Wird die CSU auch Bayern überleben?

Gerhard Hirscher

„Die CSU wird Bayern überleben“ – so die Prognose des Kabarettisten Gerhard Polt im Magazin „Der Spiegel“ vom 7.9.1998. Eine passende Beschreibung der ewigen Regierungspartei CSU? Er schien mit seiner Vorhersage für die nächsten 20 Jahre richtig zu liegen. Immerhin konnte die CSU ihre absolute Mehrheit nach dem Führungswechsel 2007 und dem Verlust bei der Landtagswahl 2008, zumindest bei den Mandaten, bei der Landtagswahl 2013 wieder zurückerobern. Nach der Landtagswahl 2018 war diese Mehrheit aber wieder verloren und die CSU musste eine neue Koalitionsregierung, diesmal mit den Freien Wählern, eingehen. Immerhin scheint sich die demoskopisch messbare Zustimmung zur CSU in einem schwieriger werdenden Umfeld im Lauf des Jahres 2019 und 2020 stabilisiert zu haben. So sind laut verschiedener demoskopischer Institute (unter anderem Infratest dimap) die Werte der CSU im April und Mai 2020 sogar auf 49% bzw. 48% angestiegen.

Die Volkspartei CSU im 21. Jahrhundert und ihre Stellung im Parteiensystem Bayerns und Deutschlands

Im beginnenden 21. Jahrhundert hat sich das deutsche Parteiensystem immer weiter ausdifferenziert. Mit der Bundestagswahl 2017 erreichte diese Entwicklung einen vorläufigen Höhepunkt: Mit sieben Parteien (CDU und CSU einzeln gezählt) und sechs Fraktionen entstand ein Ausmaß an Fragmentierung, wie es nur in den ersten Legislaturperioden nach 1949 in Westdeutschland zu verzeichnen war. Doch in den frühen Jahren der deutschen Nachkriegsdemokratie war die Situation anders: Die soziologische Basis einer wachsenden nivellierten Mittelstandgesellschaft einerseits und eine wachsende Delegitimierung radikaler und extremistischer Parteien andererseits haben zu einem allmählichen Erstarken der Volksparteien geführt. Stärkster Profiteur war zunächst die Union, die das Wählerpotenzial und teilweise auch die Struktur von Konkurrenzparteien in der Mitte und der rechten Mitte des Parteienspektrums aufsaugen konnte und so zu einer deutlichen Asymmetrie des Parteiensystems zugunsten von CDU und CSU sorgte. Nur durch den Koalitionswechsel der Funktionspartei FDP konnte es 1969 zu einem Machtwechsel kommen, der 1982 wieder rückgängig gemacht wurde und zu einem Wiedererstarken dieser Asymmetrie führte. Diese wurde erst gefährdet, als mit den Grünen 1983  – analog zur Entwicklung anderer westlicher Industriestaaten – ein neuer Akteur dauerhaft in den Bundestag und in andere Parlamente einzog und so für eine Ausdifferenzierung des Parteiensystems sorgte. Diese wurde nach dem Ende der DDR noch verstärkt durch die Etablierung der PDS und ihrer Folgeorganisationen, die sich nach 1990 auch im Bundestag und vielen Landesparlamenten festsetzten. Spätestens mit der Bildung der rot-grünen Bundesregierung 1998 wurde deutlich, dass im wiedervereinigten Deutschland eine unangefochtene bürgerliche Mehrheit mit Union und Liberalen auf absehbare Zeit schwierig sein würde. Ab 2009 hat sich das deutsche Parteiensystem von einer Zweiparteiendominanz zu einem pluralistischen System (Oskar Niedermayer) entwickelt. Mit dem Aufkommen der AfD als rechter Flügelpartei 2013 und vor allem nach der Flüchtlingskrise 2015 sowie dem Einzug der AfD in den Bundestag 2017 hat die Fragmentierung des deutschen Parteiensystems eine neue Dimension erreicht. Die große Anzahl neuer Koalitionsmöglichkeiten wird künftig große Herausforderungen für alle Parteien bedeuten. Insbesondere die Volksparteien werden verstärkt klären müssen, wo sie angesichts multipler Koalitionsoptionen künftig ihre Wählerpotenziale suchen wollen, um ihre strukturelle Mehrheitsfähigkeit zu erhalten.

 

Ticken die Uhren in Bayern anders?

Dies betrifft in Bayern auch die CSU. Innerhalb des christlich-demokratischen Lagers hat die CSU schon aus quantitativen Gründen eine gewichtige Rolle gespielt. Nur bei den ersten Bundestagswahlen 1949 war die Union bundesweit im Verhältnis stärker als die CSU in Bayern allein. Bei allen späteren Bundestagswahlen holte die CSU einen relativ höheren Wert als die Union insgesamt – mit zum Teil erheblichen Unterschieden. Dennoch ist die CSU bei ihren letzten Resultaten unter den langfristigen Durchschnitt der Wahlergebnisse in Bayern gefallen. Andererseits war der Abstand der CSU zur SPD seit Ende der 1970er-Jahre auf etwa demselben Niveau. Die SPD als größte Oppositionspartei in Bayern hatte also in den letzten Jahrzehnten keinerlei Chance, zur CSU aufzuschließen. Selbst wenn man sich die Parteilager ansieht, ist das Bild nicht grundlegend anders. SPD und Grüne zusammen haben in Bayern seit 1982 stets weniger Stimmen geholt als die CSU allein. Der Abstand zu den Konkurrenzparteien SPD und Grüne ist auch 2017 erhalten geblieben. Auf der anderen Seite stellt sich angesichts der Zuwanderung wie des innerdeutschen Zuzugs nach Bayern immer mehr die Frage, ob die Besonderheiten des Wahlverhaltens in Bayern erhalten bleiben oder dieses sich dem in anderen Teilen Deutschland stärker angleichen wird.

Dass sich die Wähler in Bayern über Jahrzehnte anders verhielten als in anderen Teilen Deutschlands, war unübersehbar. Über die Gründe hierfür konnte weder die Publizistik noch die Forschung ein einheitliches Urteil fällen. Ende 1982 präsentierte Jürgen W. Falter die These, dass Bayerns Uhren wirklich anders gehen. Dabei griff er eine Formulierung Willy Brandts aus dem Jahr 1974 auf. Aufgrund von Daten der Forschungsgruppe Wahlen folgerte er, dass es durchaus ein spezifisch bayerisches Wahlverhalten gebe und revidierte damit seine eigene Analyse der Landtagswahl 1978. Die Gründe hierfür sah er sowohl in der unterschiedlichen Sozialstruktur als auch in unterschiedlichen, etwas konservativeren politischen Einstellungen im Land. Daneben sei aber auch ein besonderer „Bayerneffekt“ festzustellen, der aber im Detail durch die empirische Wahlforschung schwer nachzuweisen sei. Dieser Analyse wurde von Alf Mintzel widersprochen. Er stellte die These auf, „daß sich in Bayern in einem fundamentalen Prozeß der politisch-kulturellen Homogenisierung dieses Bundeslandes erst so etwas wie eine (gesamt-)bayerische bzw. staatsbayerische politische Kultur entwickelt hat, und daß diese politisch-kulturelle Homogenisierung zugunsten der bayerischen Mehrheits- und Staatspartei zu einem Gutteil Resultat von politisch-kulturellen Homogenisierungsstrategien der regierenden bayerischen Funktionseliten ist“ (Mintzel S. 85). Beide Analysen sehen dabei aber die CSU als zentralen Akteur dieser Entwicklung. Ob diese Interpretationen im 21. Jahrhundert für die Analyse des Wahlverhaltens in Bayern noch relevant sein können, muss künftig durch neue Studien erforscht werden. So oder so ist für die CSU aber auch künftig von zentraler Bedeutung, diesen „Bayerneffekt“ zu steuern und mit diesem identifiziert zu werden.

Literatur

Jürgen Falter, Bayerns Uhren gehen wirklich anders. Politische Verhaltens- und Einstellungsunterschiede zwischen Bayern und dem Rest der Bundesrepublik, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 13 (1982) S. 504-521.

Alf Mintzel, Gehen Bayerns Uhren wirklich anders? Zurückweisung einer falschen These, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 18 (1987) S. 77-93.