Otto von Habsburg und seine Bedeutung für Europa

Rede von Theo Waigel vom 14.11.2022

Otto von Habsburg - zu seinem 110. Geburtstag

Die Hanns-Seidel-Stiftung ist ein idealer Ort, um an seinem 110. Geburtstag an Otto von Habsburg zu erinnern. In den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden die Kontakte geknüpft, zwischen der Stiftung und dieser einzigartigen Persönlichkeit in Europa. Es war eine glückliche Fügung, die der damalige Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung Fritz Pirkl, im Einvernehmen mit Franz Josef Strauß, getroffen hatte. Es war ein Glücksfall auch für die CSU, diesen geistvollen Mann und leidenschaftlichen Europäer zu gewinnen. Damit war die Stiftung das Fundament und die Brücke zu einem einzigartigen Leben zwischen Dynastie, Diplomatie, Politik, Europa und globaler Welt. Als Otto von Habsburg im Bundestagswahlkampf 1969 für den CSU- Bundestagsabgeordneten Konstantin von Bayern Kundgebungen bestritt, war dies auch eine politische Begegnung zwischen zwei Dynastien, die für Bayern und Österreich eine entscheidende Rolle in ihrer Geschichte schrieben.

Neue Heimat in Bayern

Pöcking war ihm zur zweiten Heimat geworden und aus der Bescheidenheit dieses Ortes entwickelte er seine weltweiten Aktivitäten. Der Ort erinnert mich an Wörishofen, wo Bundeskanzler Bruno Kreisky regelmäßig Urlaub machte. Er pflegte über diese schwäbische Stadt zu sagen: “ Da bin ich nicht mehr in Österreich und noch nicht in Deutschland“. Dem Spross der ältesten Dynastie ging es nie um Äußerlichkeiten oder Prunk. Aus der Bescheidenheit seines Lebens entwickelte er die Gedanken und Aktivitäten eines globalen Wirkens. Dankbar erinnere ich mich an die Geburtstage, die er in Andechs, diesem schicksalsträchtigen Ort der Benediktiner und damit dem ältesten European Player in Europa feierte. Sein Weg vom Repräsentanten des ältesten europäischen Herrschergeschlechts, über das Asyl in zwei Kontinenten, der Ausbürgerung seines Heimatlandes, über Bayern und Deutschland in die europäische Politik ist einmalig. Dabei gab es in der CSU auch kritische Stimmen und nicht jeder, der ihn später feierte und lobte, war ein zustimmender Wegbegleiter, als es um die Kandidatur zum Europäischen Parlament im Jahr 1979 ging. Mit seinem Einzug ins Europäische Parlament, auf der Landesliste der CSU, begann die politische Karriere einer singulären Persönlichkeit.
 

"Der Paneuropäer"

Dem Buch von Walburga Gräfin Douglas verdanke ich wichtige Hinweise für diesen Vortrag. Zum einen fand ich meinen Beitrag über Otto von Habsburg zu seinem 85. Geburtstag. Interessant für die gegenwärtige Diskussion ist der Artikel von Bundeskanzlers Helmut Kohl aus dem Jahr 1997 „Der Paneuropäer“. Er schreibt wörtlich: „Die NATO wird eine der tragenden Säulen europäischer Sicherheit bleiben. Die Osterweiterung der EU und die Öffnung des transatlantischen Bündnisses für Mittel- und Osteuropäische Staaten sind eng miteinander verbunden. NATO und EU sind die Eckpfeiler der künftigen gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur.“ Allein diese Sätze aus dem Jahr 1987 widerlegen die These, dass es eine Zusage für die Nichterweiterung der EU oder der NATO der Mittel und osteuropäischen Staaten gegeben habe.

Wir bräuchten heute Otto von Habsburg, der in der Lage wäre, die Differenzen zwischen diesem für die Geschichte Europas so wichtigen Land und der Europäischen Union zu beseitigen. Ungarn hat 1956 mit seinem unvergessenen Freiheitskampf sein Bekenntnis zu Europa gezeigt. Ungarische Politiker, gemeinsam mit Otto von Habsburg und seiner Tochter Walburga, haben den trennenden Zaun durchschnitten und Menschen aus Ostdeutschland den Weg in die Freiheit ermöglicht. Vor etwa 20 Jahren traf ich in Budapest Gyula Grosics, den ungarischen Torhüter des Endspiels von 1954. Er war noch betrübt über den Torschuss von Helmut Rahn wenige Minuten vor Ende der Partie. Gusztáv Sebes, der ungarische Trainer dieser legendären Mannschaft, hatte noch auf dem Totenbett gesagt: „Wir haben verloren“. Dem entgegne ich: „Nein, Ihr habt gewonnen.“ Ungarn hat seine Freiheit und Souveränität erkämpft und gehört zu den wichtigen zentralen Staaten in Europa. Dass Otto von Habsburg gerade in Ungarn gewürdigt und gefeiert wurde, gehört zu den glücklichen Momenten unserer jüngeren Geschichte.
Ich werde den Tag nie vergessen, als in London 1992 die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung sich konstituierte. Als Konferenzsprachen waren Englisch, Französisch, Russisch und Deutsch vorgesehen. Ich war gespannt darauf, welcher Redner seine Ansprache auf Deutsch halten würde. Es war der ungarische Ministerpräsident Josef Antall, der deutsch sprach. Ich werde das nie vergessen.

Als Kandidat der CSU nach Europa

Schwierig gestaltete sich die Gestaltung einer doppelten Staatsbürgerschaft in Österreich. Es war dann Landeshauptmann Andreas Maurer (ÖVP), der diese Auseinandersetzung löste, indem er feststellte, der Erhalt der österreichischen Staatsbürgerschaft liege im Interesse der Republik. Am 8. Juni 1978 erhielt Otto von Habsburg in seiner Heimatgemeinde Pöcking seinen deutschen Pass und war somit deutscher Staatsbürger. Ministerpräsident Alfons Goppel überreichte Otto von Habsburg den Bayerischen Verdienstorden, der als Träger eines großen Namens für die europäische Idee unermüdlich eingetreten sei.
Schon 1978 äußerte Otto von Habsburg die Zuversicht, dass Österreich über kurz oder lang ohnedies Mitglied der Europäischen Union sein werde. Dem unermüdlichen Einsatz des österreichischen Außenministers Alois Mock ist es hauptsächlich zu verdanken, dass dies in den neunziger Jahren erfolgte. Schäbig verhielt sich die sozialliberale Regierung in dieser Zeit und ausgerechnet Willy Brandt, der wegen der Naziherrschaft Deutschland verlassen musste, hielt es nicht für notwendig, Otto von Habsburg, der ein ähnliches Schicksal erlitt, zur Seite zu stehen. Leider vergriff sich auch Bundeskanzler Helmut Schmidt im Ton. Es kam zu einer Kampfabstimmung auf der Delegiertenversammlung der CSU und Otto von Habsburg siegte mit 120 von 169 Stimmen. Es war unter  anderem Max Streibl, der sich für diese Kandidatur eingesetzt hatte.
In einem Alter, in dem ich mich längst von der politischen Bühne verabschiedete, begann Otto von Habsburg seine parlamentarische Laufbahn. Er kümmerte sich um die kleinen und großen Probleme. Die Geschäftsordnung war ihm nicht weniger wichtig als die großen Themen der globalen Außenpolitik und europäische Fragen. Seine glänzenden Sprachkenntnisse sicherten ihm die Freundschaft über Parteigrenzen hinweg. Als ein italienischer Abgeordneter einen Beitrag in lateinischer Sprache lieferte, waren Übersetzer und Parlamentspräsident überfordert. Nur Otto von Habsburg konnte ihm antworten, ebenfalls auf Latein. Otto von Habsburg wurde 1979 Mitglied im Politischen Ausschuss und stellvertretendes Mitglied im Entwicklungsausschuss. Aus dieser Zeit stammt sein Ausspruch, ein guter Politiker verbringe 20 % seiner Zeit damit, Gutes zu tun und 80 % damit, Unfug zu verhindern. Dem entspricht auch seine Aussage, die Völker in einem Staat seien dann politisch einigermaßen zufrieden, wenn sie sich gleichmäßig schlecht behandelt fühlen.

Engagement für ein vereintes Europa

Otto von Habsburg war einer der ersten, der ausdrücklich vor einer bevorstehenden Invasion der Sowjetunion in Afghanistan warnte. Schon Anfang der achtziger Jahre befasste er sich mit der Lage in den baltischen Staaten. Er forderte im Europäischen Parlament die Außenminister auf, die Frage der baltischen Staaten im Unterausschuss der UNO zu Sprache zu bringen. Zum 25. Jahrestag der Ungarischen Revolution im Oktober 1981 verfasste er mit Unterstützung seiner Freunde eine entsprechende Resolution. Damit hatte sich das Parlament zur Solidarität mit den Völkern jenseits der Jalta-Linie festgelegt. Über Jahrzehnte hat sich Otto von Habsburg für den Beitritt Spaniens in das vereinte Europa engagiert. Er half mit, die Tore für Portugal und Spanien aufzustoßen. Auf seine Initiative hin erfolgten in Spanien und Portugal, nach dem Beitritt, Europawahlen.

Wir brauchen einen europäischen Patriotismus! Wie recht hatte Otto von Habsburg mit dieser Aussage. Unermüdlich kämpfte er für einen Europäischen Pass und setzte auch eine Flagge für Europa durch. Als ein Unterausschuss Faschismus und Rassismus ins Leben gerufen wurde, erreichte Otto von Habsburg, dass in diesem Zusammenhang auch der Linksextremismus ins Blickfeld genommen wurde. Der stets vornehme und höfliche Aristokrat wusste sich aber auch seiner Haut zu wehren und notfalls seine Kräfte einzusetzen. Als ihm unterstellt wurde, er hätte einen Redner, der Papst Johannes Paul II bei seiner Ansprache im Parlament mit Gebrüll unterbrach, mit einer Ohrfeige bedacht, stellte er das zwar in Abrede, hielt aber den Schlag eines Kollegen gegenüber diesem Störer für verdient. Allerdings gab er zu, beim Hinausschmiss des Mannes aktiv beteiligt gewesen zu sein. Wenn notwendig, konnte er sich auch einer sehr eindeutigen Sprache bedienen. Über einen missliebigen Politiker der CSU verwandte er einmal das unaussprechliche A-Wort, und dies gleich dreimal hintereinander. Auch 1989 stürzte sich Otto von Habsburg wieder mit aller Kraft in den Europawahlkampf, um das Erstarken der Republikaner in Grenzen zu halten. Immerhin behielt die CSU ihre sieben Sitze.

Die Errichtung einer Politischen Union und die Osterweiterung der Europäischen Union lagen ihm besonders am Herzen.“ Ein Tag Krieg kostet mehr an menschlichem Leid und wirtschaftlicher Vernichtung als ein ganzes Jahr der Ausgaben für die Friedenserhaltung“. So begründet er die notwendigen Ausgaben für die politische und wirtschaftliche Entwicklung der Mittel- und Osteuropäischen Staaten. Das gilt auch heute für die Unterstützung der Ukraine und ihren Weg nach Europa. Bei seinem politischen Engagement für ein vereintes Europa lag ihm die wichtige Rolle des Christentums am Herzen, sowohl für die Vergangenheit wie auch für die Zukunft. Ohne seine christliche Tradition gebe sich Europa selbst auf. Niemand hat wie er auf die Kriegsgefahr im ehemaligen Jugoslawien hingewiesen. Früh setzte er sich für das Selbstbestimmungsrecht, sowie die internationale Anerkennung der bedrängten ehemaligen Teilrepubliken Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina ein. Gerade als gläubiger Christ fordert der Korankenner Otto von Habsburg den Dialog mit dem Islam. Er war Mitglied der Königlich-Marokkanischen Akademie der Wissenschaften. Er verwies auf die arabischen Beiträge zur europäischen Kultur, warnte vor einer reinen Abwehrhaltung und wünschte sich eine stärkere Zusammenarbeit auch mit den von der muslimischen Religion geprägten Staaten. Seine Vision war die einer übernationalen Ordnung aller europäischen Völker, einer Wertegemeinschaft, die sich auf eine höhere Idee gründete. Er war nicht bereit, Europa auf die nach dem Krieg durch Macht und Gewalt gezogenen Grenzen zu beschränken.

So bleibt Otto von Habsburg ein Visionär Europas, ein Mann mit Idealismus und Ideen, Zielen und Grundsätzen. Der Bau des Vereinten Europa war ohne ihn nicht denkbar.