Rücktritt von Franz Josef Strauß als Verteidigungsminister in Folge der „Spiegel-Affäre“

30.11.1962

Am 9. Oktober 1962 veröffentlicht der Spiegel unter der Überschrift „Bedingt Abwehrbereit“ einen Artikel, der die Defizite der Bundeswehr im Verteidigungsfall offenbart. Während des NATO-Manövers „Fallex62“ hatte sich die Ausstattung der NATO und insbesondere der Bundeswehr als nicht schlagkräftig genug erwiesen, um einen möglichen Angriff des Warschauer Paktes bestehen bzw. etwas Wirkungsvolles entgegensetzen zu können.

Als Reaktion auf diesen Artikel soll ein Gutachten des Bundesverteidigungsministeriums unter Franz Josef Strauß klären, ob der Anfangsverdacht der Bundesanwaltschaft, es handle sich bei dem Artikel um möglichen Landesverrat, bestätigt oder widerlegt werden kann. Auf Grundlage dieses Gutachtens werden am 23. Oktober 1962 Anträge auf Erteilung eines Haftbefehls wegen Landesverrats gegen einzelne Spiegelredakteure und eine Durchsuchung des Spiegel-Verlags gestellt.

Am 26. Oktober 1962 erfolgt die Durchsuchung der Redaktionsräume des Nachrichtenmagazins in Hamburg sowie die Verhaftung des Journalisten und Chefredakteurs Conrad Ahlers und des Spiegelherausgebers Rudolf Augstein. Der Argumentation der Bundesregierung, diese Maßnahmen der Bundesanwaltschaft seien wegen Verdachtsmomenten von Landesverrat ergriffen worden, stehen die in der Öffentlichkeit verbreitete Meinung, es habe sich hierbei um einen massiven Angriff des Staates auf die Unabhängigkeit der Presse gehandelt, gegenüber. Die Ereignisse finden ein Nachspiel im Deutschen Bundestag.

Im Mittelpunkt stehen dabei zwei Fragen: Ob die Handlungsweise der Bundesanwaltschaft durch die ihrer Auffassung nach bestehenden Verdachtsmomente des Landesverrats gerechtfertigt werden könne und welche Rolle der Bundesverteidigungsminister dabei gespielt habe? Die Bundesanwaltschaft begründet ihr Vorgehen auf Grundlage des bereits erwähnten Gutachtens, welches die Verwendung von der Geheimhaltung unterliegenden Dokumente im Spiegel-Artikel vermerkt. Im Rahmen einer dreitägigen Fragestunde des Deutschen Bundestages muss Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß schließlich am 9. November 1962 seine zögerliche Haltung bei der Aufklärung der Vorgänge, u.a. um die Verhaftung von Conrad Ahlers in Spanien, aufgeben. Entgegen dem vorgeschriebenen Dienstweg hatte er sich direkt an den Militärattaché in der Deutschen Botschaft in Spanien gewandt, um so eine Ausreise von Ahlers in ein Land ohne Auslieferungsabkommen zu verhindern und so die Verhaftung zu gewährleisten.

Den öffentlich erhobenen Forderungen nach seinem Rücktritt schließt sich auch der Koalitionspartner FDP u.a. mit der Begründung an, die Durchführung der Maßnahmen seien ohne Kenntnis und Mitwirkung des zuständigen Bundesjustizministers Wolfgang Stammberger (FDP) erfolgt. Eine damit verbundene Drohung, alle FDP-Minister aus der gemeinsamen Regierung zurückzuziehen, führt zu einer schweren Regierungskrise und erhöht den Druck auf Bundeskanzler Konrad Adenauer, dessen Haltung seinem Verteidigungsminister gegenüber ambivalent bleibt. Schließlich tritt Franz Josef Strauß am 30. November 1962 zurück, führt aber bis zur Berufung seines Nachfolgers Kai-Uwe von Hassel im Januar 1963 die Amtsgeschäfte weiter.