Beiträge der CSU zur Deutschen Einheit im Jahr 1989 - Ein Bericht

Theo Waigel


Auf der Klausurtagung des CSU-Landesvorstands am 11. September 1989 stellte ich die Notwendigkeit in den Vordergrund zu konkretisieren, wie nach unserer Vorstellung ein vereinigtes Deutschland aussehen könne: Gesamtstaat oder Konföderation, Blockzugehörigkeit, EU-Mitgliedschaft, Garantie der Großmächte. Wir mussten nach meiner Auffassung schon damals das Thema “Wiedervereinigung" wieder auf die Tagesordnung der Ost-West-Gespräche setzen.

    Die Position der CSU in der Deutschlandpolitik im Herbst 1989

    Am 30. Oktober 1989 beschrieb ich auf einer Sitzung des CSU­Landesvorstands die Grundsatzposition der CSU wie folgt:

    1. Festhalten am Selbstbestimmungsrecht, Deutsche Einheit, Staatsbürgerschaft und Friedensvertragsvorbehalt,
    2. pragmatische Zusammenarbeit mit dem SED-Regime im Interesse der Menschen,
    3. Aufrechterhaltung der Kontakte mit allen Gruppierungen in der DDR, um unser Ziel zu realisieren,
    4. öffentliche Rückendeckung für die Bürger in der DDR, die sich auf der Straße für Reformen einsetzen,
    5. Fortsetzung der Diskussion über die Deutsche Frage, denn die Reformprozesse im Osten böten die Chance für eine schrittweise Lösung der Deutschen Frage,
    6. Verknüpfung weiterer wirtschaftlicher Hilfen mit wirtschaftli­chen und politischen Reformen in der DDR.

    Das Gebot der Stunde heißt: Über Deutschland reden

    Auf dem Deutschlandtag der Jungen Union am 5. November 1989 in Erlangen nahm ich erneut zur Deutschen Frage Stellung: Der Wechsel von Erich Honecker zu Egon Krenz löse die Probleme nicht. Reformen in der DDR müssten letztlich freie Wahlen über Gesamtdeutschland umfassen. Die Unionsparteien müssten das Thema „Deutsche Einheit" besetzen, nachdem in den USA Präsident Bush, seine Außenminister Baker, Henry Kissinger, aber auch die polnische Solidarnosc und Deutsche wie Martin Walser, Reiner Kunze und nicht zuletzt Helmut Schmidt dieses Thema nachdrücklich angesprochen hätten. Wir müssten am Selbstbestimmungsrecht aller Deutschen festhalten und das Ziel der Herstellung der Deutschen Einheit nie aus den Augen lassen. Dazu sei es erforderlich, durchgreifende Reformen zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion zu machen, die DDR-Opposition zu unterstützen und die Deutsche Frage in internationalen Gremien aufzuwerten.

    Deshalb wurde der Leitantrag zur Deutschlandpolitik, den wir auf dem CSU-Parteitag am 17./18. November 1989 in München verabschiedeten, ergänzt mit der Forderung nach freien Wahlen in der DDR sowie mit der Aufforderung an den Bundeskanzler, diese Forderung einschließlich des Rechts auf Selbstbestimmung vor dem Europaparlament, dem Europarat und der UNO-Vollversammlung zu erheben.

    Die Deutschlandpolitik war auch ein zentrales Thema der CSU-Landesvorstandssitzung am 11. Dezember 1989. Ich begrüßte dabei ausdrücklich das 10-Punkte-Programm des Bundeskanzlers, womit er das Gesetz des Handelns in die Hand genommen habe. Es sei der geeignete Ansatz zu Herstellung der Einheit. Es schien mir wichtig in diesem Zusammenhang, der Distanz unserer Verbündeten die bestehenden Abmachungen und Zusagen entgegenzusetzen. Im Deutschlandvertrag hatten sich die Westmächte 1952 zum Ziel eines wiedervereinigten Deutschlands bekannt. Im „Harmel-Bericht" hatten die NATO-Staaten 1967 die Lösung der Deutschen Frage und die Überwindung der Teilung Deutschlands zum Kernpunkt einer europäischen Friedensordnung erklärt. Im NATO-Kommuniqué vom 30. Mai 1989 bekannten sich die Partner zum Ziel der Deutschen Einheit in freier Selbstbestimmung und in der deutsch-sowjetischen Erklärung vom 13. Juni 1989 betonte auch Michael Gorbatschow die Achtung des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Ich verwies in diesem Zusammenhang allerdings auch darauf, dass die Anerkennung der Westgrenze für Polen zur Entscheidung anstehe, sobald ein gemeinsamer Souverän auf deutschen Boden bestehe.

    Die Deutsche Frage auf der Tagesordnung der Weltpolitik

    Beim einer Veranstaltung, dem Internationalen Strategiesymposium der Hanns-Seidel- Stiftung am 19. November 1989, verwies ich auf den Freiheitswillen der Bürger in der DDR, die die Öffnung der Mauer herbeigeführt hätten. Damit sei die Deutsche Frage wieder auf die Tagesordnung der Weltpolitik gesetzt. Die Reformbewegungen in Ungarn und Polen seien am Weitesten fortgeschritten. Am 23. Oktober 1989 war die Ausrufung der Republik Ungarn mit den Worten beschlossen worden: „Heute ist Ungarn nach Europa zurückgekehrt." So lautete ein Transparent, das ungarische Bürger bei den Feierlichkeiten zur Proklamation der Republik mitführten.

    Die Wahl des ersten nichtkommunistischen Regierungs-Chefs Tadeusz Mazowiecki in Polen, die Einführung des politischen Pluralismus und die Absicht, die polnische Volkswirtschaft nach marktwirtschaftlichen Prinzipien zu organisieren, zeugten vom Transformationsprozess in diesem Land. Das war auch der Grund, warum Helmut Kohl der Volksrepublik Polen Hilfen zusagte. Wieder nahm die Deutsche Frage einen Großteil meiner Ausführungen ein. Die Sorgen einzelner Stimmen über den Kurs Deutschlands seien unbegründet. Auch im Falle einer Wiedervereinigung werde sich an der Westintegration nichts ändern. Die Wirtschaftskraft eines wiedervereinigten Deutschlands werde allen Mitgliedern der Europäischen Gemeinschaft und darüber hinaus auch unseren östlichen Nachbarn zugutekommen. Die Menschen in der DDR müssten die Gelegenheit haben, in freier Abstimmung über die Wiederherstellung der staatlichen Einheit zu entscheiden. Sollten sie sich gegen eine Wiedervereinigung aussprechen, hätten wir dies zu akzeptieren. Ich verwies aber auch darauf, dass die große Ausstrahlungskraft der Europäischen Gemeinschaft und der westlichen Demokratien die politischen Umwälzungen erst möglich gemacht hätten. Wir würden uns auch dem Wunsch osteuropäischer Länder wie Polen und Ungarn nicht verschließen, eine stärkere Anbindung an die EG zu gewinnen. Damit könnte ein gemeinsames europäisches Haus erreicht werden, in dem auch das wiedervereinigte Deutschland seinen Platz hätte.

    Interne CSU-Überlegungen über mögliche Entwicklungen in der DDR

    Schon Anfang November 1989 hatte ich eine interne CSU-Studie vorbereitet, wie wir auf mögliche Entwicklungen in der DDR reagieren sollten. Ich war mir darüber im Klaren, dass eine Politik der halbherzigen Zugeständnisse, wie Krenz sie verfolgen wollte – also eine begrenzte Liberalisierung bei grundsätzlichem Festhalten am Machtmonopol der SED und der Zentralplanwirtschaft –, den Druck auf der Straße und die Fluchtwelle noch verstärken würden. Am ehesten war eine Revolution von oben mit Aufgabe des SED­Machtmonopols und wirtschaftliche Reformen in Anlehnung an Polen und Ungarn zu erwarten. Eine Defensiv-Strategie, nämlich die Stabilisierung des gegenwärtigen Systems, kam für mich nicht in Betracht. Abwehrmaßnahmen gegen Übersiedler durch Einschränkung bei Sozialleistungen, Verzicht auf Diskussion über Wiedervereinigung und materielle Unterstützung der DDR ohne Gegenleistung lehnte ich ab.

    Unverzichtbar waren

    • politische Reformen in der DDR: Zulassung eines Mehrparteiensystems, demokratische Wahlgesetze, Schaffung demokratischer Legitimität, Gewährung des Selbstbestimmungsrechts mit freien Wahlen der DDR-Bevölkerung und letztlich freie Wahlen in Gesamtdeutschland mit einer Entscheidung über die Wiedervereinigung.
    • Dies musste begleitet sein von gesellschaftlichen Reformen, wie der Gewährung von Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Reisefreiheit und Vereinigungsfreiheit, und wirtschaftlichen Reformen durch Abkehr von der zentralen Planung, Dezentralisierung der Entscheidungsstrukturen, Zulassung privater Eigentumsformen, Übergang zu leistungsorientierter Entlohnung, Abbau der Monopolstellung der Kombinate und Herstellung eines Systems freier Preise bei Abbau der Subventionswirtschaft.
    • Dazu gehörte eine neue Ordnung des Geldwesens durch Abbau des Geldüberhangs und durch Schaffung einer konvertiblen Währung, wobei auch über die Zulassung der D-Mark als Parallelwährung nachgedacht werden sollte.

    Im Vertrauen auf die Kräfte der Marktwirtschaft erwartete ich einen Leistungsschub in der DDR, ähnlich dem Wirtschaftswunder Ludwig Erhards in den 1950er-Jahren. Zu diesem Zeitpunkt hielt ich eine Erhöhung der Lohn- und Einkommensteuer oder einen Zuschlag zur Lohn- und Einkommensteuer in Form einer Ergänzungsabgabe für kontraproduktiv. Dies entsprach auch der Auffassung der Deutschen Bundesbank, des Sachverständigenrats und der SPD. Als wirksamste Wirtschaftshilfe für die DDR hielt ich den Export unseres Konzepts der sozialen Marktwirtschaft. Eine marktwirtschaftliche Reform allerdings müsste die DDR selbst durchführen. Schon damals hielt ich ein deutschlandpolitisches Gesamtkonzept über die künftige Form von Gesamtdeutschland für notwendig. Grundlage musste das Selbstbestimmungsrecht sein. Die Errichtung eines Gesamtdeutschlands mit militärischem Status wie Österreich und gleichzeitig voller Einbindung in die EU – ein Gedanke der damals auch aktuell war –, lehnte ich kategorisch ab.

    In einer Rede im Deutschen Bundestag am 16. November 1989 stellte ich fest, die wirksamste Wirtschaftshilfe der DDR bestehe in der Einführung marktwirtschaftlicher Konzepte. Dabei ging ich auch auf jene Stimmen ein, die meinten, wir könnten von der DDR viel lernen. Dies widerlegte ich durch einfache Zahlenbeispiele. Die durchschnittliche Altersrente belief sich 1987 in der DDR auf monatlich 377,- Mark (Ost-Mark). Ausnahmsweise unterstützte ich die Meinung des Herausgebers und Chefredakteurs des Spiegel, Rudolf Augstein: „Wenn die Nachkriegsordnung mit einer anderen Welt schwanger geht, dann werden am Ende dieser langwierigen und schmerzhaften Geburt nicht zwei Deutschländer stehen." Im Hinblick auf die Völker in Osteuropa biete die föderalistische Struktur einer Europäischen Union die Möglichkeit, nationalstaatliche Grenzen zu überwinden ohne dabei auf wirtschaftliche oder kulturelle Sonderentwicklungen in den Regionen zu verzichten.

    Vorbereitungen für eine parteipolitische Neuordnung – Gründung der DSU

    Noch im Dezember 1989 hatte ich mich mit Bürgerrechtlern aus der DDR und mit einigen Persönlichkeiten, von denen ich wusste, dass sie das kommunistische System ablehnten, getroffen. Aus dem Gespräch ließ sich kaum ableiten, wie die künftige politische, vor allen Dingen parteipolitische Struktur in der DDR aussehen konnte. Mir ging es vor allem um die Frage, ob die bisherigen Parteien der DDR Akzeptanz finden würden oder ob es völliger Neugründungen bedürfe, um das politische Willensbild der DDR darzustellen. Damals hatte ich den Eindruck, dass wohl Neugründungen, die völlig unabhängig vom bisherigen Parteiensystem der DDR waren, wie auch unabhängig von Parteien der Bundesrepublik Deutschland die größten Aussichten für die Zukunft besäßen. Das war ein Irrtum. Überall in der DDR, vor allem aber in Sachsen und Thüringen, entstanden spontane Parteigründungen unter besonderer Bezugnahme und Nähe zur CSU. Einzelpersonen und Gruppen aller oppositioneller Richtungen der DDR frequentierten damals die Landesleitung in München oder Bundeswahlkreisgeschäftsstellen vor allem in Grenznähe. Mitglieder aus Basisverbänden des Neuen Forums, aber auch Vertreter der neuen Sozialdemokratischen Partei erklärten ihre Bereitschaft, in eine nichtsozialistische Partei überzutreten. Auch im "Demokratischen Aufbruch" und bei "Demokratie Jetzt" gab es eine Reihe von Personen, die der CSU politisch nahestanden. Ebenso suchten Mitglieder der Ost­CDU den Kontakt zur CSU, nachdem Generalsekretär Erwin Huber auf dem Ost-Berliner Parteitag der CDU aufgetreten war. Viele CSU-nahe Gruppierungen wollten bewusst eine Distanz zur alten Blockpartei Ost-CDU und sie wollten über die CSU die Strahlkraft des Modells „Bayern“ auch in der DDR nutzen.

    Das „C" erschien in diesem Zusammenhang auch in einer in weiten Bereichen atheistischen DDR-Gesellschaft nicht störend. Es gab aber auch eine andere Richtung, die sich strikt gegen eine Einmischung der CSU aussprach und nach einer anderen Bezeichnung für eine neue Partei suchte. Dabei wurden CSPD, CSP, aber auch PWD (Partei für die Wiedervereinigung Deutschland) und Freie Deutsche Union (FDU) ins Kalkül gezogen. Zeitgleich wurde schon die Forumspartei Thüringen am 29. Dezember gegründet, die der CSU nahestand. Wir konnten diesen Gruppen nur mitteilen, dass die CSU Bayern alle Kräfte in der DDR unterstützen werde, die für den demokratischen Rechtsstaat, für die soziale Marktwirtschaft und für die bundesstaatliche Einheit Deutschlands eintreten.

    Im Dezember, vom 15. bis 17.12.1989, weilte eine Delegation der Jungen Union in Leipzig, um den Gründungsparteitag des Demokratischen Aufbruchs zu beobachten und Kontakte zu bürgerlichen Kräften in der DDR herzustellen bzw. zu vertiefen. In Gesprächen mit Pfarrern und Freundeskreisen wurde die Unübersichtlichkeit der bisherigen lokalen C­ lnitiativen diskutiert. Der 6. Januar 1990 wurde als Termin für ein erstes informelles Treffen möglichst vieler Vertreter solcher derartigen Strömungen vorgesehen. Die CSU-Landesleitung informierte alle Initiativen über diesen Termin, gleichzeitig wurden die Organisatoren ersucht, mit dem Leipziger Pfarrer Hans-Wilhelm Ebeling in Kontakt zu treten. Am 6. und 7. Januar 1990 fand im katholischen Pfarrheim zu Leipzig/Wiederitzsch die Gründung einer CSU-FDU statt. Anwesend war eine JU-Delegation aus Niederbayern mit den JU-Bezirksvorsitzenden Wolf und Otto Altendorfer. Pfarrer Ebeling vertrat die Meinung, der Name CSU sei in Leipzig und im Norden der DDR nicht zugkräftig genug. Er behauptete, mit Kurt Masur in Verbindung zu stehen, der sich zwar parteipolitisch nicht binden wolle, aber ihm und seiner Bewegung nahe stünde. Es gab scharfe Auseinandersetzungen zwischen Joachim Hubertus Nowack und Ebeling über die Namenswahl und den künftigen Kurs. Später kam es dann zu einer Parteigründung unter dem Namen „DSU" - Deutsche Soziale Union. Dazu hatten die CSU-Politiker Otto Wiesheu und Eduard Lintner gedrängt. Auch Professor Hansjoachim Walther, der spätere Vorsitzende der DSU und zeitweilige Bundesminister ohne Geschäftsbereich, hatte sich mit einem Appell in diesem Sinn an die Anwesenden gerichtet. Pfarrer Ebeling wurde zum ersten Vorsitzenden gewählt, Professor Walther (Thüringen), Martin Wisser (Mecklenburg) und Dr. Nowack (Sachsen) per Akklamation zu seinen Stellvertretern. Der stellvertretende CSU-Vorsitzende und Bundesminister Dr. Jürgen Warnke betonte in einem Grußwort die politische und weltanschauliche Nähe zur CSU.

    Sondermaschine nach Leipzig

    In dieser historisch bewegenden Zeit fand am 11. Januar 1990 die Klausurtagung der CSU-Landesgruppe in Wildbad Kreuth statt. Eingeladen war Dr. Gyula Horn, der Minister für Auswärtige Angelegenheiten Ungarns, der wenige Monate zuvor den Stacheldraht zwischen Ungarn und Österreich durchschnitten hatte. Wir entschlossen uns spontan, nicht im idyllischen Wildbad Kreuth zu verharren, sondern am nächsten Tag mit einer Sondermaschine nach Leipzig zu fliegen, um dort mit den sich neu etablierenden demokratischen Kräften zu diskutieren und zu überlegen, welchen Beitrag die CSU zur Parteienbildung und demokratischen Stabilisierung Ostdeutschlands beitragen könne. 45 Mitglieder der Landesgruppe nahmen dabei unter Führung des Landesgruppenvorsitzenden Wolfgang Bötsch teil. Als Gäste hatten wir noch eingeladen den Fraktionsvorsitzenden der CSU im Bayerischen Land­ tag Alois Glück, Staatssekretär Alfred Sauter, den Landtagsabgeordneten Dr. Otto Wiesheu (der sich im Besonderen um die neuen Kräfte in der DDR bemühte) und der Europäische Kommissar Peter Schmidhuber. 25 Journalisten waren mitgeflogen und 50 Persönlichkeiten aus verschiedenen Parteien und Gruppierungen vor Ort waren der Einladung gefolgt. Es kamen schließlich insgesamt 120 Vertreter von Oppositionsparteien und wirtschaftlichen und sozialen Gruppierungen zusammen. Zuvor hatte ich noch in Ostberlin Ministerpräsident Hans Modrow getroffen.

    Meine Aufforderung ging dahin, die nichtsozialistischen Kräfte zu bündeln, um gegenüber der SED (später PDS) bestehen zu können. Als wichtigste Ansprechpartner stellten sich bei diesem Treffen, und auch danach, der neue Vorsitzende der DSU Hans-Wilhelm Ebeling und sein Generalsekretär Dr. Peter-Michael Diestel heraus. Beide wurden nach den demokratischen Volkskammerwahlen Minister in der Regierung von Lothar de Mazière, Ebeling für Entwicklungshilfeminister und Diestel Innenminister. Beide wechselten später in die CDU über, weil sie in der DSU ihre persönlichen Ambitionen und politischen Perspektiven nicht auf die Dauer verwirklicht sahen.

    Einmalige Erlebnisse im Leben eines Politikers

    Im Wahlkampf zur ersten freien Volkskammerwahl am 18. März 1990 kam es zu einmaligen Erlebnissen im Leben eines Politikers. Nach dem Gründungskongress der DSU in Leipzig fanden dort am 16. und 17. Februar 1990 in Anknüpfung an die Gespräche vom Januar 1990 die "Leipziger Unionsgespräche" statt. Für 17.00 Uhr war eine Kundgebung angesagt. Eine Stunde zuvor hatten sich auf dem großen Platz vor dem Theater nur eine Handvoll Menschen versammelt. Ich machte noch einen Spaziergang zum Bahnhof und rechnete schon mit einem bescheidenen Verlauf der öffentlichen Kundgebung. Plötzlich entdeckte ich, dass sich immer mehr Menschen auf den Weg zu dem Kundgebungsplatz machten. Als wir gegen 17.00 Uhr die Kundgebung eröffneten, waren es fast 70.000 Menschen, die sich dort versammelt hatten. Als CSU­Repräsentant erwartete man von mir klare politische Aussagen. Aber angesichts der Dramatik dieser Zeit und ihrer Bedeutung für die Zukunft Deutschlands wägt man jedes Wort ab, zumal niemand wusste, wie sich die nächsten Monate entwickeln, wie wir die Herausforderungen bewältigen würden und welche Haltung die Sowjetunion einnehmen würde. Am Ende der Menschenmenge sah ich ein großes Plakat, das in die Höhe gehalten wurde: „Tausche Ost-Mark und Luft (DDR­Wirtschaftsministerin) gegen D-MARK und Waigel." Ich gebe gerne zu, dass mir dieses Transparent ausnehmend gut gefallen hat und bis heute einen wichtigen Platz in meiner Erinnerung einnimmt.

    Ähnliche Kundgebungen fanden in einer Reihe anderer Städte statt. Bei strömendem Regen fuhr ich an einem Samstag von Regensburg nach Chemnitz. Ich erwartete ein Häuflein Anhänger, mehr war bei diesem Wetter nicht zu erhoffen. Es waren 30.000 bis 40.000 Menschen, die im Regen ausgeharrt hatten, um dem Vorsitzenden der Christlich-Sozialen-Union zuzuhören. Als ich in die durchnässten Gesichter sah, wurde mir wiederum bewusst: Wir dürfen diese Menschen nicht enttäuschen. Sie haben Jahre und Jahrzehnte auf diese Stunde gehofft und erwarten zu Recht, dass ihre Erwartungen auch erfüllt werden.

    Keine bundesweite Ausdehnung der CSU

    Die DSU hatte sich im Interesse der gemeinsamen Sache für die Volkskammerwahl im März 1990 zu einem Wahlbündnis „Allianz" mit dem „Demokratischen Aufbruch" und der Ost-CDU bereit erklärt. Dies war ein breites Bündnis, um Helmut Kohl zu unterstützen, der nach unserer Auffassung auch erster gesamtdeutscher Bundeskanzler werden sollte. Bis zu diesem Zeitpunkt waren viele unserer Freunde davon ausgegangen, dass die Christdemokraten und die Liberalen zwar die Voraussetzungen für die Wiedervereinigung geschaffen hatten, die Ernte aber von der SPD eingefahren würde, die ja auch vor 1933 die bestimmende Kraft in Ostdeutschland gewesen war. Umso überraschender war das Ergebnis. Die CDU erreichte 40,91% und wurde damit zur weitaus stärksten Partei in die Volkskammer gewählt. Der „Demokratische Aufbruch" blieb mit 0,92% weit hinter seinen Erwartungen zurück. Die „Deutsche Soziale Union" konnte 6,32% erreichen und wurde damit zu einem wichtigen Koalitionspartner der CDU. Lothar de Mazière, der Spitzenkandidat der CDU in der DDR, bildete zunächst eine Große Koalition aus CDU, SPD, DSU und DA (Demokratischer Aufbruch). Später verließen die Sozialdemokraten diese Koalition. Umso wichtiger war es, dass die CDU gemeinsam mit der DSU über eine Mehrheit in der Volkskammer verfügte.

    Die DSU war auch die treibende Kraft für einen möglichst schnellen Anschluss der DDR nach Artikel 23 Grundgesetz an die Bundesrepublik Deutschland. Mehrfach stellte sie diesen Antrag in der Volkskammer und setzte damit auch die CDU unter politischen Druck. Im Verlauf der Legislaturperiode wurde allerdings das Werben der CDU um Spitzenleute der DSU immer stärker erkennbar. Am 1. Juli 1990, als die D-Mark in Ostberlin eingeführt wurde, bat mich noch der damalige Minister Ebeling im Kabinett de Mazière, ihn beim Umwechseln seines ersten DM-Geldes zu begleiten. Auf der Heimfahrt nach Bayern erfuhr ich dann, dass er am gleichen Tag seinen Übertritt zur CDU vollzogen hatte, ohne mir bei unserer Begegnung ein Sterbenswörtchen gesagt zu haben. Auch der Generalsekretär der DSU, Diestel, vollzog seinen Wechsel zur CDU wie eine Reihe anderer Mandatsträger. Sie waren von der Sorge beherrscht, dass die DSU nicht auf die Dauer ohne direkte Anbindung an eine Westpartei überleben werde. Leider kam es auch innerhalb der DSU zu erheblichen Auseinandersetzungen über den künftigen Kurs. Nachdem eine Verbindung der Listen von CSU und DSU für die Bundestagswahl Ende des Jahres vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde, vollzog sich der Niedergang der DSU bei den folgenden Wahlen.

    Die inneren Auseinandersetzungen und einige merkwürdige Richtungswechsel in das rechte Spektrum der deutschen Politik veranlassten mich, den Ehrenvorsitz der DSU zurückzugeben. Mit dem Erfolg der DSU bei den Volkskammerwahlen hat die CSU auch ihren Beitrag zum politischen Prozess in der DDR im Jahr 1990 geleistet. Sie hat zudem darauf verzichtet, sich in der DDR oder den neuen Bundesländern als Konkurrenz zur CDU darzustellen. Für mich war 1990 die Haltung bestimmend, die ich schon 1976 beim Kreuther Trennungsbeschluss vertreten hatte: Wenn CDU und CSU in den neuen Bundesländern in gegenseitiger politischer Konkurrenz gestanden hätten, wäre diese Auseinandersetzung auch in der übrigen Bundesrepublik nicht ausgeblieben. Der lachende Dritte wäre die Sozialdemokratische Partei gewesen. Im Interesse der Einheit der Union verzichteten wir damals auf eine mögliche Ausdehnung nach Sachsen und Thüringen. Im Nachhinein war diese Entscheidung richtig und für beide Parteien – CDU und CSU – notwendig. Die CSU behielt ihre bayerische Identität und die CDU ist die politische Interessenvertretung der christlichen Demokraten in den anderen Bundesländern Deutschlands.