Migrationssteuerung – Leitkultur – Integration: Migrationspolitik seit 2010

Susanne Schmid

In den letzten zehn Jahren wurde besonders deutlich, welchen Beitrag die CSU zum Migrations- und Integrationsmanagement in Deutschland leistet. Blickt man jedoch auf die Migrationspolitik seit 1955 zurück, könnte man meinen, Geschichte wiederhole sich.

Migrationssteuerung

Seit 2010 stiegen die Zuzüge nach Deutschland wieder stark an. Gründe hierfür waren die wachsende Erwerbsmigration aus Ost- und Südeuropa und die steigende humanitäre Migration, v.a. aus Syrien. Im Jahr 2015 erreichten die Migrationsbewegungen mit 2,1 Millionen Zuzügen und
1 Million Fortzügen einen Rekordwert. Auch der Wanderungsgewinn von 1,1 Millionen Personen war der höchste in der deutschen Geschichte. Trotz des anschließenden Rückgangs lag der Wanderungssaldo 2018 mit 400.000 Personen weiterhin deutlich über dem langfristigen Durchschnitt (siehe Abb. S. 261).

Erwerbsmigration – „Wer betrügt, der fliegt!“

Im Januar 2014 trat die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgaren und Rumänen in Kraft. Die CSU sorgte sich, dass nun osteuropäische Migranten die deutschen Sozialsysteme ausnutzen könnten – Stichwort „Armutszuwanderung“. Wem Sozialleistungsbetrug nachgewiesen werden konnte, sollte nicht wieder einreisen dürfen: „Wer betrügt, der fliegt!“, so der markige Slogan der CSU mit Blick auf die Kommunalwahlen 2014. Tatsächlich entschied der Europäische Gerichtshof 2014 auf Linie der CSU. Arbeitslosen EU-Bürgern dürfen Hartz-IV-Leistungen verweigert werden, wenn sie nicht für die Arbeitssuche, sondern nur für den Bezug von Sozialleistungen eingereist sind. 2016 verabschiedete die Bundesregierung auf Drängen der CSU ein Gesetz, demzufolge Unionsbürger Sozialleistungen erst bekommen können, wenn sie fünf Jahre lang in Deutschland gearbeitet haben.

Humanitäre Migration – „Deutschland braucht das starke Bayern“

Seit 2015 rund eine Million Geflüchtete nach Deutschland kamen, gehört die Asyl- und Flüchtlingspolitik wieder zu den wichtigsten politischen Themen. Als der türkische Präsident Erdogan im Frühsommer 2015 seine Grenzen für ausreisende Syrien-Flüchtlinge und andere Migranten öffnete, drängten innerhalb kürzester Zeit hunderttausende Menschen in die EU. Deutschland war das bevorzugte Zielland, v.a. nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel öffentlich Willkommens-Signale ausgesandt und am 4. September 2015 entschieden hatte, die über die Balkanroute kommenden und in Ungarn festsitzenden Geflüchteten aufzunehmen. Die CSU-Forderung nach einer Zuwanderungs-„Obergrenze“ lehnte Bundeskanzlerin Merkel auf dem CSU-Parteitag am 20. November 2015 in München strikt ab.

Der Freistaat trug die Hauptlast der Flüchtlingsaufnahme und leistete eine hervorragende Arbeit. „In schwierigen Zeiten zeigt sich einmal mehr: Deutschland braucht das starke Bayern“, so das Fazit im Leitantrag für den CSU-Parteitag am 20./21.11.2015. Besonders problematisch war damals aus Sicht der CSU die Weigerung von Bundeskanzlerin Merkel und Bundesinnenminister de Maizière, effektive Grenzkontrollen einzuführen. Monatelang hielt der ungeregelte Zuzug von bis zu 10.000 Menschen pro Tag nach Bayern an – bis im März 2016 die Westbalkanroute geschlossen wurde und die EU mit dem türkischen Präsidenten Erdogan den sog. Flüchtlingsdeal vereinbarte.

Der damalige Bayerische Ministerpräsident und Parteivorsitzende Horst Seehofer und die CSU in Berlin setzten wichtige Kurskorrekturen durch, darunter die Wiedereinführung von Grenzkontrollen, die Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten, das Sachleistungsprinzip und die schnellere Abschiebung von Straftätern. Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz (sog. Asylpaket I) trat im Oktober 2015 in Kraft, das Gesetz zur „Einführung beschleunigter Asylverfahren“ (sog. Asylpaket II) im März 2016. Die Maßnahmen trugen zum sukzessiven Rückgang der humanitären Migration nach Deutschland bei.

Jedoch belastete die ungelöste Zuwanderungsfrage das Verhältnis von CSU und CDU und spaltete auch die CSU-Anhängerschaft: Die christsozialen und kirchennahen Bürger forderten eine liberalere Migrationspolitik, die Konservativen begrüßten den harten Kurs, der beim Koalitionspartner jedoch lange auf Ablehnung stieß. Erst nach langem Streit und auf Drängen der CSU einigte man sich in den Koalitionsverhandlungen 2018 darauf, dass die Zahl der jährlich nach Deutschland kommenden Geflüchteten die Spanne von 180.000 bis 220.000 Personen künftig nicht übersteigen solle („Obergrenze“). Nachdem im März 2018 eine neue CDU/CSU-SPD-Koalition gebildet worden war, legte Horst Seehofer als Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat im Juli 2018 den „Masterplan Migration“ vor. Der Masterplan enthielt 63 Maßnahmen, darunter die Einrichtung von ANKER-Zentren zur zügigen Bearbeitung von Asylverfahren. Lediglich die Maßnahme, Asylbewerber, die bereits in einem anderen EU-Land registriert worden waren, an der Grenze abzuweisen, erfuhr keine Unterstützung der Bundeskanzlerin.

Im Januar 2018 stellte der designierte Bayerische Ministerpräsident Markus
Söder auf der Klausurtagung der CSU-Landtagsfraktion seinen „10-Punkte-Plan für Bayern“ für die zukünftige Regierungsarbeit und den Landtagswahlkampf vor.
Einer der Punkte war die Gründung eines Bayerischen Landesamts für Asyl und Rückführungen, welche im April 2018 in Manching erfolgte. Im Herbst 2018 führte Bayern als erstes Bundesland ANKER-Zentren ein.

Integration und Leitkultur

Seit 2005 ist Integration eine Schwerpunktaufgabe der Bundesregierung. Dies belegen die bisher durchgeführten elf Integrationsgipfel, der Nationale Integrationsplan mit seiner Weiterentwicklung zum Nationalen Aktionsplan Integration sowie die Deutsche Islamkonferenz. Im August 2016 trat im Bund auf Anregung der CSU das sog. Integrationsgesetz in Kraft. Es sieht u.a. vor, dass mehr Menschen als bislang zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet werden können. Wer trotz Aufforderung nicht teilnimmt oder einen Kurs vorzeitig abbricht, muss mit Kürzungen der Sozialleistungen rechnen. Der Staat kann anerkannten Flüchtlingen außerdem unter bestimmten Bedingungen für einen Zeitraum von drei Jahren den Wohnort vorschreiben. Das Gesetz geht auf die Beschlüsse der CSU-Landesgruppe im Rahmen ihrer Klausurtagung im Januar 2016 zurück.

Für Bayern forderte das CSU-Grundsatzprogramm „Die Ordnung“ vom November 2016 u.a. den Zusammenhalt durch Leitkultur und Integration: „Leitkultur steht für den gelebten Grundkonsens in unserem Land: die Werteordnung und Prägung des Landes anerkennen; die Religionsfreiheit und ihre Grenzen achten; kulturelle Traditionen respektieren; andere Lebensweisen tolerieren; sich an die Gepflogenheiten des Alltags halten; sich auf Deutsch verständigen. Wer bei uns lebt, muss die Leitkultur unseres Landes respektieren.“ Bezüglich Integration ist zu lesen: „Dauerhaften Zusammenhalt gibt es nur, wenn Integration gelingt. Wir wollen Zuwanderung entsprechend den Interessen und der Aufnahmefähigkeit unseres Landes steuern und begrenzen. Wir geben Integration eine Richtung: Wer bei uns lebt, muss sich in unser gesellschaftliches Miteinander einfügen und an die Regeln des Zusammenlebens halten.“

Auf Initiative der CSU und gegen den Willen der Opposition wurde der Begriff der Leitkultur im Dezember 2016 im Bayerischen Integrationsgesetz festgeschrieben. Artikel 1 BayIntG lautet: „Bayern bekennt sich zu seiner Verantwortung gegenüber allen, die aus anderen Staaten kommen und hier nach Maßgabe der Gesetze Aufnahme gefunden haben oder Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen. Es ist Ziel dieses Gesetzes, diesen Menschen für die Zeit ihres Aufenthalts Hilfe und Unterstützung anzubieten, um ihnen das Leben in dem ihnen zunächst fremden und unbekannten Land zu erleichtern (Integrationsförderung), sie aber zugleich auf die im Rahmen ihres Gast- und Aufenthaltsstatus unabdingbare Achtung der Leitkultur zu verpflichten und dazu eigene Integrationsanstrengungen abzuverlangen (Integrationspflicht). Das soll zugleich einer Überforderung der gesellschaftlich-integrativen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes und seiner kommunalen Ebenen entgegenwirken.“

Weitere integrationspolitische Ereignisse waren die Schaffung des Amtes des „Integrationsbeauftragten der Bayerischen Staatsregierung“ im Jahr 2009, die Gründung des CSU Arbeitskreises „Migration und Integration“ im Juli 2015 und die Vereidigung von Michaela Kaniber als erste bayerische Staatsministerin mit Migrationshintergrund im März 2018.

Einen Ausblick auf die künftige Migrationspolitik leistet ein Auszug aus der Regierungserklärung des Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder vor dem Bayerischen Landtag am 23. Mai 2019: „Auch die Migration bleibt ein zentrales Thema für die Menschen. Hier brauchen wir die bayerische Balance aus Humanität und Ordnung. Für uns im Freistaat gilt der Grundsatz: So viel Integration wie möglich und so viel Ordnung wie nötig. In Bayern haben wir es vorgemacht: Wir sind das Land der gelingenden Integration und leisten herausragende Hilfe für Schutzbedürftige. Wir haben in rund 90.000 Fällen Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt gebracht und seit 2015 insgesamt über neun Milliarden Euro für Integration ausgegeben.“

Literatur

BMI (2018), Masterplan Migration: Maßnahmen zur Ordnung, Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung. Online: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/migration/masterplan-migration.pdf;jsessionid=E783F3E1DE4D87BB698190EACB3837BC.1_cid287?__blob=publicationFile&v=7.

„Deutschland braucht das starke Bayern. Migration – Leitkultur – Integration“: Leitantrag für den CSU-Parteitag am 20./21.11.2015 in München. Online: https://www.csu.de/common/csu/content/csu/hauptnavigation/aktuell/meldungen/Veranstaltungen/Parteitag2015/PDFs/2015-11-20-Leitantrag-Migration.Leitkultur.Integration-beschlossen.pdf

Beschlüsse der Klausurtagung der CSU-Landesgruppe, 6.-8.01.2016 in Wildbad Kreuth. Online: https://www.csu-landesgruppe.de/themen/klausurtagungen-und-veranstaltungen/klausurtagung-der-csu-landesgruppe-beschluesse-im-ueberblick

CSU-Grundsatzprogramm 2016 „Die Ordnung“. Online: https://www.hss.de/fileadmin/user_upload/HSS/Dokumente/ACSP/Grundsatzprogramme/CSU_Grundsatzprogramm_2016.pdf

Bayerisches Integrationsgesetz vom 13.12.2016. Online: https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayIntG?AspxAutoDetectCookieSupport=1

„10-Punkte-Plan für Bayern“ des designierten Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder bei der Klausurtagung der CSU-Landtagsfraktion am 18.1.2018. Online: https://www.csu.de/aktuell/meldungen/januar-2018/10-punkte-plan-fuer-bayern/

„Für ein starkes und freies Europa“: Regierungserklärung des Bayerischen Ministerpräsidenten am 23.5.2019. Online: https://www.bayern.de/fuer-ein-starkes-und-freies-europa/?seite=1614