Strauß rüffelt Goethe – Ihm missfiel die auswärtige Kulturpolitik

Klaus Rose

Dass Franz Josef Strauß Bundesverteidigungsminister, Bundesfinanzminister und Bayerischer Ministerpräsident war, ist bekannt. Dass er als langjähriger CSU-Vorsitzender Weltpolitik und Geheimdiplomatie liebte, ist auch bekannt. Dass er sich aber in die Verästelungen einer ins Ausland wirkenden Kulturpolitik verirrte, fiel nur den Betroffenen auf – das aber umso heftiger.

Strauß und Raffalt

Mit dem ersten Leiter des Auslandsstudios des Bayerischen Rundfunks in Rom, Reinhard Raffalt, verband Strauß eine Art humanistische Seelenverwandtschaft, was Bildung und Latein betraf. Raffalt und Strauß besuchten sich gegenseitig, in Rom, in Rott am Inn oder in München. Aus dem beiderseitigen Schriftverkehr geht hervor, dass „ein intellektueller Austausch auf gleichem Niveau“ (Traut S. 86) gepflegt wurde. In ihrer Beziehung werden einige Facetten des Einwirkens von Strauß auf die Auswärtige Kulturpolitik sichtbar. Manch kulturpolitische Analyse half beiden in ihrem Schaffen, bis zu Raffalts plötzlichem Tod am 16. Juni 1976. Da die 1967 gegründete Hanns-Seidel-Stiftung im Februar 1973 die Errichtung eines „Instituts für Internationale Beziehungen und Zusammenarbeit“ beschloss, schien Reinhard Raffalt ein idealer Partner für Italien zu sein. Ab September 1974 vermittelte dieser viele Kontakte, nahm aber auch die Darstellung und Repräsentation Bayerns und seiner christlich-sozialen Politik wahr.

Die sozial-liberale Bundesregierung seit 1969 hatte, schnell sichtbar, für die Darstellung eines „christlich-sozialen Bildes“ wenig übrig. Die Welt sollte ein neues Deutschland kennenlernen, wozu die Ost- und Friedenspolitik von Bundeskanzler Willy Brandt, aber auch die kirchenferne Gesellschaftspolitik der „68er-Generation“ gehörte. Die Kulturabteilung des Auswärtigen Amts wurde folglich umgestaltet. 1976 gab es einen neuen Rahmenvertrag zwischen Auswärtigem Amt und Goethe-Institut. Nicht mehr die klassische Kulturpolitik, sondern eine Art „plebejische Vielfalt“ prägte das neue Deutschlandbild im Ausland. Später hieß es ganz offiziell: „Geprägt von der Studentenrevolte orientiert sich die nun einsetzende kulturelle Programmarbeit des Goethe-Instituts an gesellschaftspolitischen Themen und avantgardistischer Kunst.“ (Website des Goethe-Instituts)

Strauß bekämpft die linksliberale Kulturpolitik

Kulturausstellungen im Ausland entsprachen natürlich nicht mehr dem Geschmack der „alten“ Elite. In den einzelnen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland rund um den Erdball und besonders in den vielen neuen Dependancen des Goethe-Instituts tummelten sich gar manche echte „68er“, die auf Steuerzahlers Kosten ihr eigenes Weltbild zum Besten gaben. Dazu sollte vor allem ein neues Muster von „Wortprogrammen“ dienen, welches auch Günther Grass zu einem Vortrag in New York oder manchem „Studentenführer“ zur Verbreitung seines revolutionären Auftrags verhelfen konnte. Der eigentliche Auftrag des Goethe-Instituts, nämlich die Vermittlung der deutschen Sprache, trat immer mehr in den Hintergrund. Mancher Instituts-Leiter, besonders auf dem indischen Subkontinent, verzichtete völlig auf das Sprachangebot und lockte vielmehr Gäste durch Theaterstücke und Musik in englischer Sprache an. Möglichst nicht als Deutscher auffallen, schien die Devise zu sein. Ein neues deutsches Weltbild wurde bald nur noch durch das Konkurrenz-Institut der DDR vermittelt. Doch immer wieder tauchten in den konservativeren Zeitungen Hinweise auf diese „Neuorientierung“ auf. Franz Josef Strauß fing bald zu toben an.

Er hatte schon lange Grund dazu. Die Neuorientierung der Goethe-Arbeit führte nämlich immer häufiger zu „Künstler-Auftritten“, die im Ausland missliebige deutsche Persönlichkeiten angriffen. Bei einer Foto-Ausstellung 1975 in London, welche vom Goethe-Institut mitfinanziert wurde, musste Franz Josef Strauß als Metzger herhalten, in Anspielung auf seine Abstammung. Entsprechende Proteste ließen Außenminister Hans-Dietrich Genscher zwar sein „Bedauern über die diffamierenden Darstellungen“ ausdrücken, aber wohl eher wegen des Zusammenhangs mit Bundesmitteln. Als die Weisung zur Zurückhaltung kam, schwang sich ein SPD-Abgeordneter aus Hamburg zum Künstler-Retter auf. Es werde, so meinte er, mit dem Geldhahn Zensur betrieben. Es hatte nämlich die linke Künstlergruppe „Rote Rübe“ aus München keinen Zuschuss mehr für eine Paris-Reise bekommen (zitiert nach Spiegel 12/1975). Der SPD-Abgeordnete stammte aus einer deutschen Offiziersfamilie mit völkischem Hintergrund, wirkte aber vielleicht deshalb besonders engagiert als „Linker“. Von 1977 bis 1985 war er Präsidiumsmitglied im Goethe-Institut.

Neuorientierung durch die Wiedervereinigung

Nach der Bundestagswahl vom März 1983, die den CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl eindrucksvoll als Kanzler bestätigte, aber FDP-Chef Hans-Dietrich Genscher weiterhin im Auswärtigen Amt beließ, setzte die Kulturabteilung ihren gewohnten Kurs fort. Doch erstmals hatte sich ein CSU-Mitglied im Haushaltsausschuss des Bundestages des Etats des Auswärtigen Amts angenommen. Dieses CSU-Mitglied war der Autor dieses Beitrags, AA-Berichterstatter 1983-1994. Bald stöhnten die Goethe-Institute weltweit, dass sie jetzt Rechenschaft über alle(!) Wortprogramme ablegen mussten. Der neue Berichterstatter sah sich auch zunehmend kritisch vor Ort um und konnte mit belegbaren Fakten aufwarten. Im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages gab es genüssliche Debatten. Aber erst als im Juni 1986 Franz Josef Strauß als Minister­präsident von Bayern eine Philippika vor der Mitgliederversammlung des Goethe-Instituts ablieferte, begann das Goethe-Präsidium umzudenken.

Zunächst schäumten noch die linken Medien in Deutschland. Im Deutschen Bundestag gab es eine aufgeregte „Aktuelle Stunde“ mit bekannten Rednern. Als im Januar 1987 aber die Kohl-Regierung durch Wahl bestätigt wurde, machten der Präsident des Goethe-Instituts und sein kleiner elitärer Vorstand den Haushaltsberichterstatter zum Vorstandsmitglied im Goethe-Verein. Mit dem damaligen Generalsekretär ergab sich bald eine durchaus fruchtbare Zusammenarbeit. Er kreuzte häufig in Bonn auf, um die Stimmungslage im Haushaltsausschuss zu testen, und wirkte mäßigend auf die unruhigeren Geister im Vorstand ein.

Durch die Wiedervereinigung Deutschlands fiel ideologischer Ballast ab. Das Loblied auf den Sozialismus und dessen Errungenschaften war „vom Winde verweht“. Der 1989 nur widerwillig akzeptierte neue Präsident Hans Heigert konnte bis 1993 ruhigere Bahnen einschlagen. Auch der neue Außenminister Klaus Kinkel war für eine „avantgardistische Kultur“ kaum zu gewinnen. Spätere Tätigkeitsberichte des Goethe-Instituts sahen die Pflege der Sprache und Kultur der Deutschen wieder mehr im Mittelpunkt. Zwei weitere CSU-Mitglieder als Haushaltsberichterstatter des Auswärtigen Amts, Erich Riedl und Herbert Frankenhauser, erlebten ab 1995 weniger Aufregung. „Skandal-Stories“ mussten anderswo gefunden werden. Immerhin konnten die alten Garden der auswärtigen Kulturpolitik aber wegen einer angeblichen Auszehrung der Kulturpolitik den „Schwarzen Peter“ nun dem Rotstift eines CSU-Finanzministers zuschieben – und natürlich der behaupteten Überforderung des neuen FDP-Außenministers. Finanzen und Kultur waren jedoch schon immer Reizwörter. Die Wortgewalt lag aber durchaus im Umfeld von Konservativen – bei einem Franz Josef Strauß war sie selbstredend.

Literatur

Julian Traut, Ein Leben für die Kultur. Reinhard Raffalt (1923-1976) zwischen Bayern, Deutschland und Italien, Regensburg, 2018.

Thomas Jehle, Die auswärtige Kulturpolitik des Freistaats Bayern 1945-1978, München 2018.

Website des Goethe-Instituts https://www.goethe.de/de/uun/org/ges.html, Internet-Abruf vom 29.10.2019.