Wie Bayern zu neuen Museen und Geschichtshäusern kam

Richard Loibl

Der Freistaat Bayern firmiert gerne als besonders geschichtsbewusst und identitätsstark. Als Mittel der Geschichts- oder Identitätspolitik, die in Bayern seit den Königen Ludwig I. und Maximilian II. betrieben wurde, sind historische Museen und Geschichtsausstellungen relativ jung. Dabei stellt das 1855 gegründete Bayerische Nationalmuseum nicht wirklich eine Ausnahme dar, war es doch in seiner Zielsetzung, Kunst und Gewerbe zu präsentieren, soweit zur Charakterisierung der Vergangenheit geeignet, immer schon einem kunstgeschichtlichen Haus recht nah. Das historische Museum mit seinem Sammlungsgrundsatz, der die Aussagekraft eines Objektes samt tradierter Geschichte über den kunsthistorischen Wert stellt, war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erfunden. Von den genuinen „Häusern der Geschichte“, die sich diesem Ansatz verpflichten und ihren Schwerpunkt in der jüngeren bis jüngsten Geschichte definieren, ganz zu schweigen.

Die Anfänge des Hauses der Bayerischen Geschichte (HdBG)

Sowohl die Erfindung der historischen Ausstellung als auch des Hauses der Geschichte als Modell moderner Geschichtspolitik steht explizit in Verbindung mit dem Freistaat Bayern, was in der wieder stärker zentralistisch ausgerichteten Berliner Republik gerne ignoriert wird. Zuerst erscheint der Begriff „Haus der Geschichte“ nämlich in einem 1961 gestellten Antrag der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag um den früheren Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner, eine „Stätte geschichtlicher Selbstdokumentation des bayerischen Staates“ zu errichten. Elf Jahre später wurde das „Haus der Bayerischen Geschichte“ als Arbeitsgruppe eingerichtet. Was selbst in der hauseigenen Geschichtsschreibung zeitweilig übersehen wurde: Bereits in der Ära Alfons Goppel glückte mit Ministerratsbeschluss vom 1. Oktober 1978 die förmliche Gründung des HdBG als selbständige und unmittelbar in das Kultusministerium eingegliederte Behörde.

Franz Josef Strauß nahm das Ziel, eine feste Ausstellung zur bayerischen Geschichte zu eta­blieren, auf und verband es mit dem Projekt des Neubaus der Staatskanzlei um den Kuppelbau des alten Armeemuseums am Münchner Hofgarten. Folgerichtig zog er das HdBG organisatorisch vom Kultusministerium direkt an die Staatskanzlei. Trotz der hohen Fürsprache wurde das Projekt HdBG am Hofgarten im Streit mit den widerständigen Direktoren der staatlichen Museen, die um ihre Zimelien fürchteten, mit Teilen der Münchner Kulturszene, die den Wert eines „bayerischen Heimatmuseums“ für die Hauptstadt bezweifelten, im Widerstreit der historischen Schulen um die Ausrichtung des Konzeptes und schließlich in der städtebaulichen Auseinandersetzung um den Bauplatz Hofgarten zerrieben.

Der Leiter des HdBG Hubert Glaser hatte aber rechtzeitig ein anderes neuartiges Arbeitsfeld erschlossen: die historischen Ausstellungen. Gleich dreimal wurde dieses Format in der Bundesrepublik angegangen und realisiert: 1981 in Berlin mit der Ausstellung „Preußen – Versuch einer Bilanz“, 1980 in Landshut und München mit dem dreiteiligen Projekt „Wittelsbach und Bayern“, 1977 in Stuttgart mit „Die Zeit der Staufer“, zuerst jedoch 1976 wiederum in Bayern mit der Präsentation „Kurfürst Max Emanuel – Bayern und Europa um 1700“. Neu war an diesen Ausstellungen der geschichtliche Ansatz gegenüber dem bisher üblichen ästhetisierenden kunsthistorischen. Anders gesagt: Der blutige Stiefel eines preußischen Soldaten erschien unter dem neuen Blickwinkel präsentierenswerter als das kunstfertige Porträt des Königs.

Neu war außerdem der Mut zur Inszenierung: Exponate nicht nur über Texte, sondern visuell in einen Kontext zu stellen und dadurch ihre ursprüngliche Bedeutung zu erschließen. Der große Interpret dieses neuen Mediums – und damit wird es zusammenhängen, dass der vergleichbare, aber ältere bayerische Ansatz in den Hintergrund rückte – wurde der Berliner Projektleiter Gottfried Korff, eine Ikone der deutschen Museumswissenschaft. Auch die Invention und die Definition des neuartigen Geschichtshauses fand zwar zuerst in Bayern statt, realisiert wurde es aber mit dem Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn bis 1994 und mit dem Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart bis 2002. Das HdBG hatte sich dagegen in Ermangelung eines festen Hauses unter neuer Leitung von Claus Grimm ganz auf Sonderausstellungen dezentral an wechselnden Standorten spezialisiert, die seit 1992 nach österreichischem Vorbild als Bayerische Landesausstellungen bezeichnet wurden.

Neue Museumsgründungswelle

Der Freistaat setzte zu dieser Zeit seine kulturellen Akzente gerade nicht durch Museumsgründungen. Das änderte sich erst mit dem großen Projekt der Pinakothek der Moderne, die mit der Eröffnung 2002 nach fast 20jähriger Konzept- und Bauphase nicht zuletzt durch das in der Stiftung Pinakothek der Moderne vereinte bürgerschaftliche Engagement zum Erfolg gebracht werden konnte. Im Sinne des Proporzes durfte die Stadt Nürnberg einen Ausgleich erwarten, das Neue Museum, das dann bereits 2000 und damit, wie von fränkischer Seite gefordert, vor der Pinakothek seine Tore öffnete. Das wiederum ließ Begehrlichkeiten in Schwaben entstehen, die mit dem Projekt des Staatlichen Textil- und Industriemuseums (tim) befriedet wurden, das 2010 in Augsburg eröffnete. Der Vollständigkeit halber sei noch verwiesen auf das Buchheim Museum der Phantasie in Bernried und das Museum Brandhorst in München, 2001 bzw. 2009 eröffnet. Beide waren als Stiftungen aufgesetzt, das Museum Brandhorst wurde aber als vollwertiges staatliches Museum zur vierten Pinakothek.

Insgesamt gesehen handelte es sich um nichts weniger als die erste große Gründungswelle staatlicher Museen in Bayern nach der Zeit König Ludwigs I. (regiert 1825-1848). Kulturell war sie der Höhepunkt der Ära Edmund Stoiber (amtiert 1993-2007), verband sich aber auch stark mit dem zuständigen Kultus- bzw. Kunstminister Hans Zehetmair (amtiert 1986-2003), dem die grundlegende Umwidmung des eigentlich den Hochschulen vorbehaltenen ehemaligen Türkenkasernengeländes zum Museumsareal gelungen war.

Diese neue offensive Museumspolitik brach mit dem alten Grundsatz, staatliche Museen nur in der Landeshauptstadt zu betreiben. Damit war, vergleichbar mit der Entwicklung im staatlichen Theaterwesen, der Damm gebrochen für weitere Verstaatlichungen im Jahr 2014, die am Ende als Resultat für jeden Regierungsbezirk ein staatliches Haus erbrachten. Betroffen waren das Porzellanikon Selb-Plößberg, das Glasmuseum Frauenau und das Museum für Franken in Würzburg.

Bereits die Gründung des Staatlichen Textil- und Industriemuseums (tim) in Augsburg hatte eine weitere Konstante aufgehoben, nämlich die Konzentration auf kunsthistorische Museen. Das tim wurde nach dem Bayerischen Armeemuseum (gegründet 1879) das erste Museum des Freistaates mit explizit historischer Zielsetzung, zu der der technikgeschichtliche und besucherorientierte Anspruch kam, historische Webstühle nicht nur vorzuführen, sondern mit ihnen auch zu produzieren. Er trägt das Museum bis heute. Bei den ersten Vorstellungen des Konzeptes im Kreis der staatlichen Museumskolleginnen und -kollegen war deutlich zu spüren, dass damit Neuland betreten wurde, das nicht alle wirklich ersehnten. Peter Wanscher, der die aufgeführten Museumsgründungen als leitender Ministerialrat mit steuerte, hatte die Idee aber gefallen.

Die Trägerkonstruktion für die Errichtung des tim war hoch komplex gewesen. Die Stadt Augsburg und der Bezirk Schwaben sollten die Gestehung finanzieren, den Betrieb wollten sie zusammen mit dem Freistaat schultern. Hinzu kam ein PPP-Modell und damit einhergehend die Einmietung in den Glaspalast Ignaz Walters. Für überregionales Aufsehen sorgte der Ausstieg aus diesem Modell am rußigen Freitag des Jahres 2002 kurz vor der Kommunalwahl und die anschließende Übersiedlung in den Komplex der Augsburger Kammgarnspinnerei. Vor diesem Hintergrund erscheint es immer noch wie ein Wunder, dass dieses Projekt erfolgreich umgesetzt und aus dem tim ein vollwertiges staatliches Museum wurde.

Die geneigte Leserschaft mag mir verzeihen, sollten die Ausführungen zum tim zu persönlich geraten sein, mit seiner Gründung beginnt aber die Phase der jüngsten bayerischen Museumspolitik, die ich persönlich mitgestalten durfte. Dabei war ich, bis 2001 Direktor des Oberhausmuseums Passau, von der staatlichen Museumsgründungswelle überhaupt nicht begeistert, weil die staatlichen Zuschüsse für die kommunalen Museen wenigstens gefühlt rückläufig waren. Bei dem Angebot, die Etablierung des tim als Gründungsdirektor zu leiten, packte mich dann aber doch die Abenteuerlust und ich wechselte die Seiten. Belohnt wurde die erfolgreiche Umsetzung des Auftrages schließlich vom damaligen Kunstminister Thomas Goppel mit der Beförderung zum Direktor des HdBG 2007.

Das neue HdBG in Regensburg

Endlich meinte ich, die organisatorische Last des Museumsbetriebes abstreifen und mich ganz den Landesausstellungen widmen zu können und begann, eine neue Strategie samt zeitgemäßer Corporate Identity umzusetzen. Dabei nahm ich den Kuppelbau der Staatskanzlei aus der Bildmarke des HdBG. Er war übrig geblieben aus der Zeit, als aus dem HdBG, wie oben geschildert, ein Museum im Gebäudekomplex der Staatskanzlei am Hofgarten hätte werden sollen. Aber das war längst vorbei, die Staatskanzlei ohne HdBG längst gebaut, unser „Wanderzirkus“ mit den Landesausstellungen fest etabliert.

Eines Besseren wurde ich belehrt, als Ministerpräsident Horst Seehofer in seiner ersten Regierungserklärung das Ziel formulierte, mittelfristig ein Museum der Bayerischen Geschichte zu gründen. Keiner hatte das weniger erwartet als ich. Was sollte das werden? Ein Pfropf auf dem alten oder ein aus der Zeit gefallenes neues Nationalmuseum? Ein Monsterprojekt mit drei Standorten in Augsburg, München und Nürnberg? Ein Ersatz für die Landesausstellungen, die so gut liefen wie noch nie?

Beauftragt wurde mit Konzeption und Umsetzung das HdBG und wir konnten mit unserer Idee, das neue Haus mit den Landesausstellungen zu verweben, überzeugen. Kein neues Nationalmuseum sollte es werden, sondern ein Haus der Geschichte, das das Werden des modernen Bayern in den letzten 200 Jahren thematisierte. Eine Bavariathek als Zentrum für kreative digitale Geschichtsvermittlung sollte in die Zukunft führen. Auf diesen Plan konnten sich alle einlassen, auch die Kolleginnen und Kollegen der staatlichen Häuser, die keinen Raubzug des HdBG mehr fürchten mussten. Wir bauten vielmehr eine eigene Sammlung auf und freuten uns für die ältere Zeit über befristete Leihgaben.

2011 verkündete Ministerpräsident Seehofer, der dem Projekt immer eng verbunden blieb und die entscheidenden Hürden persönlich bewältigen half, im Spiegelsaal von Herrenchiemsee bei der Eröffnung der Landesausstellung „Götterdämmerung: König Ludwig II. und seine Zeit“ den Auftakt zur Umsetzung. Wenige Wochen später schrieben wir den Standortwettbewerb aus. Das Museum sollte nicht automatisch in die Landeshauptstadt kommen, sondern an den besten Ort. 25 Bewerbungen gingen ein, von Augsburg bis Passau und von Kempten bis Würzburg. Mit der Obersten Bayerischen Baubehörde und den Immobilien Freistaat Bayern wurden alle Einsendungen geprüft und einem eigens einberufenen Beirat mit Fachleuten aus der Bundesrepublik und Nachbarländern vorgelegt, der einstimmig Regensburg empfahl. Der Bayerische Ministerrat folgte am 7. Dezember 2011 dieser Empfehlung. Die Donaustadt hatte die beste Bewerbung abgeliefert und einen Bauplatz in 1A-Lage avisiert, am Donaumarkt, keine 200 Meter Luftlinie entfernt vom Regensburger Dom.

Acht Jahre später, am 4. Juni 2019, eröffnete an dieser Stelle das neue Haus der Bayerischen Geschichte. Das in Bayern zuerst erdachte und für München vorgesehene Geschichtshaus wurde in Regensburg endlich erbaut. Es war jetzt nicht mehr das erste realisierte, aber in seiner hochmodernen Konstruktion einzigartig. Der Start war vielversprechend: 500.000 Besucherinnen und Besucher in den ersten neun Monaten. Ein Museumskollege, auf den es ankommt, Walter Hütter vom Haus der Geschichte in Bonn, hat nach der Besichtigung im März 2020 in Regensburg gesagt: „Hier werden neue Maßstäbe gesetzt.“ In Regensburg fest installiert, wird das HdBG trotzdem mit den Landesausstellungen und den kleineren Bayern-Ausstellungen im ganzen Land präsent bleiben. Das ist eines seiner Alleinstellungsmerkmale im Vergleich zu allen anderen europäischen Häusern. Im Mai 2020 wurde die Bavariathek eröffnet. Sie ist die zweite Besonderheit und das bildungspolitische Herzstück des Projektes. Schulklassen sollen hier lernen, wie man geschichtliche Sachverhalte im Netz recherchiert, kritisch einordnet und daraus eigene mediale Präsentationen anfertigt.

Literatur

Richard Loibl, Wie alles begann. Kurze Geschichte des Museums (Edition Bayern Band 3) Augsburg 2009.

Ulla-Britta Vollhardt, Geschichtspolitik in Bayern. Das Haus der Bayerischen Geschichte zwischen Privatinitiative und Institutionalisierung, München 2003.