Eine Medaille mit zwei Seiten: Die CSU und der Mittelstand

Claudia Schlembach

Hidden Champions, ein Begriff mit dem Unternehmensberater Hermann Simon auf Weltmarktführer aufmerksam macht, die oft auf der „grünen Wiese“ agieren, die kaum jemand mit Namen kennt, die ihren Job machen, vielen Menschen einen Job geben und wesentlich zu Wachstum und Wohlstand unseres Landes beitragen: Mittelständische Firmen, das Rückgrat unserer Wirtschaft.

In Bayern finden sich viele solcher mittelständischer (Welt-)Marktführer: Die Kathrein-Gruppe in Rosenheim, international führend in Kommunikationstechnik und von „Die Deutsche Wirtschaft“ 2019 auf Platz Eins der innovativen deutschen Unternehmen gesetzt. Gefolgt (Platz Drei) von der HIPP-Gruppe aus Pfaffenhofen, nationaler Marktführer bei Babynahrung. Platz Vier die Maschinenfabrik Reinhausen aus Regensburg, in Marktredwitz die Scherdel Gruppe, in Kulmbach die IREKS-Gruppe – die Liste ist lang.

Innovationskatalysatoren gestalten

Auch wenn diese Standorte beileibe nicht alle „grüne Wiese“ sind  – es ist kein Zufall, dass Mittelständler in Bayern angesiedelt sind: Sie ebenso wie kleine und Kleinstbetriebe bis hin zu Solo-Selbstständigen und, erfreulicherweise, auch Start-Ups. Über 718.000 Selbstständige sind es derzeit, rund vier Millionen Arbeitsplätze und 190.000 Ausbildungsstellen bieten sie. Damit ist Bayern neben Nordrhein-Westfalen Mittelstandsland, Land der Familienunternehmen. Das Land, in dem sich High Tech sucht und findet. Das Land, das Narrative hat. Eines der schönsten: Laptop und Lederhose. In der Genderform: Dirndl und Digitalisierung.

Wer Narrative hat, Geschichten erzählt, die die Menschen für Ideen einnehmen, der hat große Bilder im Kopf. Bilder von Unternehmen, die an der Quelle wissenschaftlicher Expertise hängen, um Innovation zu beschleunigen. Der sieht ausgebaute Wege zwischen Handwerk, Industrie, Dienstleistung und Landwirtschaft. Der will überall im Land gute Bedingungen für Erfolg.

Dem innovationsfreundlichen, mobilen und gleichzeitig bodenständigen Mittelstand kommen solche Szenarien entgegen, er findet sich in Bayern wieder. Diese Entwicklung des Nährbodens für erfolgreiches Unternehmertum lässt sich nicht ohne die Meilensteine in der (Wirtschafts-)Politik der CSU betrachten. Nicht ohne die Weitsicht derer, die als Staatsminister der Entwicklung vorstanden, angeführt von Ministerpräsidenten mit Weitsicht.

Drei herausragende Innovationskatalysatoren, die den Wandel von der Agrar- hin zur Industriegesellschaft mitverantworten, werden nun dargestellt. Gleichzeitig wird gezeigt, dass die strukturellen Ansätze nicht nur kreativ waren, sondern hoch modern sind. Sie bergen die Modelle, mit denen die zeitgenössische Wirtschaft ihre Erfolgskurse beschreibt.

Form follows function?

Ein ewiger Disput ist, ob die Form der Funktion folgt oder umgekehrt. Entspringt das Bedürfnis, nach einem I-Phone originärem Bedarf oder wurde das Bedürfnis erst geweckt durch die Erfindung dieses Instruments? Braucht es ein Organisationskonzept, für das Mitarbeiter gesucht werden, oder hat man Mitarbeiter und baut die Organisation um sie herum? Innovative Unternehmen zeigen es: Viele entstanden durch die Ideen eines Einzelnen und viele nutzen die Kompetenzen ihrer Mitarbeiter, auch wenn die im Organigramm  – sofern vorhanden  – gar nicht vorgesehen sind.

Lange bevor Professoren diese interaktive Dynamik erkannten, von Agilität und Disruption sprachen und bevor Google, Facebook und Co. diese Erkenntnisse in attraktive Arbeitswelten umformten, hat die CSU hohe Agilität und viel disruptive Qualität gezeigt, – ohne das so zu benennen. Herausragendes Beispiel ist die Strukturreform, getragen von Hanns Seidel und vor allem von Ministerpräsident Alfons Goppel, der von 1962 bis 1978 die Modernisierung Bayerns konsequent weiterführte. Das Gesamtkonzept der Reform hat sich abgesetzt von der Frage, wie man sich mit den gegebenen Möglichkeiten am besten für alle Beteiligten arrangiert. Mit dem visionären Mut der Entscheidungsträger in der CSU begann eine beispiellose Metamorphose, die dem Wirken eines Montgelas zur Ehre gereicht.

Die Reform war ein politischer Kraftakt, der nicht nur Synergien geschöpft und immense Potenziale freigelegt hat. Er hat Neues geschaffen, Bedarf und Bedürfnisse geweckt und den Nährboden für ein erfolgreiches Gedeihen von vor allem mittelständischen Familienunternehmen gelegt. Die zunächst deutliche Streuung der Industriebetriebe konnte durch die Neugründung von Betrieben in kleinen Städten, der „grünen Wiese“, schnell verdichtet werden. Jenseits teurer Zentren blieben sie lokal, wurden regional, national, dann international. Sie behielten ihre Wurzeln und eroberten den Weltmarkt.

Vernetzung konsequent aufbauen

Man kann Infrastruktur um Bedarf herum bauen, in München etwa. Wenn die Politik einen anderen Weg einschlägt, in Vorleistung geht, auf die Industrialisierung im ländlichen Raum setzt und auch Bildung in diese Räume bringt, dann ist das im mindesten Fall innovativ.

Infrastruktur, Wege von A nach B, Antrieb zur Mobilität, das ist unumgänglich für wirtschaftlichen Erfolg. Ein durchdachtes Verkehrskonzept wurde entsprechend über Jahrzehnte konsequent verfolgt. Strukturell ist das nichts anderes, als das, was Mark Zuckerberg geplant und umgesetzt hat: Menschen verbinden, Unternehmen verbinden. Eine Infrastruktur, die Mobilität von Produktion ermöglicht und eine Aufspaltung von Wertschöpfungsketten.

Wo heute per Mausklick Algorithmen im Hintergrund Verbindungen modellieren, war das Bild eines vernetzten Bayerns im Kopf der Politiker. Per Schiff, auf der Schiene, über die Autobahn, per Flugzeug. Dabei war die Ausgangslage schwierig: Die Hauptvernetzungslinien liefen zwischen West und Ost, die Teilung schnitt Ostbayern von wichtigen Ressourcen ab. Standortnachteile? Das galt es zu überwinden. Nach dem gezielten Aufbau des Schienenverkehrs war es Hanns Seidel, zunächst Staatsminister für Wirtschaft, später auch Verkehr von 1947 bis 1954, Ministerpräsident von 1957 bis 1962, der die Erschließung vorantrieb, das Straßennetz aufbereitete und auf die Rhein-Main-Donau-Achse blickte. Otto Schedl und Anton Jaumann brachten Ölraffinerien ins Land. Hobbypilot Franz Josef Strauß betrieb Industriepolitik für die Luft- und Raumfahrt und sah den Münchner Flughafen im Erdinger Moos: „Warum Wiederaufbereitungsanlage? Damit die Opferpfalz aus ihrer wirtschaftlichen Misere rauskommt. Warum Rhein-Main-Donau-Kanal? Damit Bayern eine gleichwertige Großwasserstraße erhält, wie es die norddeutschen Länder haben. Warum der Ausbau der Autobahnen? Warum der Ausbau des Großflughafens?“

Netzwerken im besten verkehrspolitischen Sinn, auf allen Mobilitätswegen, das ist es, was den Mittelstand groß macht und stabilisiert. Ohne den Transport zu sichern, wäre Bayern nicht das exportstärkste Bundesland. Die Herausforderungen heute sind im Kern dieselben, sie sind nur von der analogen zur digitalen Angelegenheit geworden. Dass Bayern für den Ausbau der neuen Netze bestens gerüstet ist, liegt auch am Standortvorteil Bildung – von langer Hand geplant.

Forschungsnähe und Innovationsfreude

Hanns Seidel verfolgte die Idee einer anwendungsorientierten Wissenschaft, manifestiert in der Gründung der Fraunhofer-Gesellschaft 1949 in München. Sie sollte zunächst nur für bayerische Unternehmen Fördermittel von öffentlicher Hand einer wirtschaftsnahen Forschung zur Verfügung stellen. Heute ist die Fraunhofer-Gesellschaft Impulsgeber für die Innovationsfähigkeit, sprich Wettbewerbsfähigkeit der gesamten deutschen Wirtschaft.

Seidels Ansinnen, „das gesamte Bildungswesen auf einen den wachsenden Anforderungen höchsten Stand zu bringen, die besten Einrichtungen für Forschung und Lehre in Naturwissenschaft und Technik zu schaffen und die kaufmännische und technische Ausbildung nach den modernsten Methoden und Vorbildern zu fördern“, wirkt bis in die heutige Zeit hinein. Das zeigt sich an den bayerischen Exzellenz-Universitäten, die es dem Mittelstand zumindest nicht erschweren, an gute Köpfe zu kommen. Auch auf der „grünen Wiese“, wo sich dank politischer Steuerung Hochschulen finden, die für anwendungsorientierte und pragmatische Lösungen stehen. Das zeigen die Daten des Europäischen Patentamts: Rund 29 Prozent aller deutschen Patente kommen aus Bayern. Zwar dominieren die Autohersteller, aber der Mittelstand hat ein Drittel zum Ergebnis beigetragen.

Die frühen Überlegungen werden heute weitergetragen und zu Leuchtturmprojekten wie an der TUM, im Aufbau eines landesweiten KI-Kompetenzverbunds, im Pakt für berufliche Bildung und mit „Handwerk innovativ“. Das sind Autobahnen für den Mittelstand.

Der Fortschritt ist konservativ

Die wirtschaftspolitischen Ansätze der CSU basieren auf miteinander verwobenen, visionären Fundamenten: Netzwerk-Infrastruktur, eine agile Bildungspolitik, die fruchtbare Symbiosen in allen Bereichen des Staates hervorbringt, und der Mut, das Agrarland Bayern durch disruptive Geschäftsmodelle zum führenden Industrieland umzuwälzen.

Der Mittelstand profitiert von diesen Ansätzen. Die Bayerische (Wirtschafts-)Politik profitiert davon, dass sie auf Erfahrungswerte zurückgreifen darf, wie Tradition in der Disruption funktionieren kann und umgekehrt. Das scheinbar ganz Neue hat bei genauem Hinschauen meist nur andere Namen. Strukturell hat das Neue in Bayern 75 Jahre CSU an Vorbild. Der Fortschritt ist eben konservativ.

Literatur

Rudolf Erhard, Wie Bayern wurde, was es heute ist. Die Geschichte vom Nehmer- zum Geberland, nach: https://www.deutschlandfunkkultur.de/wie-bayern-wurde-was-es-heute-ist.1001.de.html?dram:article_id=237154.

Rudolf Hanisch, Silicon Valley Bayern. Bilanz und Perspektiven bayerischer Innovationspolitik, Straubing 2018.

Hanns Seidel, Vom Agrarland zum Industriestaat. Die Wirtschaftsstruktur Bayerns änderte sich, nach: https://www.zeit.de/1952/45/vom-agrarland-zum-industriestaat.

Hermann Simon, Hidden Champions des 21. Jahrhunderts. Die Erfolgsstrategien unbekannter Weltmarktführer, Frankurt am Main 2007.

https://www.stmwi.bayern.de/fileadmin/user_upload/stmwi/Publikationen/2018/2018-06-26_100_Jahre_Bayern_Wirtschaft.pdf.

https://www.ihk-nuernberg.de/de/media/PDF/Innovation-Umwelt/innovation-und-forschung/broschueren-und-publikationen/ihk-report-patente-in-bayern-2019-.pdf.