Herzensangelegenheit und strategisches Erfolgsrezept: Die Bedeutung der Kommunen für die CSU

Silke Franke
Michael Weigl

Die Kommunen sind die Ebene, die dem Bürger im politischen und verwaltungsmäßigen Aufbau des Staates am nächsten sind. Die kommunale Selbstverwaltung ist Ausdruck der demokratischen Mitwirkungsmöglichkeit der Bürger. Diese fundamentale Rolle unterstreicht die Bayerische Verfassung in Artikel 11 – demnach haben Gemeinden das Recht, „ihre eigenen Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze selbst zu ordnen und zu verwalten, insbesondere ihre Bürgermeister und Vertretungskörper zu wählen“. Und weiter heißt es: „Die Selbstverwaltung der Gemeinden dient dem Aufbau der Demokratie in Bayern von unten nach oben.“

Wunsch nach Identität, Anerkennung und Selbstbestimmung

Entscheidungen in eigener Sache treffen und das Lebensumfeld selbst gestalten zu können, ist nicht nur eine Frage der Eigenverantwortung, sondern auch zentrale Motivation für Engagement und Ausdruck demokratischer Mitbestimmung. Die Wahrung lokaltypischer Bräuche und eine rege Vereinskultur zeugen ebenso wie das ortseigene Feuerwehrhaus oder der Brunnen zur Trinkwassergewinnung von dem Wunsch nach Identität, Anerkennung und Selbstbestimmung. Die ausgesprochene Vielfalt an Landschaften, Regionen und Kommunen wird in Bayern als positiver Wert anerkannt und gepflegt.

Für die CSU ist die kommunale Selbstverwaltung nicht nur ein hohes Verfassungsgut, sondern auch Leitbild erfolgreicher Politik, weshalb sie sich für finanziell und rechtlich handlungsfähige Gemeinden einsetzt. Die CSU beruft sich dabei auf das Prinzip der Subsidiarität. Demnach sollten Aufgaben möglichst von der kleinsten Einheit wahrgenommen werden und nur, wo dies nicht möglich ist, die nächstgrößere Einheit zum Einsatz kommen. Das Grundsatzprogramm von 2007, das unter der Leitung von Alois Glück entstand, hat die konsequente Anwendung des Subsidiaritätsprinzips gar zur politischen Leitlinie erklärt. Nach dem von Glück – auch in anderen Schriften und Büchern – formulierten Ideal der „aktiven Bürgergesellschaft“, soll die Eigeninitiative und Selbstorganisation vor Ort Vorrang vor übergeordneten staatlichen Regelungen haben. Da ein derart verstandener Subsidiaritätsbegriff auch auf die anderen Ebenen der staatlichen Aufgabenteilung übertragbar ist, heißt es im CSU-Grundsatzprogramm von 2007: „Wir verteidigen und stärken die kommunale Selbstverwaltung, die föderale Freiheit der Länder gegenüber dem Bund und den dezentralen Aufbau der Europäischen Union.“

Anspruch der Mitbestimmung

Trotz der „Charta der kommunalen Selbstverwaltung“ von 1985 sind Föderalismus und kommunale Selbstverwaltungshoheit keine Selbstverständlichkeit in Europa. Gleichzeitig wirken sich Entscheidungen der EU immer stärker auch auf Regionen und Kommunen aus. So wie die Vertretung des Freistaates Bayern bei der Europäischen Union ist auch das bereits 1992 gegründete Europabüro der bayerischen Kommunen deshalb Signal, Entscheidungen auf europäischer Ebene konstruktiv mitgestalten zu wollen. Die personelle Nähe von CSU und den kommunalen Spitzenverbänden in Bayern erleichtert dabei manche Abstimmungen und Positionsbestimmungen. Von der Nachkriegszeit bis heute werden die Präsidenten des Bayerischen Gemeindetags von CSU-Mitgliedern gestellt, auch beim Bayerischen Städtetag konnten sich mit wenigen Ausnahmen CSU-Oberbürgermeister als Vorsitzende durchsetzen.

Doch egal ob von SPD oder CSU, nicht wenige Vertreter der kommunalen Spitzenverbände gelten bis heute als Unikate und trauten sich, der bayerischen Staatsregierung gegebenenfalls auch deutlich Contra zu geben. Ein legendärer Vertreter dieser „Spezies“ war der ehemalige Landshuter Oberbürgermeister Josef Deimer (CSU), den die Süddeutsche Zeitung zu seinem 80. Geburtstag als „Gigant der Kommunalpolitik“ würdigte. Deimer war 30 Jahre lang, von 1975 bis 2005, Präsident des Bayerischen Städtetags, welchen er „zu einer Art außerparlamentarischen Opposition gegen die Staatsregierung formte“ (Wittl 2016). Sein unermüdlicher Einsatz für die Städte wurde so gefürchtet wie respektiert, was der frühere CSU-Parteichef Theo Waigel mit den Worten kommentierte: „Einige Deimers braucht es, aber nicht zu viele.“

Großstädte als Achillesferse der CSU

Vor allem die acht bayerischen Großstädte mit mindestens 100.000 Einwohnern sind es, die den Christsozialen bei Wahlen Sorgen bereiten. Zwar ist die CSU bei Kommunalwahlen in Gemeinden nur eine 30+x-Partei, während sie auf Kreisebene traditionell 40+x der Stimmen auf sich vereinen kann. Traditionell aber gilt den Medien das Abschneiden der Parteien in den großen bayerischen Metropolen München und Nürnberg als Gradmesser ihrer kommunalen Stärke. Gerade einmal zwei Oberbürgermeister – Erich Kiesl (1978-1984) in München und Ludwig Scholz (1996-2002) in Nürnberg – konnte die CSU hier stellen, ansonsten waren beide Metropolen stets in sozialdemokratischer Hand. Große Freude daher nach den Kommunalwahlen 2020: Mit Marcus König stürmte die CSU ausgerechnet die SPD-Hochburg Nürnberg. Und Augsburg, drittgrößte Stadt in Bayern, blieb mit Eva Weber als Nachfolgerin von Kurt Gribl in CSU-Hand.

Kommunen als Rückgrat der Volkspartei CSU

Aufgrund der Konkurrenz durch freiwillige Wählervereinigungen, die SPD sowie jüngst auch die Grünen war die CSU bei Kommunalwahlen lediglich ein einziges Mal – Wahlen zu Kreis­tagen und kreisfreien Städten 1978 – 50+x-Partei. Gleichwohl waren und sind die Kommunen das Rückgrat der Volkspartei CSU. Wie keine andere Partei im Freistaat ist sie flächendeckend in den Kommunen präsent und vernetzt. Mit zehn Bezirksverbänden, 108 Kreisverbänden und offiziell 2.853 Ortsverbänden ist sie weitaus besser als ihre parteipolitische Konkurrenz in der Lage, überall in Bayern Flagge zu zeigen. Nur aufgrund dieser flächendeckenden Präsenz vor Ort war es der CSU in der Vergangenheit möglich, ein eng geknüpftes Netzwerk in den vorpolitischen Raum zu flechten. Nur aufgrund dieses Netzwerkes war es der CSU möglich, sich die „Stammtisch­hoheit“ im Freistaat zu sichern.

Zu wissen, was die Bürgerinnen und Bürger bewegt

Jahrzehntelang war es das von den Ortsverbänden getragene Netzwerk im vorpolitischen Raum, das die CSU von Erfolg zu Erfolg getragen hat. Die „Kette von der Kommunalpolitik bis hin zur Landes-, Bundes- und Europapolitik“ (Edmund Stoiber) funktionierte, die Partei wusste, was die Menschen bewegte, und verstand ihre Deutung der Dinge bis nach ganz unten durchzusetzen. Fast alle ihre Abgeordneten, gleichgültig, ob auf Landes-, Bundes- oder Europaebene, waren und sind stets auch kommunalpolitisch aktiv und so Mittler zwischen Basis und Parteispitze. Sie tragen die Probleme und Stimmungen vor Ort in die Fraktionen und von dort zu den Entscheidungs­trägern in politischen Ämtern.

Inzwischen, mit der Erosion der angestammten Milieus, der voranschreitenden Fragmentierung der Gesellschaft und dem Nachlassen der Parteibindungen, gerät aber auch das einst so erfolgreiche Konstrukt der „Kette“ unter Druck. Statt wie früher Ort der Selbstvergewisserung und Bestätigung, sind Kommunalwahlen heute für die CSU Seismograf des inzwischen volatilen Verhältnisses von Partei und Wählern. Wie auf allen anderen Ebenen – Europa, Bund und Land – sinken die Wahlergebnisse der CSU auch bei Kommunalwahlen, besonders deutlich seit 2008 und hier wiederum in den großen Städten. Die Herausforderung, christlich-konservative Anhänger ebenso anzusprechen wie aufgeschlossene, urbane Milieus, ist groß.

„Näher am Menschen“

Mit dem Anfang der 1990er-Jahre bei der CSU einsetzenden Mitgliederschwund sind die Möglichkeiten, der Partei vor Ort ein Gesicht zu geben, kleiner geworden. Vor allem aber ist es das Verschwinden der alten Dorfstrukturen, in der jeder jeden kannte, das der Partei zu schaffen macht. Früher war es für die CSU eine Selbstverständlichkeit, nah am Bürger zu sein. Heute muss sie für ihr seit 2003 immer wieder mal im eigenen Logo verewigten Selbstverständnis, „näher am Menschen“ zu sein, neue Wege gehen. Ihre starke Präsenz vor Ort gab der CSU die Möglichkeit, nicht nur die Gestaltung der Rahmenbedingungen bayerischer Politik zu kontrollieren, sondern auch deren Übersetzung in die konkreten Lebenswelten der Menschen vor Ort. Ihre kommunalpolitische Stärke erlaubte ihr eine „Politik aus einem Guss“, pragmatisch und bürgernah. Mit der Individualisierung der Gesellschaft aber hat sich auch Kommunalpolitik gewandelt. Der Wunsch der Bürgerinnen und Bürger nach Teilhabe an politischen Willens­bildungs- und Entscheidungsprozessen auf der kommunalen Ebene ist stark angewachsen. Bürgerbegehren und Bürgerentscheide sind seit ihrer Einführung durch Volksentscheid vom 1. Oktober 1995 zur freistaatlichen Selbstverständlichkeit geworden. Politik und Parteien sehen sich zu stärker dialogorientierten Formaten gezwungen, auch die kommunale Ebene kennt den Wandel von Governement zu Governance.

Literatur

Mehr Demokratie e.V., Bürgerbegehrensbericht 2018, Berlin 2018.

Edmund Stoiber, 60 Jahre CSU – Herkunft und Zukunft einer Volkspartei, in: Politische Studien 403 (2005) S. 16-25.

Michael Weigl, Die CSU. Akteure, Entscheidungsprozesse und Inhalte einer Partei am Scheideweg, Baden-Baden 2013.

Alois Glück/Holger Magel (Hrsg.), Neue Wege in der Kommunalpolitik. Durch eine neue Bürger- und Sozialkultur zur Aktiven Bürgergesellschaft, München 2000.

Wolfgang Wittl, „Josef Deimer: Ein Gigant, wie ihn die CSU heute vermisst“, in: Süddeutsche Zeitung vom 29. Mai 2016, Bayernteil.