Finanzpolitik und Bayerns Eigenstaatlichkeit: Eine wechselvolle Beziehungsgeschichte

Rudolf Himpsl

Die Zahlungen an und aus dem Länderfinanzausgleich und die Anteile am gemeinsamen Steuerverbund von Bund und Ländern sind nicht nur Indikatoren für die wirtschaftliche Stärke eines Landes. Mit der Frage nach dem Geld ist letztlich immer auch der Anspruch auf deren Eigenstaatlichkeit im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik verbunden. Beim Blick auf Bayern und die Rolle der CSU steht gleich zu Beginn der Paukenschlag der Ablehnung des Grundgesetzes durch den Bayerischen Landtag und die CSU-Mehrheitsfraktion im Mai 1949 bei gleichzeitigem Beschluss seiner Rechtsverbindlichkeit für den Freistaat.

Diese Entscheidung begründete Ministerpräsident Hans Ehard insbesondere mit der vorgesehenen Finanzverfassung der Bundesrepublik: „Wir erstreben nicht mehr und nicht weniger, als daß die deutschen Einzelstaaten, die den Bundesstaat bilden sollen, tatsächlich in den Stand gesetzt werden, ihre Funktion als lebenstragende Teile des Bundes zu erfüllen.“ Er wünschte sich eine Beseitigung der zweckbestimmten Dotationen, eine Beteiligung der Länder am Aufkommen der Umsatzsteuer und deren Verwaltung durch die Landesfinanzbehörden im Auftrag des Bundes. „Da auch dieses Mindestmaß an Forderungen nicht erfüllt wurde, ist nicht abzusehen, wie die Länder, vor allem ein Land von der wirtschaftlichen Struktur Bayerns, zu einer gesunden Finanzwirtschaft kommen sollen, die die Voraussetzung für die Aufrechterhaltung eines eigenen staatlichen Lebens ist.“

Ein Land gestaltet seine Zukunft

Ungeachtet dieser Befürchtungen profitierte Bayern in den folgenden Jahren nicht nur vom Finanzausgleich zwischen den Ländern, sondern auch von der regionalen Strukturpolitik des Bundes, etwa der Förderung der „Zonenrandgebiete“. Diese Maßnahmen gehörten unzweifelhaft zu den Voraussetzungen für den vielbeschworenen wirtschaftlichen Aufholprozess Bayerns in der Nachkriegszeit und seinen Wandel von einem stärker agrarisch geprägten Land zum prosperierenden und international vernetzten High-Tech-Standort. Ebenfalls mitentscheidend war aber nicht zuletzt, dass die Staatsregierungen in Bayern ihre Möglichkeiten zur Politikgestaltung aktiv wahrnahmen. Dies war insbesondere nach der Übernahme des Ministerpräsidentenamtes durch Alfons Goppel im Jahr 1962 der Fall, als bis dato die hohen Steuereinnahmen der Vorjahre die bayerischen Staatsschulden beinahe halbiert hatten.

Obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch immer Zahlungen aus dem Finanzausgleich erhielt, gehörte der Freistaat schon bei der vieldiskutierten Finanzreform der Großen Koalition mit Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß nicht mehr zu den finanzschwachen Ländern. Auch aus diesem Grund widersetzte sich die CSU-Staatsregierung gemeinsam mit den Landesregierungen in Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen der ursprünglich vom Bundestag verabschiedeten Konzeption, die noch tiefer in die Bundesstaatsverfassung eingegriffen hätte. Franz Heubl, Staatsminister für Bundesangelegenheiten und Widerpart zu Bundesfinanzminister Strauß, kritisierte die Bonner Pläne: „Der Bund finanziert mit Geld, das er den Ländern wegnimmt, Aufgaben der Länder und sichert sich den Bundeseinfluss bei der Planung und Durchführung von Landesaufgaben, und das Ganze mit einem möglichst bürokratischen Aufwand. Und dann heißt es, das sei der größtmögliche Fortschritt im Sinne eines kooperativen Föderalismus.“

Das verzweifelte Warten auf eine Stärkung des Föderalismus

Versuche einer Bundesstaatsreform sollte es in der Folge noch mehrmals geben. Diese gingen sowohl auf Initiativen der Bundesregierung also auch auf solche der Länder und gerade der Bayerischen Staatsregierung als „Hüterin des Föderalismus“ zurück – eines der zentralen identitätsstiftenden Motive gerade auch für die CSU. Dabei chargierte man in München jeweils zwischen Wahrung von größtmöglichen Gestaltungsmöglichkeiten und Eigenständigkeit auf der einen und einer Erweiterung der finanziellen Mittel auf der anderen Seite. So warf Peter Schmidhuber, Heubls Nachfolger als Staatsminister für Bundesangelegenheiten, der sozialliberalen Bundesregierung gegen Ende der 1970er-Jahre vor, sie wolle sich aus der Finanzierung gemeinsamer Aufgaben, nicht aber aus der politischen Einflussnahme zurückziehen. Eine regelrechte Konjunktur erfuhren die Vorschläge zur Neugestaltung des bundesdeutschen Föderalismus durch die Wiedervereinigung. So betonte der damalige bayerische Finanzminister Georg von Waldenfels 1991, dass ein „gesunder Föderalismus“ leistungsfähige Länder benötige. Und auch Theo Waigel schlug Mitte der 1990er-Jahre vor, deren Zahl auf maximal neun zu reduzieren, da es nicht hinnehmbar sei, dass elf von 16 Ländern „am Tropf des Bundes hängen“.

Forderungen nach einer Neuordnung der bundesstaatlichen Ordnung und insbesondere nach einer tiefgreifenden Reform des Länderfinanzausgleichs nahmen breiten Raum in der Regierungserklärung von Ministerpräsident Edmund Stoiber am 4. Februar 1998 ein. Eine stärkere Finanzhoheit der Länder und eine klare Kompetenztrennung zwischen Bund und Ländern sollten einen echten Wettbewerbsföderalismus in Gang setzen. Stoiber formulierte das Ziel so: „Im Interesse eines starken Föderalismus, im Interesse eines kreativen Wettbewerbs, der dem Ganzen zugute kommt, der Leistung und solide Haushaltspolitik nicht bestraft, im Interesse einer ländereigenen Standortpolitik für Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand, und im Interesse der bayerischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber wollen wir den Länderfinanzausgleich verändern, das heißt nicht abschaffen, sondern gerechter gestalten.“ Stoiber erkannte in der Stärkung der Länder und Regionen in Europa „eine entscheidende Schlüsselfrage des Überlebens der Staatsqualität Bayerns im zusammenwachsenden Europa“. Als Verhandlungsführer der Länder sollte er in der gemeinsamen Föderalismuskommission von Bundestag und Bundesrat und den Föderalismusreformen I (2006) und II (2009) entscheidend daran beteiligt sein, dass erstmals wieder substantielle Kompetenzen auf die Länder zurückverlagert wurden und eine „Schuldenbremse“ Aufnahme in das Grundgesetz fand, wenngleich die Reform aber weit hinter dem Anspruch einer umfassenden Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zurückblieb.

Die „schwarze Null“ und das rechte Augenmaß

Stabilität und solide Haushaltsführung entwickelten sich ab 2003 zu einem noch dominanteren Ziel in der Landespolitik. 2006 präsentierte Bayern als einziges Land in der Bundesrepublik einen ausgeglichenen Haushalt. Trotz BayernLB-Krise, die einen enormen Vertrauensverlust in die wirtschaftspolitische Kompetenz der CSU darstellte, und den Folgen der Finanzkrise konnte Markus Söder 2016 als damaliger Finanzminister im Kaisersaal der Münchner Residenz zehn Jahre ausgeglichenen Haushalt in Bayern feiern. Gleichzeitig führte aber der konsequente Sparkurs der Stoiber-Jahre zu einer starken Kritik an dessen Folgen und konkreten Maßnahmen.
Es wurde bemängelt, dass Eigenheiten der bayerischen Identität und Staatlichkeit nicht bewahrt würden. In der Tat wurden traditionsreiche Institutionen zum Teil aufgelöst, die nicht nur die Eigenstaatlichkeit des Landes repräsentierten, sondern zugleich dazu beitrugen, das Gefühl der Einzigartigkeit Bayerns auch zu reproduzieren: Zu diesen Maßnahmen zählten die Abschaffung des Bayerischen Obersten Landesgerichts mit seiner Geschichte seit 1625, die Auflösung der traditionsreichen Forstverwaltung oder das Streichen landesgeschichtlicher Disziplinen an den Universitäten. Viele dieser Maßnahmen wurden nach einer erstaunlich kurzen Zeit wieder korrigiert. Die Frage nach langfristigen Folgen der ursprünglichen Sparmaßnahmen für die Bindekraft der CSU als Hüterin bayerischer Staatsqualität kann jedoch nur schwer seriös beantwortet werden.

Eine gern zitierte Feststellung bezeichnet die CSU als die erfolgreichste Partei Europas. Die Basis ihres Erfolgs bildeten einerseits die Fähigkeit, unterschiedliche Bevölkerungsgruppen in Bayern – Arbeiter, Angestellte und Unternehmer, Zugezogene und Traditionsbewusste – an sich zu binden, und andererseits den Freistaat mit der von ihr getragenen Staatsregierung als eigenständigen und kraftvollen Akteur in Deutschland und der Welt darzustellen. Dies künftig zu leisten, wird angesichts scheinbar zunehmender Polarisierungen immer schwieriger werden. Die unauflösliche Grundlage, dass dies überhaupt möglich sein kann, wird aber bleiben, die Staatsqualität überlebensfähiger Länder in der Bundesrepublik zu erhalten und in Bayern die eigenen Kompetenzen selbstbewusst wahrzunehmen. Wie in der Vergangenheit, so muss die CSU gerade in dieser Hinsicht ihrem bundespolitischen Anspruch gerecht bleiben. Letzten Endes geht es hier um kein anderes Ziel, wie es schon das CSU-Grundsatzprogramm des Jahres 1957 mit einfachen Worten formuliert hat: „Die Bundesfinanzpolitik muß der föderalistischen Ordnung der Bundesrepublik gerecht werden und die Länder in den Stand setzen, die ihnen verfassungsmäßig zustehenden Aufgaben zu erfüllen.“

Literatur

Manuela Glaab, Michael Weigl (Hrsg.), Politik und Regieren in Bayern, Wiesbaden 2013.

Ursula Münch, Freistaat im Bundesstaat. Bayerns Politik in 50 Jahren Bundesrepublik Deutschland, München 1999.

Wolfgang Renzsch, Länderfinanzausgleich, publiziert am 2.5.2011; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Länderfinanzausgleich (abgerufen am 4.4.2020).