Der bayerische Weg der Agrarpolitik

Silke Franke

Als Hans Eisenmann im März 1969 das Amt als Bayerischer Staatsminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten übernahm, stand die Agrarpolitik in Europa vor der Notwendigkeit, Kurskorrekturen vorzunehmen. Nach dem Krieg galt es, in Europa rasch die Nahrungsmittelproduktion zu steigern und der bäuerlichen Bevölkerung ein Einkommen zu sichern. Dank staatlicher Abnahme- und Preisgarantien für Milch, Getreide und Fleisch wurde aus der Unterversorgung jedoch schon bald eine Überproduktion. Ein immer höherer Anteil des Finanzhaushaltes musste für die Subventionierung bereitgestellt werden. Und doch reichten die Stützpreise nicht aus, das Höfesterben zu bremsen.

Der „Mansholt Plan“: Wachsen oder Weichen!

Vor diesem Hintergrund legte Agrarkommissar Sicco Mansholt im Dezember 1968 ein Memorandum zur Reform der Landwirtschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vor. Der Plan, der so allerdings nie verwirklicht wurde, sah rigorose Maßnahmen vor. Demnach sollte u.a. durch Landaufgabeprämien gut die Hälfte der zehn Millionen Landwirte dazu gebracht werden, aufzugeben. Unrentable Höfe sollten modernen, rationell organisierten Produktionseinheiten mit Mindestgrößen Platz machen: Wachsen oder Weichen! Stillgelegte Flächen sollten in Naturschutzparks oder Wald verwandelt werden.

Gerade für Bayern mit seinen klein- und mittelbäuerlichen Betriebsstrukturen und vielen von Natur aus benachteiligten Gebieten hätte sich dieser Plan drastisch ausgewirkt. Mit nur mehr 50.000 Betrieben (statt 375.000) und gerade mal der Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche wären weite Teile des Landes verödet.

Der „Bayerische Weg“ als Gegenentwurf

Eisenmann stemmte sich gegen einen solchen rein auf Produktivität und Rentabilität ausgerichteten Zeitgeist mit dem Hinweis, dass der moderne Mensch damit „auf dem besten Wege ist, seine Umwelt und seine Lebensgrundlage zu zerstören“. Der CSU-Politiker, selbst Agraringenieur, entwickelte mit dem Gesetz zur Förderung der bayerischen Landwirtschaft einen Gegenentwurf, den „Bayerischen Weg“. Statt die Agrarpolitik allein auf Vollerwerbsbetriebe auszurichten, befürwortete er die betriebliche Vielfalt aus Voll-, Zu- und Nebenerwerb. Bäuerliche Landwirtschaft sollte weiterhin eine Zukunft haben und damit auch eine breite Eigentumsstreuung und einen schonenderen Umgang mit dem Boden garantieren.

Um die Erzeugungskosten zu senken und die Arbeitsproduktivität zu steigern, setzte er auf überbetriebliche Zusammenarbeit. Selbsthilfeeinrichtungen wie Maschinen- und Erzeugerringe sollten daher staatlich unterstützt werden, ebenso Ausbildung, Fortbildung und Beratung. Um den Menschen auch außerhalb der Landwirtschaft Bleibeperspektiven zu eröffnen, sollten gezielt Gewerbe auf dem flachen Land angesiedelt, Programme der ländlichen Entwicklung ausgebaut werden.

Bayerische Agrarpolitik als Gesellschaftspolitik

Als er seine Pläne am 18. April 1970 im Bayerischen Landtag vorstellte, erhielt er einstimmig Unterstützung. Später sollte man feststellen, dass sein Ansatz den Strukturwandel freilich nicht aufhalten, aber sozial verträglich abfedern konnte. Bemerkenswert ist, dass sich der Staatsminister dabei explizit auf christlich-philosophische Maxime berief, auf Ehrfurcht vor der Schöpfung und Achtung der Mitmenschen, wie er etwa 1987 auf der Fraueninsel darlegte: „Diese Politik wird bestimmt von einer Partei, die sich nicht nur im Namen zur christlichen Weltanschauung bekennt, sondern das auch in der Praxis umsetzen will“. Er folgte von Anfang an einer ganzheitlichen Sicht und arbeitete die besondere Bedeutung des ländlichen Raums im Flächenstaat Bayern sowie die Leistungen der Landwirtschaft für die Gesellschaft heraus. Sein Bayerischer Weg ging über rein agrarökonomische Ziele hinaus und umfasste auch ökologische, soziale und kulturelle Wechselwirkungen. Die Ausgleichsfunktion der Natur, der Wert gepflegter Kulturlandschaften und die Sicherheit der Nahrungsversorgung waren für ihn genauso Themen wie die Ernährung oder die Lebensqualität auf dem Land.

Der Weg geht weiter

Damit griff er Themen auf, die damals noch nicht auf der allgemeinen Agenda standen. Indem er z.B. den Beitrag der Landwirtschaft für die Kulturlandschaft hervorhob, schuf er einen neuen Begründungszusammenhang für ihre Förderung. Außerdem initiierte er – auf wissenschaftlicher Grundlage – Ausgleichszahlungen für benachteiligte Standorte. Der Waldfunktionsplan und das Waldgesetz gingen zum ersten Mal auf Schutzfunktionen ein. Viele der aktuellen Förderprogramme gehen damit auf sein Gedankengut zurück. „Viele Menschen denken noch heute voller Respekt an ihn“ (Franke).

Der Bayerische Weg hat sich bewährt, auch die nachfolgenden Regierungen und Agrarminister beziehen sich auf ihn, einem Bekenntnis gleich. So heißt es auch im Koalitionsvertrag von 2018, Bayern solle weiterhin ein von der Landwirtschaft geprägtes Land bleiben. Man wolle keine spekulationsgetriebene Landwirtschaft und stehe zu seinen bäuerlichen familiengeführten Betrieben: „Wir gehen den Bayerischen Weg in der Landwirtschaft weiter“.

Die CSU und die Agrarlobby

Immer wieder hat sich die Partei auch gegen größte Widerstände für die bayerischen Bauern eingesetzt, um neue Vorgaben der EU- und Bundesebene abzumildern (siehe Hinterberg). So etwa bei der Einführung der Mengenbegrenzung für Milch in den 1980er- und der Direktzahlungen in den 1990er-Jahren, bei der Agrarhandelsliberalisierung im Zuge der Agenda 2000 oder den folgenden Vorstößen, die die Landwirte an strengere Umwelt- und Tierschutzauflagen binden sollten. Dennoch war die Beziehung nicht immer harmonisch. Gab es zu ihren Gründungszeiten noch einen engen Kontakt und personelle Überschneidungen zwischen CSU (bzw. Union) und Bauernverband, lockerte sich die exklusive Verbindung mit der Zeit.

Die landwirtschaftlichen Strukturen in Deutschland sind sehr heterogen, sie reichen von großen Agroindustriebetrieben und High-Tech-Spezialisten über Biolandwirte bis zu Familienbetrieben und Hobby-Bauern. Das macht es immer komplizierter, alle Interessen unter einen Hut zu bekommen. So kam es auch im Bauernverband zu Abspaltungen, etwa 1980 mit der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und 1998 mit dem Bundesverband Deutscher Milchviehhalter.

Wir haben es satt!

Nach wie vor hat die CSU ein Ohr für die Landwirte, aber sie muss dabei nun mehrere Interessensvertreter einbeziehen und registrieren, dass sich Landwirtschaft und Verbraucher zunehmend entfremdet haben, obwohl die bayerische Staatsregierung sehr früh begann, Bauernmärkte, Direkt- und Regionalvermarktungen zu unterstützen, die Produkte heimischer Landwirte mit Herkunfts- und Qualitätssiegeln auszuzeichnen und die Diversifizierungsstrategien wie Urlaub auf dem Bauernhof und andere Erlebnisangebote auszubauen. Zwischen dem von der Werbung gezeichneten Bild traditioneller kleinbäuerlicher Hofromantik und der knallhart in den globalen Wettbewerb eingebundenen realen Landwirtschaft hat sich eine Kluft aufgetan.

Seit 2011 protestieren Umwelt-, Natur- und Tierschutzverbände, z.T. auch Landwirte, gegen Agrarindustrie und Massentierhaltung und postieren sich mit ihren Bannern „Wir haben es satt“ alljährlich vor den Hallen der Grünen Woche, aber auch vor den Eingängen von Parteitagen und größeren Parteiveranstaltungen. Das im Jahr 2018 initiierte Volksbegehren „Rettet die Bienen“ wurde zum bis dahin erfolgreichsten in Bayern. Die meisten Änderungen im Naturschutzgesetz, welche im August 2019 dann auch in Kraft traten, betreffen die Wirtschaftsweise der Landwirte.

Diese fühlten sich als Buhmänner der Nation, für ihre Tierhaltung angeprangert, obwohl nach wie vor die meisten Konsumenten Fleisch essen, und durch immer schärfere Düngeverordnungen gegängelt, obwohl sie sich an die „gute landwirtschaftliche Praxis“ halten. Zudem sehen sie sich durch Globalisierung und Klimawandel zusätzlichen Risiken ausgesetzt. Sie reagieren nun ihrerseits mit grünen Feldkreuzen auf den Fluren und Protestfahrten in die Städte, organisiert von der Bewegung „Land schafft Verbindung“.

Der Anteil der Landwirte an den Erwerbstätigen war 1970 bereits auf 13,2 Prozent zurückgegangen und liegt heute nur mehr bei 1,8 Prozent (Agrarbericht 2018). Für CSU und Regierungspartner FW bleiben sie eine wichtige Wählergruppe, um die nun auch die AfD stark buhlt. Ministerpräsident Markus Söder und Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber stellen sich also der aufgebrachten Menge, laden zum Runden Tisch ein und führen viele Gespräche – sowohl mit den Landwirten wie auch mit den Naturschützern. Die CSU versucht, die entstandenen Gräben zuzuschütten, aber sie kann sich nicht mehr ausschließlich auf ihre Seite schlagen, wie Kaniber gegenüber dem Bayerischen Bauernverband auf dessen Landesversammlung im November 2019 deutlich machte.

Literatur

Silke Franke, Dr. Hans Eisenmann als Vorbild. Bericht zum Workshop in der Hanns-Seidel-Stiftung, September 2012
[http://www.akademie-bayern.de/events_archiv_detail.php?i=42&y=2012].

Hans Hinterberger, Die CSU als Gralshüter landwirtschaftlicher Interessen?, in: Gerhard Hopp, Martin Sebaldt, Benjamin Zeitler (Hrsg.), Die CSU. Strukturwandel, Modernisierung und Herausforderungen einer Volkspartei, Wiesbaden 2010, S. 99-120.

Alfred Schuh, Otto Bauer (Hrsg.), Hans Eisenmann – Ein Leben für seine bayrische Heimat.
Dokumente bayerischer Agrarpolitik 1969-1987, Pfaffenhofen 1988.

Henry Stern, Bayerns Agrarministerin Michaela Kaniber legt sich mit den Bauern an, in: Augsburger Allgemeine vom 29.11.2019.