Der Chef steuert selbst – Strauß auf Reisen

Reinhard Meier-Walser

In seiner langen politischen Karriere war Franz Josef Strauß weder Außenminister noch gehörte er jemals dem Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages an. Und doch hat er die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland von den 1950er-Jahren bis zu seinem Tod im Oktober 1988 maßgeblich geprägt. Für Strauß besaß die Gestaltung diplomatischer und sicherheitspolitischer Beziehungen zu anderen Staaten insbesondere ihrer strategischen Dimension wegen herausgehobene Relevanz. Als er während seines Geschichtsstudiums an der Universität München das für ihn später charakteristische Denken in historischen Zusammenhängen entwickelte, erkannte er rasch die Bedeutung von „Strategie“ als Königsdisziplin politischer Analyse. In seiner Herangehensweise an komplexe weltpolitische Konstellationen stark vom „Realismus“ Henry Kissingers geprägt, als dessen „guter Schüler“ er sich in seinen Memoiren bekannte, machte Strauß seine auf der Basis vergleichender Geschichtsbetrachtung gewonnenen Erkenntnisse bezüglich der Gesetzmäßigkeiten der Politik schließlich zum Ausgangspunkt rationalen Entscheidungshandelns.

600 Auslandsreisen in 63 Staaten

Neben dieser sozusagen intellektuell-akademischen Grundlage ruhte das internationale Wirken von Franz Josef Strauß ferner auf seinem ausgeprägten Interesse an persönlichen Begegnungen, die es ihm erlaubten, sein Wissen aus den Lehrbüchern politischer Theorie mit Erfahrungen außenpolitischer Praxis zu verknüpfen. Das Archiv für Christlich-Soziale Politik (ACSP) der Hanns-Seidel-Stiftung, das den Nachlass von Franz Josef Strauß verwahrt, verzeichnet für die Jahre 1952 bis 1988 mehr als 600 Auslandsreisen in 63 verschiedene Staaten. Strauß nutzte diese Reisen aber nicht nur zur Kontaktnahme und -pflege zu den Spitzen der Politik und Diplomatie, sondern auch, um Dialoge mit Vertretern der Zivilgesellschaft (Kirchen, Medien, Kultur, Dissidenten etc.) im jeweiligen Land zu führen. Daneben bot seine ausgedehnte Reisediplomatie die Möglichkeit, unkonventionelle außenpolitische Wege insofern zu gehen, als er den Fokus seiner internationalen Ziele insbesondere auch auf Regionen wie den Mittleren Osten, den Afrikanischen Kontinent und Ostasien legte. Dort, so Strauß mit deutlichem Fingerzeig auf den seiner Meinung nach arg verengten diplomatischen Horizont des politischen Gegners, gebe es schlichtweg keine deutsche Außenpolitik, nachdem diese seit 1969 systematisch ihrer Substanz und Konturen beraubt worden sei.

Strauß über den Wolken

Zwei Besonderheiten der Persönlichkeit von Strauß förderten sein Faible für Reisen und persönliche Begegnungen. Zum einen seine außergewöhnliche Technikaffinität und sein von konstruktivem Wissensdurst geprägtes Verhältnis zu Entwicklungen moderner Fortbewegung. Strauß hatte neben seinen geisteswissenschaftlichen Studien auch umfassende Kenntnisse in Naturwissenschaften und Technik erworben und bevorzugte, anstelle chauffiert zu werden, selbst das Steuer in die Hand zu nehmen, sei es am Rennrad, Motorrad, Auto, Motorboot oder – am liebsten – im Flugzeug. Frühzeitig fasziniert von der Fliegerei hatte er Mitte der 1960er-Jahre mit über 50 Jahren begonnen, private Flugstunden zu nehmen und innerhalb weniger Jahre entsprechende Lizenzen erlangt, um ein- und zweimotorige Privatflugzeuge sowohl mit Propeller- als auch Maschinen mit Düsenantrieb steuern zu können. Dem Flugzeugkonstrukteur und Messerschmitt-Bölkow-Blohm(MBB)-Vorsitzenden Ludwig Bölkow gegenüber schwärmte er nach seinem ersten, mit Bravour absolvierten Alleinflug voller Begeisterung: „Das war vielleicht ein Gefühl! Wenn man so eingeengt ist wie ich, empfindet man diese fliegerische Freiheit viel intensiver als ein Normalbürger. Ich wollte gar nicht wieder herunter, so fasziniert war ich.“ (Strauß, 1980)

Stellte die Kombination aus Technikbegeisterung, Wissensdurst, der Disposition gerne selbst am Steuer zu sitzen und seiner ausgeprägten Flugleidenschaft die Grundlage dafür dar, dass Franz Josef Strauß außerordentlich viele Auslandsreisen zu unterschiedlichsten Destinationen rund um den Globus unternahm, so wurde dieses Charakteristikum durch die Besonderheit ergänzt, dass er auch private Reisen gerne nutzte, um sie mit politischen Terminen zu bestücken. Es hätte sich auch gar nicht vermeiden lassen, denn der Reisende Strauß blieb, selbst wenn er das gewollt hätte, nirgends unerkannt und war als Gesprächspartner in internationalen Kreisen der Spitzenpolitik hoch willkommen und geschätzt. „Meine Absicht, eine private Reise durchzuführen, ist nur zum Teil gelungen“, meinte Strauß mitunter ironisch, wenn er nach einer als „privat“ deklarierten Auslands-Visite sich auch mit höchsten politischen Funktions- und Entscheidungsträgern getroffen hatte.

„Audiatur et altera pars“ –im Gespräch mit Mao, Reagan, Bush und Co.

Strauß war rund um den Globus durch exzellente Kontakte bestens vernetzt und verbrachte einen erheblichen Teil seines Berufslebens außerhalb der Landesgrenzen „auf Achse“. Seine Präsenz auf internationalem Parkett war derart prägend, dass der Südtiroler Landeshauptmann Silvius Magnago anlässlich des 70. Geburtstages des CSU-Vorsitzenden im Jahre 1985 launisch bemerkte, dass jeder, der sich mit Politik beschäftige, „unweigerlich“ in den vergangenen Jahrzehnten habe Franz Josef Strauß begegnen müssen.

Dass er in der Weltpolitik den Ruf eines geschätzten und gefragten Gesprächspartners besaß und mit Spitzenpolitikern wie Mao Zedong, Ronald Reagan und Michail Gorbatschow verkehrte, hing zum einen mit dem intellektuellen Profil und analytischen Scharfsinn von Strauß zusammen, dem selbst seine politischen Gegner das Format eines international profilierten Staatsmannes nicht absprechen konnten. Zum anderen war es Strauß, der als Lateiner den römischen Rechtsgrundsatz „audiatur et altera pars“ (gehört werde auch die andere Seite) auch im politischen Geschäft beachtete, gelungen, den Ruf eines glaubwürdigen Partners selbst bei antagonistischen Akteuren in schwierigen weltpolitischen Konstellationen zu erwerben. So wurde sowohl vom israelischen Regierungschef Shimon Peres als auch vom ägyptischen Staatschef Hosni Mubarak das wertvolle und vertrauenswürdige Wirken von Strauß im Sinne der Lösung des Nahost-Konfliktes gewürdigt. Eine ähnliche Wertschätzung erfuhr Strauß im Zuge seiner Gespräche mit den politischen Spitzen der rivalisierenden Supermächte USA und UdSSR sowie im innerkommunistischen Systemkonflikt zwischen der Volksrepublik China und der Sowjetunion.

Als ein Höhepunkt seiner „Diplomatie“ gilt zweifellos die China-Reise im Januar 1975. Obwohl Strauß damals kein Regierungsamt bekleidete, obwohl parallel zu seinem Besuch der 4. Nationale Volkskongress tagte, obwohl dort gerade eine neue Regierung gebildet worden und eine neue Verfassung zu verabschieden war, traf der CSU-Vorsitzende damals die Crème de la Crème der chinesischen Staats- und Parteielite und wurde als erster deutscher Politiker überhaupt von Mao Zedong zu einer persönlichen Audienz empfangen. Im Fokus der breiten Berichterstattung der deutschen Presse über die „Verbrüderung der beiden großen Vorsitzenden“ stand damals die Frage, ob es dem „schwarzen Mandarin“ Strauß gelingen werde, im roten Reich der Mitte eine Kulturrevolution „à la Bajuwar“ anzuzetteln.

Ein gewaltiges Medienecho erfuhr auch die Moskau-Reise des CSU-Vorsitzenden und Bayerischen Ministerpräsidenten im Dezember 1987 – nicht nur, weil Strauß, der u.a. von CSU-Landesgruppen­chef Theo Waigel, CSU-Generalsekretär Gerold Tandler, Staatsminister Edmund Stoiber und Bayern­kurier-Chefredakteur Wilfried Scharnagl begleitet wurde, von KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbat­schow zu einem zweieinhalbstündigen und historisch denkwürdigen Gespräch im Kreml empfangen wurde, sondern weil er höchstpersönlich am Steuer einer Cessna Citation saß und die hochrangige bayerische Delegation von München-Riem nach Moskau chauffierte. Von Journalisten vorab nach der Agenda der Begegnung mit dem Kremlchef befragt, meinte Strauß unverblümt, er werde „auch über die nächste Mondfahrt reden, gemeinsam mit Herrn Gorbatschow, er als Kosmonaut und ich als Astronaut, ich mach‘ grad meinen Führerschein dafür“. (Strauß, 1988)

Literatur

Zitate Strauß in: Ludwig Bölkow, Verdienste um die europäische Luftfahrtindustrie, in: Friedrich Zimmermann (Hrsg.), Anspruch und Leistung. Widmungen für Franz Josef Strauß, Stuttgart 1980, S. 254.

Wilfried Scharnagl (Hrsg.), Strauß in Moskau … und im südlichen Afrika. Bericht, Bilanz, Bewertung, Percha 1988, S. 20.