Die "Sonthofener Rede"

von Dr. Christian Petrzik

„Lieber eine weitere Inflationierung, weitere Steigerung der Arbeitslosigkeit, weitere Zerrüttung der Staatsfinanzen in Kauf nehmen, als das anzuwenden, was wir als Rezept für notwendig halten...“

Vor 50 Jahren, am 19. November 1974, hielt der damalige CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß die sogenannte „Sonthofener Rede“, die im März 1975 auszugsweise im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ veröffentlicht wurde. Besonders Strauß´ Äußerungen zur politischen Taktik von CDU und CSU in der Opposition sorgten bundesweit für Schlagzeilen. Das Archiv für Christlich-Soziale Politik präsentiert das Typoskript der, usprünglich frei und ohne Stichpunkte gehaltenen, Rede aus dem Nachlass von Richard Stücklen (NL Stücklen Richard : 233) als Archivale des Monats November.

Klausurtagung in Sonthofen

Am 18./19. November 1974 traf sich die CSU-Landesgruppe zu einer Klausurtagung im Hotel „Sonnenalp“ in Ofterschwang bei Sonthofen, um Bilanz über die Legislaturperiode seit 1972 zu ziehen und Strategien für die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner zu erörtern. In einer eineinviertelstündigen Rede, ohne ausformulierten Text oder auch nur Stichpunkte, erläuterte Franz Josef Strauß, wie die künftige Oppositionsarbeit auszusehen habe. Zunächst analysierte er, der Patient (nämlich die Bundesrepublik Deutschland) sei in einem Zustand, wo er unter zwei großen Beschwerden leidet, nämlich der Zerrüttung der Staatsfinanzen und Inflation mit steigender Arbeitslosigkeit, d. h. es gibt kein Rezept, das der Bekämpfung beider Krankheiten dient. (NL Stücklen Richard : 233)

Die Rede

Strauß vertrat die Auffassung, man stehe erst am Anfang einer großen Krise, allerdings sei die Zeit für die Union noch nicht gekommen, um Rezepte zur Bewältigung der Probleme vorzuschlagen, zumal die Bundesregierung bisherige Vorschläge und Warnungen in den Wind geschlagen habe. Das Bewusstsein der Öffentlichkeit sei, so Strauß, noch nicht so weit bzw. ist die Öffentlichkeit noch nicht so stark schockiert, daß sie bereit wäre, die Rezepte, die wir zur langsamen Heilung der Krise für notwendig halten, in Kauf zu nehmen. (NL Stücklen Richard : 233)

Man würde, so Strauß, lieber eine weitere Inflationierung, weitere Steigerung der Arbeitslosigkeit, weitere Zerrüttung der Staatsfinanzen in Kauf nehmen, als das anzuwenden, was wir als Rezept für notwendig halten [...]. (NL Stücklen Richard : 233)

Dieser durchaus realistischen Einschätzung fügte Strauß hinzu:

Es muß also eine Art Offenbarungseid und ein Schock im öffentlichen Bewußtsein erfolgen. Wir können uns gar nicht wünschen, daß dies jetzt aufgefangen wird, sonst ist es ja nur eine Pause, und nach der Pause geht es ja doch in der falschen Richtung weiter. (NL Stücklen Richard : 233)

Die öffentliche Wahrnehmung

Im März 1975 veröffentlichte der Spiegel Auszüge der sogenannten Sonthofener Rede unter dem Titel „Aufräumen bis zum Rest dieses Jahrhunderts – Franz Josef Strauß über die Strategie der Union“, woraufhin Strauß vorgeworfen wurde, er wolle die Krise. Auf einer Pressekonferenz wurde Strauß gefragt, ob nur anklagen, warnen, aber keine Alternativen zu bieten Oppositionsarbeit in seinem Sinne wäre. In seiner Antwort bezog sich Strauß auf den Spiegel, als er sagte: Die Veröffentlichung, die hier vorgenommen worden ist, ist offensichtlich ein „alter Hut“. Sie ist die auzugsweise Wiedergabe einer Niederschrift, die ich selber nicht kenne und auch nicht autorisiert habe. Ich habe in der Klausurtagung mehrmals das Wort ergriffen, das ergibt zusammen einen längeren Beitrag. Was ich in dieser Klausurtagung gesagt habe, das habe ich auch schon unzählige Male in der Öffentlichkeit gesagt. Ich war und bin der Meinung – und liege hier in völliger Übereinstimmung mit dem, was die frühere Opposition der SPD, Herr Erler, formuliert hat –, daß es nicht die Aufgabe der Opposition ist, zu jedem politischen Problem eine formulierte Alternative vorzulegen. Das habe ich am Rundfunk, im Fernsehen, in vielen Versammlungen und bei anderen Gelegenheiten zum Ausdruck gebracht. Ich bin schon dafür, Alternativen vorzulegen, aber Alternativen, wo es sich um große Probleme handelt, bei denen Regierungsvorschlag und Oppositionsvorschlag für die Öffentlichkeit sich erkennbar gegenüberstehen müssen. Es ist nicht die Aufgabe der Opposition, die Verantwortung und die Arbeit der Regierung abzunehmen. (NL Jaeger Richard C: 215)

Auf die Frage, ob es seiner Ansicht nach in der Wirtschaftspolitik weiter bergab gehen müsse, ob höhere Inflationsraten und noch höhere Arbeitslosigkeit in Kauf genommen werden müssten, ehe sich die Unionsparteien mit ihren Warnungen und Mahnungen durchsetzten, antwortete Strauß: Es ist nicht die Frage des Sich-Durchsetzen. Wir können nur mahnen und warnen und darauf hinweisen, dann ist es die Sache der Regierung, uns entweder auszulachen oder durch andere Tatsachen uns eines Besseren zu belehren bzw. die Haltlosigkeit oder Unbegründetheit unserer Mahnungen und Warnungen zu erweisen und so haben wir es bisher gehalten und so werden wir es auch in Zukunft halten. (NL Jaeger Richard C: 215)

Was geblieben ist

Trotz dieser Erläuterungen, trotz aller Verteidigung und Abwehrreaktionen der Landesgruppe, schadeten Strauß´ Äußerungen ihm selbst und der Union nachhaltig. Friedrich Zimmermann formulierte es so: Fragen Sie mal tausend Leute auf der Straße, was ihnen Sonthofen sagt... wer sich heute noch an einen politischen Zusammenhang erinnert, wird sagen: Sonthofen? Das war doch, wo der Strauß gesagt hat, die Union müsse das Land kaputt machen, um wieder an die Macht zu kommen. In Wahrheit hatte er nichts dergleichen gesagt, sondern das genaue Gegenteil. Natürlich wussten das diejenigen, die die Kampagne inszenierten, von Anfang an. (Zimmermann, Kabinettstücke, S. 37)

25 Jahre später, in einem Interview mit der Aachener Zeitung, wurde Theo Waigel gefragt, ob Strauß damals auf der Klausurtagung bei Sonthofen Positionen formuliert hätte, die ihm neu gewesen wären: Nein, antwortete Waigel, das war alles überhaupt nichts Neues. In Wirklichkeit hatte Strauß doch nichts anderes gesagt, als: „Wir werden nicht so schnell rankommen, wenn die anderen keine Fehler machen. Erst wenn die Regierung sich verbraucht hat und das Volk das sieht, werden wir eine echte Chance haben.“ Diese völlig unspektakuläre Erkenntnis führte dann zu der These, Strauß wolle, dass es dem Volk schlechter gehen müsse. (Interview als Kopie in NL Stücklen Richard : 233)

Und Strauß?

Auf die Frage, ob er dem Spiegel eine Gegendarstellung zuleiten werde, antwortete er bei der Pressekonferenz im März 1975 nur knapp:

Ich denke nicht daran. (NL Jaeger Richard C: 215)

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