Die frühen 1970er-Jahre gelten heute als Geburtsstunden der Umweltpolitik und starteten mit einem vom Europarat ausgerufenen „Naturschutzjahr“. In ganz Europa fanden zahlreiche Aktionen statt. Zur Eröffnung wurde eine Konferenz mit hochrangigen Teilnehmern abgehalten, die in einer Deklaration forderten, dass der vernunftgemäße Gebrauch und die Planung der natürlichen Ressourcen in der Politik höchsten Vorrang genießen und gleichberechtigt finanziert werden sollten.
Und wer legte vor? Bayern! Am 8. Dezember 1970, direkt nach der Landtagswahl, bei der die CSU mit 56,4% der Stimmen die absolute Mehrheit gewann, schlug Ministerpräsident Alfons Goppel vor, ein „Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen“ zu errichten. Seine Begründung: „Die Bedrohung unserer Lebensgrundlagen durch die zunehmende Technisierung der Welt und den unkontrollierten Egoismus der einzelnen lässt es nicht zu, den Umweltschutz heute noch von den Ministerien gesondert unter den verschiedensten Teilaspekten wahrzunehmen.“ Der Landtag stimmte zu. Und so entstand in dem von der CSU regierten Bayern das erste Umweltministerium in Deutschland, ja sogar das erste in Europa und womöglich weltweit. Zum Vergleich: Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit wurde erst 1986 gegründet.
Alois Glück erinnert sich, dass dies so selbstverständlich nicht war: Führende Politiker der CSU sahen dem mit Misstrauen entgegen und hielten es für eine falsche Konzession an den Zeitgeist. Dass es doch realisiert werden konnte, lag wesentlich am damaligen CSU-Generalsekretär Max Streibl und seinen Helfern in der CSU-Landesleitung, die den Handlungsbedarf erkannten, entsprechende Gespräche führten und Vorschläge ausarbeiteten. Streibl wurde der erste Umweltminister. Als eine weitere Schlüsselfigur gilt Hans Eisenmann, der als Staatsminister für Landwirtschaft und Forsten neue, dem christlichen Weltbild verpflichtete Akzente setzte. Unter ihm wurde 1970 der Nationalpark Bayerischer Wald gegründet, der erste Nationalpark in Deutschland.
Streibl und Eisenmann leisteten mit ihren Mitarbeitern Pionierarbeit, wobei sie sich auch nicht scheuten, auf Akteure der Zivilgesellschaft zuzugehen und externe fachliche Kompetenzen einzubinden. Sie bewiesen damit ein Gespür für Themen und Personen.
Vorbilder aus anderen Ländern gab es nicht. Bayern betrat Neuland. Das Ministerium und die fachlichen Kompetenzen mussten erst organisiert werden. Es galt, Umwelt- und Naturschutzaufgaben zu institutionalisieren und in verwaltungsrechtliche Verfahren zu integrieren. Damals standen vor allem technologische Lösungen zur Sanierung der Umweltprobleme im Vordergrund, aber auch die Implementierung von Monitoringsystemen und planerischen Vorsorgemaßnahmen. So wurde gleich in den ersten Jahren das Landesamt für Umweltschutz gegründet, technische Überwachungssysteme und die Biotopkartierung eingeführt und mit dem „Drei-Zonen-Plan“ Schutzgebiete im Alpenraum definiert. Das Bayerische Naturschutzgesetz bekam eine neue Fassung und galt daraufhin als modernstes in Europa.
Von 1970 bis 2018 stand das bayerische Umweltministerium durchweg unter der Führung von Ministern und Staatsekretären aus den Reihen der CSU-Fraktion. Ein Posten, der oft nicht einfach ist. Man kann allgemein nicht gerade behaupten, das Umweltressort habe einen prominenten Stellenwert in der Politik. Zudem entzünden sich entlang der Konfliktlinie von Umwelt und Wirtschaft immer wieder ideologische Grabenkämpfe, was wichtiger sei. Letztendlich hat diese Gretchenfrage auch zu Abspaltungen in der Parteienlandschaft geführt, so durch Gründung der ÖDP und der Grünen, welche 1983 bzw. 1984 in den Bundes- und Landtag einzogen.
In der Gesellschaft wie auch in den politischen Debatten gibt es immer einen Teil, dem die Konzessionen an die Wirtschaft zu weit gehen, während sich andere wiederum durch die Sanktionen zugunsten der Umwelt unnötig gegängelt fühlen. In dieser Gemengelage, die auch innerparteilich in der CSU zu erkennen ist, lassen sich einschneidende konzeptionelle Ideen nur umsetzen, wenn Forderungen nach „mehr Umwelt“ nicht allzu sehr in Konflikt mit der Wirtschaft geraten – oder wenn sich ein entsprechender Handlungsdruck aufbaut.
Josef Göppel, oft als das „grüne Gewissen“ der Partei bezeichnet, hat die Konjunkturen des Umweltthemas nachgezeichnet (in „Die Welt“ vom 10. September 2019). Die Euphorie Anfang der 1970er-Jahre flachte demnach rasch wieder ab und kam erst in den 1980er-Jahren wieder in Schwung, als das Waldsterben sichtbar wurde. Die nächste „Welle“ wurde im Jahr 1992 durch die UN-Konferenz über Umwelt- und Entwicklung ausgelöst. Ab den 2000er-Jahren war der Klimawandel nicht mehr zu leugnen und nach dem Reaktorunglück von Fukushima bekam die Energiewende einen Schub.
Erst jüngst bewiesen Umweltthemen erneut ihr Mobilisierungspotenzial. Bei kaum einem Thema im Konfliktfeld Umwelt und Wirtschaft konnte zuletzt eine befriedigende Einigung erzielt werden, ob Ausbau der Windkraft, Entlastung der Verkehrsinfrastrukturen, Ausweitung von Skibetrieben oder Gründung eines weiteren Nationalparks; dazu allerorten neuen Umgehungsstraßen, Einkaufszentren und Großbetriebe auf der Grünen Wiese.
Im Frühjahr 2018 beantragten die Grünen das Volksbegehren „Betonflut eindämmen“, mit dem sie den Flächenverbrauch verbindlich auf fünf Hektar pro Tag beschränkten wollten. Das Volksbegehren wurde zwar vom Verfassungsgerichtshof abgelehnt, doch die Initiatoren konnten mit dem Verweis auf den Verlust von Heimat und geerbten Landschaften (eigentlich zentrale, umweltpolitische Motive der CSU!) breite Unterstützung für sich gewinnen. Das von der ÖDP kurz darauf initiierte Volksbegehren zum Artenschutz mit dem Motto „Rettet die Bienen“ avancierte mit über 1,7 Millionen Unterschriften zum bisher erfolgreichsten in Bayern und zwang die nun aus CSU und Freien Wählern bestehende Regierungskoalition dazu, den vom Volksbegehren geforderten Gesetzentwurf zur Änderung des Bayerischen Naturschutzgesetztes zu übernehmen. Unterdessen war auch der Erfolg der Fridays for Future-Bewegung für mehr Klimaschutz nicht mehr zu übersehen.
Die Botschaft war nun deutlich und drängend: Umwelt- und Klimaschutzthemen müssen wieder prominenter auf die Agenda. Die CSU muss sich dabei außerdem strategisch von den Grünen absetzen, die in den Bundes- und Landtagswahlen punkten konnten und sich nun als parteipolitische Hauptkonkurrenten erwiesen. Der CSU-Vorsitzende Markus Söder nahm das Heft wieder in die Hand und reagierte, er lud zu Runden Tischen ein, setzte ein ergänzendes „Versöhnungsgesetz“ durch, das Härten für die Landwirte abfedern sollte, legte ein Klimaschutzkonzept vor und stockte die Haushaltsmittel für Umweltmaßnahmen auf.
Der CSU, die sich auf christliche Werte beruft (Bewahrung der Schöpfung) und sich dem Erbe der eigenen Pionierleistungen verpflichtet sieht (erstes Umweltministerium), muss es ein Anliegen sein, ein Ohr für Umweltthemen zu haben. Tatsächlich gab und gibt es in der CSU immer schon einzelne Persönlichkeiten wie Alois Glück, Josef Göppel, Henning Kaul oder Otto Hünnerkopf, die auch über die Parteigrenzen hinweg seit vielen Jahren als glaubwürdige Fürsprecher gelten. Auch die CSU-Arbeitskreise Umwelt und Landentwicklung (AKU) bzw. Energiewende (AKE) zeugen davon, dass die Umwelt für Menschen vor Ort ein Anliegen ist.
Für die CSU als Volkspartei liegt die Antwort stets im Versprechen, „mit Maß und Mitte“ vorzugehen. Die Partei vertraut dabei auf die soziale Marktwirtschaft und die Lösungsfähigkeit von Wissenschaft und Technik und setzt lieber auf Anreize, Kooperationen und Innovationen, statt auf Verbote und ordnungspolitische Maßnahmen. Ein frühes Beispiel für einen solchen freiwilligen, kooperativen Ansatz sind das Vertragsnaturschutzprogramm (VPN) und das Kulturlandschaftsprogramm (KULAP), welche umweltschonende Bewirtschaftungsmethoden honorieren. Bereits in den 1980er-Jahren brachte der Bayerische Landtag erste Vorläufer der heutigen Programme auf den Weg. Sie entwickelten sich rasch zu einem Erfolgsmodell für die Zusammenarbeit von Landwirtschaft und Naturschutz in Deutschland und Europa.
Die programmatische Antwort auf die bei den Grünen verortete, harte „entweder oder“-Haltung heißt bei der CSU kompromissfähig „sowohl als auch“. Als der CSU-Parteivorstand in seiner Klausur im September 2019 einstimmig für ein Klimaschutzkonzept stimmte, lautete die Twitter-Nachricht entsprechend: „Wir bringen Klimaschutz und Wirtschaft in Einklang. Ökonomie und Ökologie: Die Ur-DNA der CSU“.
Silke Franke, Staatsziel Umweltschutz. Eine politische Querschnittsaufgabe. Grundsatzpapier. Ergebnis des Expertenworkshops der Akademie für Politik und Zeitgeschehen (HSS) vom 9. Juli 2018, München 2018.
Alois Glück, Umweltpolitik in Bayern – wie es begann, in: Henning Kaul/Hans Zehetmair (Hrsg.), „Unsere Erde gibt es nur einmal“. Bekenntnisse zur Verantwortung für die Umwelt, Berlin 2009, S. 23-27.
Henning Kaul, Umweltpolitik in Bayern unter Führung der CSU seit 1970. Unveröffentlichtes Manuskript, Stand September 2017.