Ist die CSU die Partei der "kleinen Leute"?

Fabian König

Die CSU ist traditionell die Partei des wirtschaftlichen Fortschritts und des ökonomischen Erfolgs. Die politische Gestaltung des Wandels in Bayern vom ärmlichen Agrarstaat zu einem modernen Technologie- und Wirtschaftsstandort ist ein wesentlicher Kern des Erfolges und der heutigen Identität der CSU.

Um diese Ziele erfolgreich umsetzen zu können, sucht und findet die CSU bis heute die Nähe zu Wirtschaftslenkern und Wohlhabenden. Legendär ist in diesem Zusammenhang der Spruch von Franz Josef Strauß: „In der Leberkäsetage sind wir zu Hause. Aber wir müssen uns, um erfolgreich zu sein, auch in der Champagner-Etage bewegen können.“ Ist die CSU daher eher die Partei der „Großkopferten“ oder auch eine Partei der „kleinen Leute“?

Wer sind die „kleinen Leute“ für die CSU?

Die „kleinen Leute“ kommen in der Politik nie ganz aus der Mode. Jede Partei nimmt sie öfter oder seltener für sich in Anspruch. Eine allgemeingültige Definition des Begriffes gibt es nicht. Die „kleinen Leute“ sind eine mythische Figur der Literatur (wie etwa bei Falladas „Kleiner Mann – was nun?“). Gesellschaftspolitisch ist der Begriff eine Abgrenzung vermeintlicher Eliten (z. B. des heterogenen Bürgertums) gegenüber dem Kleinbürgerlichen und dem Proletariat.

In der Politik sind „die kleinen Leute“ eine politische Werbebotschaft an die, die sich zu kurz gekommen oder von der Gesellschaft übervorteilt fühlen. Die „kleinen Leute“ sind also vor allem ein politisches Narrativ von „groß“ gegen „klein“, von „oben“ gegen „unten“. Auch Donald Trumps beschworener Sieg der „normalen Leute“ und seine Anti-Establishment-Rhetorik gehören in dieses Narrativ.

In diesem klassenkämpferischen Begriff spiegelt sich die CSU nicht wieder. Die CSU ist keine linke, anti-elitäre Bewegung, sondern eine Sammlungspartei, die eher verbindet als spaltet. Der Klassenkampf ist Sache der CSU nicht.

Die CSU interpretiert den Begriff der „kleinen Leute“ in einem Kontext sozialer Politik. Dabei tritt das kämpferische, abgrenzende Element völlig zurück, der Begriff wird integrativ und positiv. Für die CSU sind die „kleinen Leute“ die Idee eines sozialen Staatswesens. Eines Staatswesens, das nicht einigen Wenigen dient oder sich nur um bestimmte Gruppen sorgt, sondern das sich um die Bedürfnisse und Chancen aller Bevölkerungsteile kümmert. Es ist die Idee eines Staatswesens, dass alle Bevölkerungsteile teilhaben lässt – an Bildung, an Prosperität, am gesellschaftlichen Leben. Dafür gezielt dort Unterstützung zu leisten, wo sie zur Entwicklung und Absicherung des Einzelnen notwendig ist, ist Aufgabe und Kerngedanke christlich-sozialer Politik. In diesem Sinne beschreibt der Begriff der „kleinen Leute“ für die CSU Personenkreise und ihrer Lebenslagen, in denen sie Handlungs-, Unterstützungs- und Förderbedarf des Staates sieht.

Die „kleinen Leute“ in der Programmatik der CSU

Schon mit ihrer Gründung und dem 10-Punkte-Plan im Jahr 1945 erhielt die CSU diese starke soziale Prägung. Dort ist zum einen die Übung der christlichen Nächstenliebe konkretes Programm im Nachkriegsdeutschland: „Hilfe für die Invaliden, Rentner, Kranken und Arbeitslosen; Brot für die Hungernden, Heime für die Obdachlosen“. Zum anderen wird der oben beschriebene, christlich-soziale Kerngedanke von „sozialer Gerechtigkeit“ und „gleichen Möglichkeiten für alle ohne Rücksicht auf Geburt, Stand und Vermögen“ zur Wertebasis der CSU.

Diese Haltung setzt sich in den Parteiprogrammen seither nahtlos fort: „Wir fordern die Sicherung des Lebens aller, die infolge Krankheit, Alter oder als Versehrte nicht mehr arbeiten können! Sozialversicherte sind keine Almosenempfänger des Staates.“ (Grundsatzprogramm der CSU vom 14./15. Dezember 1946). Neben der sozialen Absicherung über eine umfassende Sozialversicherung rückten vor allem die Familie als Kern der Gesellschaft und die werktätige Bevölkerung in den Fokus der CSU und ihrer Bemühungen: „Die Familie ist die Urzelle jeder Gemeinschaft. Der kinderreichen Familie gilt unsere besondere Sorge“ (Die dreißig Punkte der Union vom 31. Oktober 1946). Im Grundsatzprogramm von 1968 steht „der arbeitende Mensch im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens“. Immer wieder geht es dabei um die „Chancengerechtigkeit“ und „die Möglichkeit, Bildung und Ausbildung zu erwerben, und Eigentum zu schaffen“, wie es im Parteiprogramm von 1976 heißt. Auch heute stehen Familien und „kleine Leute“ in der Programmatik der CSU an prominenter Stelle. Das Wahlprogramm der CSU zur Landtagswahl 2018 postuliert Bayern als „Familienland Nr. 1“ und beschreibt sozial- und steuerpolitische Forderungen für den „Normalverdiener“.

Bei der Gestaltung der Sozialpolitik der CSU spielt die Christlich-Soziale Arbeitnehmerschaft, die CSA, eine zentrale Rolle als sozialer Motor und Impulsgeber. Gegründet bereits 1947, hat sie maßgeblichen Anteil an den wesentlichen Errungenschaften unseres Sozialstaats. Von Elterngeld bis Mütterrente hat die CSA wichtige Leitentscheidungen in der Partei mitgeprägt. Außerdem ist sie die Brücke zu den Gewerkschaften und Arbeitnehmerverbänden, mit denen die CSA gemeinsam für die Interessen und Anliegen der Beschäftigten und „normalen“ Leute eintritt.

Politik für die „kleinen Leute“ heute an konkreten Beispielen

Gerade in jüngster Zeit hat die CSU ein besonders klares soziales Profil entwickelt, das genau diese beiden Stoßrichtungen aufgreift: Als Beispiele der Familienpolitik seien hier nur der Ausbau der Kinderbetreuungsangebote und die Einführung des Bayerischen Familiengeldes (Bayerisches Familiengeldgesetz vom 24. Juli 2018) genannt. Damit wird das Angebot an Kinderbetreuung gefördert, aber eben auch die Erziehung in der eigenen Familie durch das Familiengeld, das Familien unabhängig von ihrem Einkommen mit bis 6.000 bzw. 7.200 Euro (ab drei Kindern) pro Kind unterstützt. Diese Wahlfreiheit der Eltern zeichnet christlich-soziale Politik ohne staatliche Bevormundung aus. Insgesamt stellt der Freistaat heute über 7,2 Mrd. Euro für die Familienpolitik im Doppelhaushalt 2019/2020 bereit.

Aber auch die Chancengerechtigkeit für die „kleinen Leute“ und die Wertschätzung für die Arbeit dieser Menschen bleiben Leitmotiv, wenn die CSU auf Bundesebene etwa für die Abschaffung des Solidaritätszuschlags und die „Mütterrente II“ (RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz zum 1. Januar 2019) eintritt.

Das geradezu gegensätzliche Verständnis von Politik für die „kleinen Leute“ heute ist aber besonders daran abzulesen, wie die Parteien auf die Herausforderungen von Digitalisierung und Globalisierung reagieren: Während die Linke und die SPD sich öffentlich vordringlich mit einer „Reform“ der Hartz-IV-Reformen, mit dem „sozialen Arbeitsmarkt“ oder sogar mit einem bedingungslosen Grundeinkommen befassen, geht es der CSU heute mehr denn je um die Eröffnung von Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten. Die CSU nimmt die heutigen Herausforderungen an und investiert in die Zukunft der Menschen: Mit dem Digitalpakt Schule oder mit dem „Pakt für Weiterbildung 4.0“, mit dem Bayern gemeinsam mit der Bayerischen Wirtschaft und der Bundesagentur für Arbeit nicht auf die möglichst gute staatliche Alimentierung, sondern auf eine bestmögliche Weiterbildung setzt, damit die Beschäftigten fit sind für die Arbeit von morgen. Immer geht es darum, dass sich auch in Zukunft die Idee von der breiten Teilhabe an Prosperität verwirklichen kann, dass die „kleinen Leute“ in unserem Land Teil der Zukunft sind.

Fazit

Die Antwort auf die in der Überschrift aufgeworfene Frage, „Ist die CSU die Partei der ‚kleinen Leute‘?“ ist zugleich ja und nein. Die CSU versteht sich als die Partei aller Bürgerinnen und Bürger. Sie ist eine echte Volkspartei, die die Sorgen aller ernst nimmt, zu durchdringen und zu lösen versucht. Sie ist also nicht die Partei der „kleinen Leute“ im Sinne einer ideologisch motivierten Klientelpartei.

Aber die CSU nahm und nimmt den Auftrag, der aus dem „S“ im Parteinamen folgt, immer an. Sie kümmert sich um die Problemlagen der „kleinen Leute“, auch wenn die CSU dies oft unaufgeregt im politischen Alltag tut und weniger mit dem großen Gestus rettender Sozialpolitik und großsprecherischer Klassenkampfrhetorik. So hat die CSU seit ihrer Gründungszeit bis heute über die Jahre auch herausragende Sozialpolitiker in ihren Reihen, die nicht nur die bayerische und bundesdeutsche Politik geprägt, sondern auch der CSU ein soziales Gesicht gegeben haben – von Adam Stegerwald über Gebhard Glück, Fritz Pirkl und Joachim Unterländer bis hin zu Christa
Stewens, Horst Seehofer und dem „sozialen Gewissen der CSU“, Barbara Stamm, um nur einige wenige zu nennen. Sie alle eint, dass sie für die Anliegen, Sorgen und Nöte der „kleinen Leute“ immer ein offenes Ohr hatten und haben. Und die nächste Generation der Sozialpolitiker steht bereit, dies zu übernehmen. Diesen Auftrag hat der 2019 scheidende CSU-Vorsitzende Horst Seehofer seinen Parteifreunden für die Zukunft nochmals klar erteilt: „Vergesst mir die kleinen Leute nicht!“

Literatur

Ilse Aigner, Das Selbstverständnis der CSU in zehn Punkten, in: Die Welt vom 25.9.2016.

Bernhard Forster, Adam Stegerwald (1874-1945): Christlich-nationaler Gewerkschafter, Zentrumspolitiker, Mitbegründer der Unionsparteien, Düsseldorf 2003.

Stefan Immerfall, Die CSU: Faktoren ihrer Vorherrschaft, in: ZfP 2005, S. 381–396.

Alf Mintzel, Geschichte der CSU. Ein Überblick, Opladen 1977.

Johannes Wörle, Wirtschaftspolitik zwischen Agrarstaat und industrieller Modernisierung: Die Rolle der CSU, in: Gerhard Hopp/Martin Sebaldt/Benjamin Zeitler: Die CSU – Strukturwandel,
Modernisierung und Herausforderungen einer Volkspartei, Wiesbaden 2010.

Nils Markwardt, Kleiner Mann, warum?, in: der Freitag, Ausgabe 20/2016, abrufbar unter https://www.freitag.de/autoren/nils-markwardt/kleiner-mann-warum.

Thomas Walker, Die Arbeitnehmer-Union in der CSU. Geschichte und Strukturen der CSA von 1953 bis 1990, München 2000.