 1996 im hohen Alter von knapp 95 Jahren in ihrer Geburtsstadt. Auch posthum wurde Marielies Schleicher weiterhin geehrt: der Sozialdienst katholischer Frauen e.V. gründete im Jahr 1999 die Marielies-Schleicher-Stiftung in Aschaffenburg.

Der schriftliche Nachlass von Marielies Schleicher verteilt sich auf mehrere Archive. Der Nachlassteil im ACSP umfasst 1,2 laufende Meter Akten zu ihrer Arbeit im Landtag (1962-1974), in sozialen Einrichtungen (1970-1978), im Katholischen Frauenbund (1976-1984) und zu ihrem Engagement für die Vietnamflüchtlinge (1977-1979). Einzelne Briefe von Marieluise Fleißer überließ Marielies Schleicher dem Marieluise­ Fleißer­-Archiv in Ingolstadt. Ein weiterer Teil des Nachlasses von Marielies Schleicher wird im Bayerischen Hauptstaatsarchiv aufbewahrt. Er wurde dort aus dem Famlilienarchiv Dessauer (aus dieser Familie stammte Marielies Schleicher) herausgelöst.