"Staatsbürger in Uniform" – Die CSU als Wegbegleiterin des Aufbaus und der demokratietragenden Rolle der Bundeswehr

Reinhard Meier-Walser

Seit Jahrzehnten besitzt die CSU eine selbst von ihren politischen Gegnern nicht bestrittene große Kompetenz und Glaubwürdigkeit im Bereich der Sicherheitspolitik. Diese Konstante beruht auf dem außergewöhnlich hohen Stellenwert, den die Partei dem elementaren menschlichen Bedürfnis nach „Sicherheit“ traditionell beimisst. Die Gewährleistung „innerer Sicherheit“ verband die CSU bereits in ihrer Gründungsphase mit einem funktionierenden System der Gewaltenteilung und dem Aufbau einen rechtsstaatlichen, freiheitlich-pluralistischen Demokratie. Die äußere Sicherheit der jungen, 1949 gegründeten und völkerrechtlich noch nicht souveränen Bundesrepublik sollte durch eine im demokratischen Verfassungssystem verankerte Armee und deren spätere Einbindung in die Sicherheitssysteme der westlichen Gemeinschaft gewährleistet werden.

Der „gescheite Muskelmann“ aus Bayern an der Wiege der Bundeswehr

Zwar durfte die 1949 gegründete Bundesrepublik zunächst keine nationalen Streitkräfte besitzen, jedoch forderten die Westmächte im Zuge der Eskalationsphase des Kalten Krieges bereits bald darauf einen eigenständigen Verteidigungsbeitrag Bonns. Die CSU spielte in dieser Frage eine weichenstellende Rolle insofern, als Bundeskanzler Adenauer Mitte der 1950er-Jahre aufgrund des wachsenden Drucks der NATO hinsichtlich der deutschen Wiederbewaffnung die Spitze des Verteidigungsressorts neu besetzen wollte. Franz Josef Strauß, so erinnerte sich General Gerd Schmückle, damals Pressesprecher des neuen Wehrministers, war für Adenauer die Idealbesetzung. Ein Mann „mit raschem Verstand, starkem Organisationstalent, robusten Nerven“. Der „gescheite Muskelmann“ aus Bayern sollte den „verfahrenen Karren aus dem Dreck ziehen“ und das „deutsche Militärwunder in letzter Stunde herbeizwingen“. Als Strauß, der als Bundesminister für Atomfragen im Kabinett saß, im Oktober 1956 an die Spitze des Verteidigungsministeriums wechselte und in dieser Funktion mit dem Aufbau der Bundeswehr betraut wurde, umfasste diese schwierige und komplexe Herausforderung, so hat es der Zeithistoriker Wolfgang Krieger detailgetreu rekonstruiert, drei verschiedene Aufgaben: Erstens hatte Bonn in den „Petersberger Gesprächen“ den NATO-Verbündeten versprochen, binnen dreier Jahre Streitkräfte im Umfang von 500.000 Soldaten zu rekrutieren. An dieser organisatorischen Herkulesaufgabe war bereits der Vorgänger von Strauß im Verteidigungsressort, Theodor Blank, gescheitert. Zweitens musste die außenpolitische Aufgabe der Einbettung der Bundeswehr in Strategien und Funktionen des westlichen Bündnisses bewältigt werden. Dazu, so Krieger, gehörte auch die „heikle Frage der nuklearen Bewaffnung“. Und schließlich besaß das Projekt auch eine wirtschaftlich-finanzielle Dimension. „Die Ausrüstung der Truppen belastete den noch keineswegs abgeschlossenen wirtschaftlichen Wiederaufbau, bot aber auch große Chancen zum Aufbau einer eigenen deutschen Rüstungsindustrie.“ Diese Chancen nutzte Strauß, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Erstens konnte er die Bundesrepublik über die Ausstattung der Bundeswehr wirtschaftlich-technologisch an andere westliche Industriestaaten heranrücken, zweitens betrieb er es durch die Förderung der Flugzeug- und später auch der Raumfahrtindustrie eine „aufholende Industrialisierung Bayerns“ (Krieger).

Eine Parlamentsarmee in der Mitte der Gesellschaft

Hinsichtlich der Frage der Rolle und Stellung der Streitkräfte in Staat und Gesellschaft präsentierte sich Strauß in Übereinstimmung mit Adenauer als „heftiger Befürworter einer lückenlosen parlamentarisch-politischen Kontrolle“ des Militärs (Krieger) und des „Staatsbürger in Uniform“-Leitbildes der Inneren Führung der Bundeswehr. Zu diesen grundlegenden Eckpunkten eines staatstragenden, die Streitkräfte in der Mitte der Gesellschaft verortenden Sicherheitskonzeptes demokratischer politischer Kultur positionierte sich die CSU auch in ihrem Grundsatzprogramm vom Juni 1957, in dem sie die „Verteidigung des Staates und seiner freiheitlichen Lebensordnung“ als eine „Aufgabe aller Bürger“ kennzeichnete. Explizit bekannte sie sich „deshalb zu dem demokratischen Prinzip einer allgemeinen Verteidigungspflicht“. Die Bundeswehr als „das im Grundgesetz vorgesehene Organ für die Sicherung unseres Staates nach außen“ müsse, so die christsoziale Forderung, „vom Vertrauen des ganzen Volkes getragen und den nach der Verfassung verantwortlichen politischen Gewalten unterworfen sein“.

Kurz nachdem Strauß in weltpolitisch turbulenten Zeiten (Eskalation der Suez-Krise, blutige Niederschlagung des ungarischen Aufstandes) das Bonner Verteidigungsressort übernommen hatte, folgte er dem Rat seiner militärischen Chefberater, der Generäle Heusinger und Speidel, und kippte das bereits erwähnte, den Westmächten zugesagte Planungsziel. Seine Neuplanung, lediglich 350.000 Soldaten innerhalb von sechs Jahren zu rekrutieren, vertrat er als Realist selbstbewusst gegenüber dem Bundeskanzler, dem Deutschen Bundestag und im Kreise der NATO-Partner. Dass es ihm rückblickend betrachtet schließlich innerhalb von sechs Jahren sogar gelang, aus „wenigen Gewehrträgern eine hochmoderne Streitmacht von über 400.000 Mann“ aufzustellen, belegt, dass er „sicher nicht alles falsch gemacht“ (Schmückle) hat.

Das neue, quantitativ und zeitlich reduzierte, aber immer noch sehr ambitionierte Planungsziel hatte Strauß auch mittels einer von ihm initiierten Gesetzesnovelle, wonach Angehörige des Bundesgrenzschutzes zur Bundeswehr übertreten konnten, erreichen können. Beide Maßnahmen zusammen – Verringerung der Zusagen und Integration von Bundesgrenzschutzbeamten in die Truppe – schufen eine, so der spätere Stellvertreter des Obersten Befehlshabers der Alliierten Truppen in Europa Gerd Schmückle, „erste wirklichkeitsnahe Grundlage für den Aufbau der Bundeswehr“. Erst unter der Führung von Strauß wurde vielen – „teils erbost, teils erfreut“ – bewusst, dass „die Zeit der Traumtänzereien zu Ende gehen und die Truppe dafür sorgen würde, dass künftig auf dem kargen Boden der Wirklichkeit geackert werden müsse“.

Mit dem erfolgreich vorangehenden Aufbau der Bundeswehr stieg auch das politische Gewicht Bonns im Atlantischen Bündnis. Strauß, dessen Ziel es war, das Staatsgebiet der Bundesrepublik „fest in das Sicherheitsnetz des westlichen Bündnisses einzubeziehen“, hatte im NATO-Rat mit Erfolg für die von ihm und der militärischen Führung der Bundeswehr favorisierte Idee der „Vorneverteidigung“ geworben. Dies war ein „erster deutscher Erfolg in der NATO“, der nicht nur der Bundesrepublik selbst, sondern der auch allen anderen Staaten innerhalb des östlichen Gürtels des Allianzraumes zu Gute kam (Schmückle).

Wollte Strauß eine nationale Atomstreitmacht?

Mit der zunehmenden Verzahnung der Bundeswehr im militärischen Gefüge der NATO stellte sich, als in Brüssel die Ausrüstung der europäischen Armeen mit nuklearen Waffen beschlossen wurde, auch die Frage, wie die Wahrung bundesdeutscher Interessen im Rahmen der Weiterentwicklung der NATO-Nuklearstrategie gewährleistet werden könne. Sicherheit, so das Kernziel der CSU in diesem Kontext, dürfe innerhalb der Allianz niemals teilbar werden. Die Position Bonns müsse es deshalb sein, die deutsche und die westeuropäische Sicherheit möglichst eng – am besten automatisch – mit der amerikanischen zu verkoppeln. Durch eine massive Militärpräsenz sollte dem Gegner jede Hoffnung genommen werden, er könne Krieg führen, ohne selbst unweigerlich vernichtet zu werden.“ (Krieger)

Im Kontext der Frage nuklearer Teilhabe innerhalb der NATO wurde Strauß später mitunter vorgeworfen, er habe als Verteidigungsminister auch die nationale Verfügungsgewalt über eine mit Atomwaffen ausgestattete Bundeswehr im Sinne gehabt. Für diese Unterstellung gibt es allerdings nicht nur keinen Beweis, sondern Strauß ging ganz im Gegenteil davon aus, dass weder eine unter US-amerikanischer Kontrolle stehende atlantische multilaterale Atomstreitmacht (MLF) noch die modifizierte Form einer atlantischen Atomstreitmacht (ANF) oder eine rein nationale Politik zur Verteidigung Europas geeignet wären. Stattdessen forderte er auch in seinem „Entwurf für Europa“ ein militärisch eigenständiges Europa mit einem strategischen und taktischen Atomwaffen-Arsenal „unter Kontrolle und Verfügungsgewalt einer europäischen Regierung, d.h. der politisch verantwortlichen Instanz eines geeinten Europa…. Also keine MLF oder ANF, sondern eine europäische Atomstreitmacht, koordiniert mit den Vereinigten Staaten in einer gemeinsamen nuklearen Strategie“. „Ausdrücklich“ betonte er auch als CSU-Parteichef in diesem Zusammenhang, dass „Deutschland in einem solchen europäischen System keinerlei nationale Kontrolle über Atomwaffen ausüben möchte“.

„Aussetzung“ der Wehrpflicht

Die CSU gehörte wie ihre Schwesterpartei CDU über viele Jahrzehnte hinweg zu den stärksten Befürwortern der „allgemeinen Wehrpflicht“, die in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Inkrafttreten des Wehrpflichtgesetzes im Juli 1956 eingeführt worden war. Mit der Möglichkeit der Wahl zwischen Wehrdienst oder Zivildienst, der Reduzierung der Dienstdauer und vor allem der Veränderung der internationalen Sicherheitslage nach dem Ende des Kalten Krieges war nach der Vollendung der deutschen Einheit das Festhalten an der Wehrpflicht aber selbst in Unionskreisen kein Tabuthema mehr. Nachdem es der FDP, die seit langem auf eine Abschaffung der Wehrpflicht gedrängt hatte, gelungen war, in der 2009 gebildeten schwarz-gelben Koalition eine Reduzierung des Grundwehrdienstes und des Zivildienstes auf sechs Monate zu erwirken, mussten selbst unbeugsame Verfechter der Wehrpflicht einräumen, dass angesichts der hohen technischen Anforderungen und langen Ausbildungszeiten modern ausgestatteter Streitkräfte eine glaubwürdige und effektive Verteidigung lediglich von einer Berufsarmee gewährleistet werden könne. Vor diesem Hintergrund folgte der Parteitag der CSU im Oktober 2010 dem Vorschlag ihres Parteifreundes und Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und beschloss eine „Aussetzung“ der Wehrpflicht, die Teil eines umfassenden Paketes zur Reform der Bundeswehr im Sinne ihrer Anpassung an die Herausforderungen der neuen internationalen Sicherheitslage war. Am 24. März 2011, fast 55 Jahre nach ihrer Einführung, setzte der Deutsche Bundestag schließlich die allgemeine Wehrpflicht aus, wobei der Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses neben FDP und Bündnis 90/Die Grünen auch die CDU/CSU-Fraktion folgte.

Literatur

Wolfgang Krieger, Franz Josef Strauß und die zweite Epoche der Geschichte der CSU, in: Hanns-Seidel-Stiftung (Hrsg.), Geschichte einer Volkspartei. 50 Jahre CSU 1945-1995, Grünwald 1995, S. 163-193.

Gerd Schmückle, Die Bundeswehr – vom Nullpunkt an, in: Friedrich Zimmermann (Hrsg.), Anspruch und Leistung. Widmungen für Franz Josef Strauß, Stuttgart 1980, S. 69-81. Ders., Ohne Pauken und Trompeten. Erinnerungen an Krieg und Frieden, Stuttgart 1982.

Franz Josef Strauß, Entwurf für Europa, Stuttgart 1966.