„Wer mehr Zuwanderung will, darf uns nicht wählen!“ – Migrationspolitik 1955-2010

Susanne Schmid

Das Migrationsgeschehen in Deutschland spiegelt politische Entscheidungen wider, an denen die CSU maßgeblichen Anteil hatte. Sie prägte nachhaltig die Maßnahmen zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung nach Deutschland. Jede Zuwanderungsform bedarf eines eigenen Migrations- und Integrationsmanagements. Man unterscheidet grob zwischen humanitärer Migration, Familiennachzug, Erwerbsmigration und Bildungsmigration. Zusätzlich differenziert man zwischen dauerhaftem und zeitlich befristetem Zuzug. Familiennachzug ist zumeist dauerhaft angelegt, der Zuzug aus Bildungs- und Erwerbsgründen häufig temporär. Die Erwerbs- und Bildungsmigration ist lenkbar; die humanitäre Migration und den Familiennachzug zu steuern, stellt eine besondere Herausforderung dar.

1955-1980: Gastarbeiteranwerbung, Anwerbestopp, Familiennachzug

Eine erste Zuwanderungsphase gab es in den 1960er-Jahren bis Anfang der 1970er-Jahre in Folge der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte, der sog. Gastarbeiter. 1955 schloss die Bundesrepublik mit Italien das erste Anwerbeabkommen, gefolgt von Griechenland und Spanien (1960), der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968). 1964 wurde der millionste Gastarbeiter feierlich vom damaligen Bundesinnenminister Hermann Höcherl (CSU) begrüßt. Integrationsmaßnahmen waren aufgrund des befristeten Aufenthalts der Gastarbeiter nicht angedacht. Im Laufe der Zeit wurde aus der Befristung jedoch ein Daueraufenthalt mit damit verbundenem Familiennachzug.

Vor diesem Hintergrund stellte Alois Glück 1971 als frisch gewählter Landtagsabgeordneter eine schriftliche Anfrage zur Situation der Gastarbeiter in Bayern: „Ich frage daher die Staatsregierung, welche Schwierigkeiten bei der sozialen Integration ausländischer Gastarbeiter in Bayern auftreten; in welchem Umfang Mißstände bei den Arbeitsverhältnissen, den Wohnverhältnissen und beim Vermittler- und Dolmetscherdienst bekannt sind und was zur Beseitigung dieser Mißstände getan werden kann; in welcher Weise die schulische Betreuung der Kinder der ausländischen Gastarbeiter in Bayern erfolgt?“
Aus ihrer Oppositionsrolle im Bund heraus sprach die Union die problematische Entwicklung der Gastarbeiterpolitik ebenfalls deutlich an.

Aufgrund der Ölkrise beschloss die Bundesregierung am 23. November 1973 den sog. Anwerbestopp für ausländische Arbeitskräfte. Bis zum Anwerbestopp kamen rund 14 Millionen Gastarbeiter in die Bundesrepublik, 11 Millionen zogen wieder in ihr Herkunftsländer zurück. 3 Millionen Gastarbeiter verblieben in Deutschland und holten ihre Familien nach. In Bayern wuchs die ausländische Erwerbsbevölkerung zwischen 1960 und 1972 von 37.000 auf über 371.000 Personen. Hauptherkunftsländer der Gastarbeiter in Bayern waren Italien, gefolgt von der Türkei und dem ehem. Jugoslawien.

1980-2000: Spätaussiedler, Asylsuchende und Asylkompromiss

In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre setzte dann eine zweite Zuwanderungswelle ein. Sie umfasste anfangs vor allem Asylsuchende aus Entwicklungsländern, zunehmend aber auch Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehem. Jugoslawien sowie deutschstämmige Spätaussiedler aus Ost- und Südosteuropa. Der vorläufige Höhepunkt lag im Jahr 1992 bei 1,5 Millionen Zuzügen, darunter fast ein Drittel Asylsuchende. Die Zahl der Ausländer stieg in Deutschland zwischen 1986 und 1996 von 4,5 Millionen auf 7,3 Millionen Personen.

Die Union war bereits in den Jahren zuvor immer wieder für Änderungen im Asylrecht eingetreten. Ende der 1980er-Jahre erklärte der damalige Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU): „Jede Entscheidung zugunsten eines bestimmten Typs von Asylbewerbung hat im Heimatstaat eine Multiplikationswirkung, wenn ein Gerichtsurteil erlassen wird, dann werden in den Zeitungen von Sri Lanka zum Beispiel Anzeigen von Reisebüros veröffentlicht, also absolut organisiert und Anreiz für eine Antragsstellung.“

Die fremdenfeindlichen Ausschreitungen 1991 in Hoyerswerda, Rostock, Mölln und Solingen und die Stimmengewinne der Republikaner bzw. der rechtsextremen DVU bei den Landtagswahlen 1992 in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein veranlassten die Union zu einer weiteren Beschränkung der Flüchtlingsaufnahme. Im Bundestag entbrannte eine harte und polemisch geführte Debatte um die Verschärfung des Asylrechts. Nach zähen Verhandlungen verständigten sich die Vertreter von CDU/CSU, SPD und FDP am 6. Dezember 1992 auf den sog. Asylkompromiss, d.h. auf die Änderung des Artikels 16 Grundgesetz: „Der Landesvorstand hat einstimmig, bei nur einer Stimmenthaltung das Papier akzeptiert, angenommen und als eine gute Lösung begrüßt“, so der damalige CSU-Vorsitzende und Bundesfinanzminister Theo Waigel. Bestandteile des Asylkompromisses waren: Sichere Drittstaaten, Sichere Herkunftsstaaten, Flughafenregelung, Asylbewerberleistungsgesetz, Kriegsflüchtlingsstatus. Aufgrund der Neuregelung nahm die Zuwanderung nach 1993 wieder ab.

Vor und nach der Jahrtausendwende bestimmten die Abwehr des politischen Extremismus, eine strikte Ausländerpolitik und das Ringen um das Zuwanderungsgesetz die bayerische Innenpolitik. Bayerische Innenminister in dieser Zeit waren Edmund Stoiber (1988-1993) und Günther Beckstein (1993-2007).

2000-2010: Staatsangehörigkeitsrechtsreform und Zuwanderungsgesetz

Unter der rot-grünen Bundesregierung wandelte sich die Migrationspolitik: Zuerst wurde eine Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts in Angriff genommen. Die Union lehnte das Geburtsortprinzip und den „Doppelpass“ entschieden ab. Der damalige CSU-Vorsitzende und Ministerpräsident Edmund Stoiber führte im Focus-Interview vom 4. Januar 1999 aus: „Wir können erstens ausländische Straftäter nicht mehr abschieben, wenn sie auch die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Wenn wir mit dieser neuen Staatsbürgerregelung etwa die ganze Kurdenproblematik und das damit verbundene massive Gewaltpotenzial nach Deutschland importieren, schätze ich die Gefährdung der Sicherheitslage höher ein als bei der RAF in den siebziger und achtziger Jahren.“

Die Parteivorsitzenden Wolfgang Schäuble und Edmund Stoiber initiierten 1999 eine Unterschriftenaktion mit dem Titel „Ja zur Integration, Nein zur doppelten Staatsangehörigkeit“. Die Unterschriftenaktion zeigte Erfolg: SPD und Grüne mussten ihre ursprünglichen Pläne einer generellen doppelten Staatsbürgerschaft abändern. Zum 1. Januar 2000 trat ergänzend zum Abstammungsprinzip das Geburtsortsprinzip in Kraft.

Fast drei Jahre rangen die Bundesparteien um einen Gesetzentwurf zur Zuwanderung und Integration. Im Juni 2004 begrüßte der Bayerische Landtag „den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf des Bundes für ein neues Zuwanderungsrecht, der maßgeblich die Handschrift der CSU trägt und sich völlig von der ursprünglichen Vorlage unterscheidet.“ Im Juli 2004 stimmte die CSU im Bundestag und Bundesrat dem sog. Zuwanderungsgesetz zu. Am 1. Januar 2005 trat das „Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern“ in Kraft. Ab 2007 folgten gesetzliche Änderungen und Ergänzungen: Es wurden relevante EU-Richtlinien wie die Dublin-II-Verordnung, die Familiennachzugsrichtlinie, die Qualifikationsrichtlinie, die Forscherrichtlinie und die Richtlinie zur Blue Card umgesetzt. In einem Dringlichkeitsantrag forderte die CSU-Landtagsfraktion am 14. Februar 2007 die Staatsregierung auf, „sich im anstehenden Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Zuwanderungsgesetzes auf Bundesebene weiterhin dafür einzusetzen, dass der Ehegattennachzug an den Nachweis von Deutschkenntnissen des Nachziehenden vor der Einreise geknüpft wird und wirksame Regelungen zur Bekämpfung der Zwangsheirat eingeführt werden. Eine gesetzliche Bleiberechtsregelung, die zur Erteilung eines Aufenthaltstitels ohne Arbeitsplatznachweis und damit zu einer weiteren Verfestigung der Zuwanderung in die Sozialsysteme führt, wird abgelehnt.“ Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels sprach sich die CSU für eine vereinfachte Zuwanderung von Spezialisten aus dem Ausland aus.

Literatur

Irene Geuer, Der Asylkompromiss von 1992. Kampf um Artikel 16, in: Deutschlandfunk, 5.12.2017. Online: https://www.deutschlandfunk.de/der-asylkompromiss-von-1992-kampf-um-artikel-16.724.de.html?dram:article_id=402386.

Stefan Luft/Peter Schimany (Hrsg.), 20 Jahre Asylkompromiss, Bielefeld 2014.

Malte Dreß, Die politischen Parteien in der Deutschen Islamdebatte, Wiesbaden 2018.

Zu den Debatten im Deutschen Bundestag: Drucksache VI/2897 v. 03.12.1971, 7/2469 v. 13.08.1974; im Bayerischen Landtag: Drucksache 7/892 v. 18.06.1971, 12/9435 v. 10.12.1992 und
Plenarprotokoll 12/76 v. 17.12.1992, 14/626 v. 23.03.1999, 15/1289 v. 29.06.2004, 15/7493 v. 14.02.2007, 15/9289 v. 13.11.2007.