"Entspannungspolitik" – Die Idee vom friedlichen Miteinander vom Wolf und den Schafen

Reinhard Meier-Walser

Ohne Berücksichtigung der historischen und politischen Zusammenhänge ihrer Genese klingen strategische Konzepte der internationalen Politik wie „Friedliche Koexistenz“ oder „Entspannung“ unter normativen Gesichtspunkten positiv, zumal sie die Absicht eines kooperativen, gewaltfreien Miteinanders zu reklamieren scheinen. Im geschichtlichen Rückblick werden jedoch Spannungsfelder deutlich, die das machtpolitische und ideologische Konfliktpotenzial des Zeitalters der Ost-West-Konfrontation deutlich machen, das sich hinter den vermeintlich so harmonisch klingenden Termini verbirgt.

So stand die CSU wie ihre Schwesterpartei CDU der im Zeichen einer „Entspannung“ mit der Sowjetunion von der sozialliberalen Regierung in Bonn ab 1969 geführten „neuen deutschen Ostpolitik“ ebenso kritisch gegenüber wie der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“, weil in der Union zum einen eine Preisgabe von Kernforderungen westdeutscher Ost- und Deutschlandpolitik und zum anderen eine weitere Ausdehnung des sowjetischen Einflusses in Europa befürchtet wurde. Die Vorstellung, dass es im Zuge einer Politik der „Entspannung“ möglich sein werde, dass die demokratischen „Schafe“ Seit an Seit mit dem russischen „Wolf“ sich das saftige europäische Gras schmecken lassen, wurde von Franz Josef Strauß und anderen Außenpolitikern der CSU stets als eine blauäugige Illusion verworfen.

Die „Nebelwand sogenannter Entspannung“

Im Zuge der Veränderung der Großmächtekonstellation durch die Annäherung der USA an China während der Nixon/Kissinger-Administration hatten die maßgeblichen politischen Strategen im Kreml entsprechende Signale Washingtons aufgegriffen und einen Entspannungsdialog mit den Vereinigten Staaten begonnen. In den meisten westeuropäischen Hauptstädten wurde diese „Détente“ zwar mit gemischten Gefühlen verfolgt, für die sozialliberale Koalition in Bonn schuf die Entwicklung jedoch die zentrale Voraussetzung für ihre seitens der Unionsparteien später heftig gegeißelte „neue deutsche Ostpolitik“.

Die Position der CSU zur West-Ost-Détente war durch die Befürchtung einseitiger sowjetischer Vorteilnahme aufgrund der Schwächung der USA im Vietnamkrieg gekennzeichnet. Im Parteiprogramm von 1976 wurde moniert, dass die „einseitig betriebene Entspannungspolitik“ die Erwartungen „nicht erfüllt“ habe, weil sie nicht auf gleicher Augenhöhe der Beteiligten zustande gekommen sei. Eine „realistische Entspannungspolitik“ dürfe nicht „von einer Macht allein diktiert, sondern muß von beiden Seiten gemeinsam definiert werden“.

Den Äußerungen von Franz Josef Strauß und anderer führender CSU-Politiker wie Friedrich Zimmermann lässt sich entnehmen, dass im Laufe der Zeit, insbesondere nach der Dislozierung sowjetischer, gen Europa gerichteter Mittelstreckenraketen, die Kritik an der Entspannungspolitik und ihren Konsequenzen in den Reihen der Partei weiter erheblich wuchs. Während etwa Strauß noch im Juni 1976 in einer Rede in der Evangelischen Akademie Tutzing in gemäßigter Wortwahl vor „übertriebenem Optimismus in eine globale Détente“ warnte, prangerte er in der Debatte zur Regierungserklärung Bundeskanzler Helmut Schmidts nach dem Einmarsch der UdSSR in Afghanistan im Dezember 1979 bereits an, dass „weitgehend von der Sowjetunion diktiert“ werde, „ob wir Entspannung haben oder nicht“. Und auf dem CSU-Parteitag im Juli 1981 konstatierten Strauß und Zimmermann übereinstimmend, die 1980er-Jahre seien die gefährlichste Phase seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Sowjetunion habe es mittlerweile geschafft, das militärische Gleichgewicht „hinter der Nebelwand der sogenannten Entspannungspolitik“ konsequent und zielstrebig „zu ihren Gunsten“ zu verschieben.

Für „Nachrüstung“, gegen „Null-Lösung“

Als die NATO im Dezember 1979 auf die Aufstellung der mit nuklearen Mehrfachsprengköpfen bestückten sowjetischen SS-20-Raketen mit dem sogenannten „Doppelbeschluss“ (sowohl Stationierung bodengestützter atomarer Mittelstreckenwaffen in Europa als auch gleichzeitiges Angebot an Moskau, über die beiderseitigen Waffensysteme zu verhandeln) antwortete, votierte die CSU in den kontroversen sicherheitspolitischen Debatten im Deutschen Bundestag stets für die NATO-Entscheidung und gegen eine „Null-Lösung“. Ausschlaggebend für diese Position war die Überzeugung, dass die Sowjetunion unter dem Vorzeichen einer vermeintlichen „Entspannungspolitik“ militärische Hoch­rüstung betrieben und seriöse westliche Verhandlungsangebote zur Abrüstung ausgeschlagen habe. Weil der „kommunistische Block vorgerüstet“ habe, so hieß es in der „Hofer Erklärung“ des CSU-Parteiausschusses vom November 1983, und weil er „nicht bereit ist, diese Vorrüstung abzubauen, muss die westliche Allianz im Vollzug des NATO-Doppelbeschlusses nachrüsten. Andernfalls wäre das freie Europa und damit die Bundesrepublik einem militärischen, politischen und psychologischen Druck Moskaus ausgeliefert, der zur Aushöhlung der Verteidigungsfähigkeit der NATO, zur Zerstörung der europäisch-atlantischen Lebenslinie und letzten Endes zum Verlust von Frieden und Freiheit führen müßte“.

Risiken erkennen, nukleare Komponente bewahren

Obwohl die CSU sich bereits in ihren Grundsatzprogrammen von 1968 und 1976 zu weltweiten Abrüstungsbemühungen bekannt hatte und diese Position auch im Laufe der 1980er-Jahre mehrfach bekräftigte, warnten die außenpolitischen Experten der Partei selbst in der Folge der sicherheitspolitischen Kurskorrektur nach dem Amtsantritt Michail Gorbatschows vor einer überstürzten Aufgabe der Abschreckungskapazität des demokratischen Westens. Moskaus Prinzip der „friedlichen Koexistenz“ wurde nach wie vor lediglich als Mittel und Instrument, nicht aber als, so Theo Waigel, „Ziel im Sinne der marxistischen Ideologie“ interpretiert. Als Voraussetzung für „normale, nachbarschaftliche Beziehungen zur Sowjetunion“ forderte der damalige CSU-Landesgruppenchef im Deutschen Bundestag und spätere Parteivorsitzende deshalb konsequenter Weise eine überzeugende Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland und Westeuropas. Im Juni 1987 betonte Waigel die Notwendigkeit, Risiken klar zu erkennen und unterstrich die Position der CSU, dass die „Gewährleistung von Frieden und Freiheit im Westen“ auch weiterhin lediglich „auf der Grundlage einer wirksamen nuklearen Komponente“ möglich sei. Die Christlich-Soziale Union wende sich „energisch gegen all jene Abrüstungsmaßnahmen, die im Ergebnis dazu führen würden, einen bewaffneten Konflikt in Europa wieder möglich zu machen und einen Krieg auf Deutschland zu begrenzen“.

Literatur

Grundsatzprogramme der CSU von 1968 und 1976.

„Hofer Erklärung“ des Parteiausschusses der CSU, in: Bayernkurier vom 26. November 1983.

Reinhard Meier-Walser: Die Christlich-Soziale Union und die Außenpolitik, in: Hanns-Seidel-Stiftung (Hrsg.), Geschichte einer Volkspartei. 50 Jahre CSU 1945-1995, Grünwald 1995, S. 367-398.

Franz Josef Strauß, Entspannung – Schein und Wirklichkeit, in: Bayernkurier vom 26.1.1980.

Theo Waigel, Risiken klar erkennen. Wahrnehmung deutscher Interessen muß Richtschnur werden, in: Bayernkurier vom 13.6.1987.

Friedrich Zimmermann, Breschnew hat Probleme, in: Bayernkurier vom 14.11.1981.