Theo Waigel und die Währungs­politik zwischen Deutscher Einheit und Europäischer Integration

Rudolf Himpsl

Es waren neun aufregende Jahre für Theo Waigel im Amt des Bundesfinanzministers, während der er – ohne Übertreibung – Weltpolitik mitgestaltete und bisweilen unpopuläre Entscheidungen verantworten musste: „Sie müssen“, so meinte er selbst 2009 gegenüber dem Bayerischen Rundfunk, „jedes Jahr mit sieben multiplizieren, weil jedes Jahr ein Hundejahr war, und damit komme ich allein schon auf fast 70 Jahre als Bundesfinanzminister.“ Aus dieser Zeit bleiben vor allem die währungspolitischen Grundsatzentscheidungen und Weichenstellungen, deren Wirkung doch weit über die Finanzpolitik hinausreichten. Schließlich gestaltete Theo Waigel die deutsche Wiedervereinigung und die wichtigen Wegmarken der Europäischen Integration wie den 1992 geschlossenen Vertrag von Maastricht maßgeblich mit. Die Beteiligung an diesen historischen Ereignissen in entscheidender Position machen die politische Laufbahn des Sohns eines oberschwäbischen Maurerpoliers auf der einen Seite zu einer ganz außergewöhnlichen Karriere. Andererseits steht er mit seinen Anfängen in der Katholischen Landjugendbewegung auch beispielhaft für die Lebenswege vieler führender CSU-Politiker, die in den ersten Nachkriegsjahrzehnten sozialisiert wurden und zuerst in kirchlichen Jugendgruppen oder den Kreisjugendringen gesellschaftliche Verantwortung übernahmen. Diese oftmals beeindruckenden Aufsteigerbiographien beweisen zugleich die besondere Integrationskraft und damit einen wichtigen Erfolgsfaktor, der die CSU ab den 1950er-Jahren zu einer echten Volkspartei machte – gerade auch im Vergleich zur CDU, die noch länger dem Typus der „Honoratiorenpartei“ entsprach.

Liberal, katholisch, heimatverbunden

In der CSU steht Theo Waigel für einen ausgleichenden Kurs der Mitte. Die programmatische Erneuerung der Partei unter ihrem Vorsitzenden Franz Josef Strauß schrieb er als Vorsitzender der Programmkommission von 1973 bis 1988 mit. Seine Ausführungen zum CSU-Grundsatzprogramm von 1976 können gleichfalls als die Maxime seines politischen Handelns verstanden werden: „Politische Mitte bedeutet politische Vernunft und Absage an politische Heilslehren“. Das damals verabschiedete Grundsatzprogramm bewertete er in seiner Grundtendenz als „ein liberales Programm“, geprägt von den Prinzipien „Freiheit, Selbstverantwortung, Würde des einzelnen, Hilfe zur Selbsthilfe“. Diese Leitlinien prägten auch Waigels Politik als Bundesfinanzminister. Wie seine beiden CSU-Vorgänger in diesem Amt betonte er den handlungsleitenden Wert der Stabilität. Während CDU-Wahlplakate (sic!) mit Fritz Schäffer als „Hüter der Währung“ um Stimmen warben und Franz Josef Strauß versprach, die D-Mark „hart“ zu machen, sah sich Waigel beim Ruf der Ostdeutschen nach der D-Mark und den Verhandlungen über die europäische Gemeinschaftswährung diesbezüglich wohl nochmals größeren Herausforderungen ausgesetzt, auch wenn solche historischen Vergleiche kaum gerecht sein können.

„Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh‘n wir zu ihr!“

Theo Waigel erklärte schon 1983 in einem Bayernkurier-Artikel, dass es ein „Grundsatz der CSU in der Deutschlandpolitik war und bleibt, jede Chance zu nutzen, um Belebung in das innerdeutsche Verhältnis zu bringen und menschliche Beziehungen auf Dauer zu erleichtern“. Zu diesem Zeitpunkt konnte er natürlich noch nicht absehen, mit welcher Dramatik sich die Lage sechs Jahre später entwickeln sollte – mit ihm mittendrin als einer der Hauptfiguren. Im April 1989 war er zum Finanzminister im Kabinett von Bundeskanzler Kohl berufen worden. Die Forderungen nach einer Wiedervereinigung wurden nach der Öffnung der Mauer am 9. November 1989 immer lauter. Der Bundesfinanzminister sah sich mit immensen Herausforderungen konfrontiert. Sein Plan, für das Jahr 1990 zum ersten Mal seit 21 Jahren und damit als erster Finanzminister seit Strauß einen ausgeglichenen Bundeshaushalt zu präsentieren, ließ sich angesichts der historischen Situation zwangsläufig nicht mehr realisieren. Überhaupt gab es für die finanz- und währungspolitische Zusammenführung von Staaten mit zwei so unterschiedlichen Wirtschaftssystemen weder einen Präzedenzfall noch ein Lehrbuch. Wohl noch bedeutend größer war die Herausforderung, den Hoffnungen und Ängsten der Menschen auf beiden Seiten der innerdeutschen Grenze gerecht zu werden. Theo Waigel nahm diese Ängste ernst und versuchte, den Menschen die Verunsicherung zu nehmen.

Die Einführung der D-Mark in der DDR zum 1. Juli 1990 stellte den entscheidenden Schritt dar, mit dem der Weg zur Einheit unumkehrbar wurde. Waigel hat dabei seinen Landsleuten nie verhehlt, dass die Wiedervereinigung ihren Preis haben werde. Als sich die wirtschaftlichen und sozialen Kosten abzeichneten und die Kritik innerhalb wie außerhalb seiner Partei wuchs, hielt er dennoch an seinem Kurs aus Überzeugung und geschichtlicher Verantwortung fest. Es ging um eine Stabilität, die sich nicht mehr „nur“ auf die Währungspolitik beschränkte. Bereits im Mai 1990, anlässlich der ersten parlamentarischen Beratung des Vertrags über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, betonte er die weitreichenden historischen Zusammenhänge der rasanten Entwicklung binnen kürzester Zeit: „Jetzt findet Deutschland seinen richtigen Platz in der Gemeinschaft der freien, friedliebenden und souveränen Völker. … Wurde früher die Teilung Europas in Blöcke als Garant der Stabilität angesehen, so setzt sich zunehmend die Einsicht von der Stabilität Europas durch Einheit Deutschlands und Überwindung der Grenzen durch. Damit könnten wir jenem Zustand näherrücken, den Kant in der Idee des Ewigen Friedens fixiert hat.“

Architekt der Deutschen Einheit und der Europäischen Integration

Von einer Schonfrist zu seinem Amtsantritt konnte Theo Waigel beim besten Willen nicht sprechen. Schon vor den Verhandlungen zur Einheit und darüber hinaus beschäftigte ihn der von Kommissionspräsident Jacques Delors 1988 vorgestellte Plan zur Einführung einer europäischen Währungsunion intensiv. Waigel drängte von Beginn an darauf, dass die neue Währung der D-Mark in ihrer Stabilität in nichts nachstand, um zugleich auch hier schon früh die Bedeutung der Gemeinschaftswährung für das europäische Friedensprojekt zu betonen. Der Vertrag von Maastricht, der im Februar 1992 unterzeichnet wurde, trug mit seinen Konvergenzkriterien zwar maßgeblich die Handschrift Waigels, doch blieben Detailfragen der Einführung der Gemeinschaftswährung bis zum 1. Januar 1999 noch weiteren Verhandlungen auf der zwischenstaatlichen Ebene vorbehalten. Dies galt insbesondere für die Umsetzung des Stabilitätspakts und die Auslegung der Konvergenzkriterien, nachdem die Nettoneuverschuldung mehrerer designierter Mitgliedsstaaten der Währungsunion die Drei-Prozent-Grenze des Brutto­inlandsprodukts während der 1990er-Jahre überstieg. Waigel sah sich hier nicht nur harten Verhandlungen mit Frankreich und den Südländern konfrontiert, auch innerparteilich nahm der Gegenwind zu.

Ministerpräsident Edmund Stoiber positionierte sich nach seinem Amtsantritt 1993 als einer der schärfsten Kritiker der Währungsunion. Vor allem in den Jahren 1995 bis 1997 spitzte sich der Konflikt zwischen München und Bonn anhand der Frage zu, ob dem von Beginn an ambitionierten Zeitplan bei der Einführung der Gemeinschaftswährung oder der Einhaltung der Konvergenzkriterien Vorrang eingeräumt werden sollte. Bundeskanzler Helmut Kohl wollte unter allen Umständen an der Umsetzung der dritten Stufe der Gemeinschaftswährung festhalten. Die Bayerische Staatsregierung präsentierte sich nun zunehmend als „Hüterin einer stabilen Währung“. Dabei entsprach dies im Grundsatz auch der Maßgabe, die Bundesfinanzminister Waigel seit Beginn der europäischen Verhandlungen vertreten hatte, der jedoch, ähnlich der Position von Bundeskanzler Kohl, stärker die integrationspolitische Bedeutung der Gemeinschaftswährung betonte. Nichtsdestoweniger wollte auch Theo Waigel, dass die Einhaltung der Kriterien den Zeitplan bestimmte, nicht umgekehrt. Schließlich ging der Stabilitätspakt mit einem Frühwarnsystem auf seine Initiative zurück, um die Zustimmung der Bürger für die neue Währung zu sichern. Allerdings gelang es der Bundesregierung nicht, einen Sanktionsautomatismus beim Europäischen Rat in Amsterdam im Juni 1997 durchzusetzen.

Und dennoch: Trotz unbestreitbarer Schwächen steht Theo Waigel auch aus heutiger Perspektive und gerade nach den Erfahrungen der Finanzkrise zum Euro, dessen Name schließlich ebenfalls auf seinen Vorschlag zurückgeht. In seinen Memoiren vertritt er entschieden die Position, dass es „keine Geburts-, sondern Erziehungsfehler [waren], die die späteren Probleme schufen.“ Die Aufnahme Griechenlands in die Währungsunion sei eine „verhängnisvolle Fehlentscheidung“ gewesen, die Aufweichung der Stabilitätskriterien gerade durch Deutschland habe zu einem Vertrauensverlust geführt. Dagegen habe während der Finanzkrise die gemeinsame Politik und Währung ein „unaufhörliches Wechselspiel zwischen Abwertung und Aufwertung, Subventionen und Zöllen, Protektion und Staatsintervention“ verhindert.

Literatur

Peter Ramsauer (Hrsg.), Weichenstellungen für Deutschland und Europa (Festschrift für Theo Waigel), München 2009.

Theo Waigel, Ehrlichkeit ist eine Währung, Berlin 2019.