Bayern im Herzen: Die Heimat der CSU

Michael Weigl

Heimat hat viele Facetten. Nüchtern betrachtet ist die Heimat der CSU die bayerische Landeshauptstadt, konkret ein schickes, mit viel Glas und Stahl aufwartendes Bürogebäude in der Mies-van-der-Rohe Straße 1 im Münchner Norden. Doch was heißt schon nüchtern? Hinter Adressen verbergen sich Geschichten, Architektur spricht immer auch eine symbolische Sprache. Und so ist schon die Geschichte der CSU-Heimstatt eine Geschichte mit Aussage.

Da ist die CSU dahoam

Aus einem repräsentativen Doppelhaus, errichtet auf dem 1959 durch die Partei erworbenen Grundstück Lazarettstraße 33/35 (heute Hanns-Seidel-Stiftung), zog die Landesgeschäftsstelle der Partei 1979 in das erst zehn Jahre später so getaufte „Franz Josef Strauß-Haus“ in der Münchner Nymphenburgerstraße, Hausnummer 64. Doch so gut der Klang dieser Adresse im zentralen Viertel Maxvorstadt war, so dumpf präsentierten sich die Räumlichkeiten. Gelegen in einem tristen, grauen Hinterhof, abgeriegelt vom lebhaften Straßenzug und gezeichnet vom „Charme einer DDR-Plattenbausiedlung“ (Wittl), war hier nichts zu spüren von einer bürgernahen Volkspartei. Der erneute Umzug der Parteizentrale Anfang 2016 in die Parkstadt Schwabing war so gleich in mehrfacher Hinsicht symbolträchtig: Die Partei öffnete sich auch architektonisch gesprochen, sie wurde transparenter und durchsichtiger. Sie wurde moderner, funktionaler und professioneller, aber auch verwechselbarer als ein Bürogebäude unter vielen. Und sie rückte aus dem Zentrum Münchens, nicht in die Peripherie, aber doch abseitiger der politisch-architektonischen Machtmagistralen der bayerischen Landeshauptstadt.

Facetten der Heimat

Die Adresse, dort, wo jemand wohnt, ist eine Facette von Heimat. Das, was jemand fühlt, eine andere. Über ihre Heimat im Herzen gab die CSU schon kurz nach ihrer Gründung in einer bis heute gültigen Weise Auskunft. In ihren 30 Punkten von 1946 bekannte sich die CSU „in treuer Liebe zu unserer bayerischen Heimat“, zu ihrem „selbstverständlichen Willen zur wirtschaftlichen und politischen Einheit Deutschlands“ und zur „Neugestaltung eines besseren, durch die gleichen Ideale geeinten Europas“. Zwar war die CSU mit dieser Idee, sich in Bayern und aus Bayern heraus für bayerische Belange einzusetzen, anfangs nicht allein. Auch Ministerpräsident Wilhelm Hoegner (SPD) bekundete beispielsweise 1946, dass „ein deutsches Reich (…) heute kaum mehr [bestehe], wohl aber wieder ein bayerischer Staat, den wir aufbauen müssen“ (zitiert nach Kock/Treml S. 404). Was die CSU von vielen anderen Parteien dieser Zeit abhob, aber war die Konsequenz, mit der sie sich – getrieben auch von der Konkurrenz der Bayernpartei – fortan als dezidiert bayerische Partei definierte. Nicht nur lehnte sie in Anknüpfung an die Tradition der Bayerischen Volkspartei (BVP) einen formalen Zusammenschluss mit der CDU ab und begründete so ihren Sonderstatus als in der bundesdeutschen Parteienlandschaft einzigartiges Hybrid aus Regional- und Bundespartei. Auch setzte sie mit der Ablehnung des Grundgesetzes im Bayerischen Landtag Ende Mai 1949 ein symbolisches Ausrufezeichen ihrer freistaatlichen und föderalistischen ‚Seele‘.

„CSU = Bayern“?

Tatsächlich verstand es die CSU lange Zeit, diesen Anspruch, Sprachrohr für ganz Bayern zu sein, zu realisieren. Nicht nur war sie in ihrer christlich-konservativen und vornehmlich ländlichen Wählerklientel für Jahrzehnte praktisch konkurrenzlos. Auch gelang es ihr zunehmend, in die ehemaligen Wählermilieus der Liberalen und Sozialdemokraten einzubrechen. Zwar hatte die CSU einen stets schwächeren Stand in Großstädten und in den ehemals sozialdemokratischen Hochburgen. Auch konnte sie bei Kommunalwahlen aufgrund der Konkurrenz durch freie Wählervereinigungen nie diese Dominanz wie auf landespolitischer Ebene erlangen. Eine andere Partei, die gleichermaßen über ein „gesamtbayerisches Sozialmilieu“ (Immerfall/Mintzel S. 15) regierte und so über Regionen und Schichten hinweg zu mobilisieren verstand, aber war nicht in Sicht. Die Formel „CSU = Bayern“ avancierte zum Selbstverständnis einer erfolgsverwöhnten Partei – und zur politisch-gesellschaftlichen Realität. Nicht nur war ein Bayern ohne die CSU undenkbar. Die CSU definierte auch mit, wie über Bayern gedacht und gefühlt wurde – einschließlich „Laptop und Lederhosen“.

Bayern in Deutschland und Europa

Dass es gelang, den Mythos der CSU als einziger Partei der bayerischen „Seele“ derart erfolgreich durchzusetzen, lag auch daran, dass sich die Partei niemals nur in Bayern zu Hause fühlte, sondern auch auf der großen Bühne der Bundes- und Europapolitik. Über 51 Jahre Regierungsverantwortung im Bund, zwei Kanzlerkandidaten (Franz Josef Strauß, Edmund Stoiber), 30 Bundesministerinnen und Bundesminister – stets wusste die CSU nicht nur den Freistaat, sondern auch Deutschland zu bewegen. In der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU besitzt die CSU gesicherte Einflussrechte, wie sie keiner anderen regionalen Gliederung einer Partei zustehen. Und im Koalitionsausschuss ist Bayern als einziges deutsches Land institutionell abgesichert vertreten – sei es durch den Parteivorsitzenden oder sogar, im Falle einer Personalunion von Parteivorsitz und Ministerpräsidentenamt, durch den bayerischen Landesvater. In Europa schließlich wuchert die CSU mit dem Anspruch, für eine der wirtschaftsstärksten Regionen innerhalb der Europäischen Union zu sprechen. Aufgrund des deutschen Föderalismus mit starken politischen Kompetenzen ausgestattet, sieht sich das CSU-regierte Bayern hier in einer Vorkämpferrolle für die Belange der europäischen Regionen und die Beachtung des europäischen Subsidiaritätsprinzips.

Heimat als Verpflichtung und Programm

Noch immer ist die CSU die einzige dezidiert bayerische Partei von Belang. Noch immer kann sie allein damit werben, bayerische Interessen in Bund und Europa effektiv Geltung zu verschaffen. Zwar hat sich auch der Heimatbegriff gewandelt. So wie die Gesellschaft vielfältiger geworden ist, so hat sich auch der Heimatbegriff individualisiert. Zwar ist der Heimatbegriff inzwischen auch im Freistaat der Logik des Parteienwettbewerbs unterworfen, interpretationsoffen und anschlussfähig für verschiedene Lebensstilmilieus. Die politische Interpretation von Heimat jedoch, wie sie die CSU seit jeher pflegt, hat an ihrer Aktualität nichts eingebüßt.

Für die CSU hat Heimat stets zweierlei bedeutet: Lebensgefühl wie Lebensqualität. Niemals blieb es dabei bei bloßen Hymnen auf Bayerns Natur und Kultur. Niemals nur bei Beschwörungen des „weiß-blauen“ Himmels. Immer war Heimatpolitik der CSU auch darauf gerichtet, Bayern in die Zukunft zu führen. Sie war für die CSU niemals nur Bekenntnis, sondern immer auch Verpflichtung und politisches Programm. Ziele ihrer Heimatpolitik sind so, das seit 2014 auch in der bayerischen Verfassung verankerte Gebot der „gleichwertige Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern, in Stadt und Land“ (Art.3 Abs. 2 BV) zu realisieren, Stand und Land miteinander zu versöhnen statt gegeneinander auszuspielen, die Vielfalt Bayerns auch in seiner Kultur zu bewahren und Tradition und Moderne miteinander in Einklang zu bringen.

Derart verstanden war und ist Heimat für die CSU Leitbild ihres politischen Denkens. Die Fortentwicklung Bayerns vom Agrar- zum High-Tech-Land ist ebenso eingebettet in ihre Heimatstrategie wie Maßnahmen zur Fortentwicklung aller bayerischer Regionen gleichermaßen oder die Förderung regionaler Kultur. Selbst das 2013 von Horst Seehofer gegründete bayerische Heimatministerium – hat – trotz seines Namens – wenig mit Volkstümelei zu tun, sondern stellt sich dem Auftrag, gleichwertige Lebensverhältnisse und Regionalkultur in Bayern zu fördern und zu sichern.

Wurde die CSU früher für ihre „Heimattümelei“ verspottet, hat sich das Blatt zwischenzeitlich gewendet. Das bayerische Heimatministerium hat sich Respekt und Anerkennung für seine Arbeit erworben, der Begriff der Heimat ist in aller Munde, ist „Lifestyle“ und Bekenntnis in Zeiten voranschreitender Globalisierung und Digitalisierung. Über den Wert von Heimat als korrigierende Verwurzelung in einer immer größer werdenden Welt herrscht inzwischen ebenso weitgehende Einigkeit wie hinsichtlich der Auffassung, dass sich Identität wesentlich aus Vielfalt speist und diese Vielfalt deshalb zu bewahren und zu fördern ist. Zwar hat sich das individuelle Verständnis von Heimat in Folge des Gesellschaftswandels pluralisiert. Das von der CSU seit jeher gepflegte Verständnis von Heimat als politischem Leitbild aber erlebt eine ungeahnte Renaissance.

Literatur

Die dreißig Punkte der Union. Richtlinien der Christlich-Sozialen Union in Bayern zur Überwindung der inneren und äußeren Not unseres Volkes, München 1946.

Stefan Immerfall/Alf Mintzel, Ergebnisse und Perspektiven der Forschung zur Parteienlandschaft in Bayern, in: Maximilian Lanzinner/Michael Henker (Hrsg.), Landesgeschichte und Zeitgeschichte. Forschungsperspektiven zur Geschichte Bayerns nach 1945, Augsburg 1997, S. 13-28.

Peter Jakob Kock/Manfred Treml, Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Manfred Treml (Hrsg.), Geschichte des modernen Bayern. Königreich und Freistaat, München 3. neu bearb. Aufl. 2006, S. 391-545.

Michael Minkenberg, Demokratische Architektur in demokratischen Hauptstädten: zur Symbolisierung und Verkörperung der Volkssouveränität im urbanen Raum, in: Julia Schwanholz/Patrick Theiner (Hrsg.), Die politische Architektur deutscher Parlamente, Wiesbaden 2020, S. 13-39.

Wolfgang Wittl, Netter Nachbar, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 1 v. 02./03.01.2016, S. R14.