Landesentwicklung in Bayern – Die CSU als Schutzpatronin für den ländlichen Raum

Silke Franke
Michael Weigl

1995 wurden in Deutschland erstmals „Metropolregionen“ in der Raumordnung definiert. Sie gelten als Motoren der sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung für das ganze Land. In den ländlichen Regionen hingegen wurde diese Kategorie mit gemischten Gefühlen aufgenommen.

Strahlende Leuchttürme und ein verunsichertes Hinterland

Als das Institut für Bevölkerung und Entwicklung in Berlin 2006 einen Bericht zur Zukunftsfähigkeit der Regionen in Deutschland veröffentlichte, schienen sich deren Befürchtungen zu bestätigen. Angesichts des demographischen Wandels bescheinigten die Autoren nur den Metropolregionen Zukunftsaussichten. Ansonsten gelte es, sich der Realität einer alternden und schrumpfenden Republik zu stellen und sich aus Gegenden mit andauerndem wirtschaftlichen und demographischen Verfall schrittweise zurückzuziehen. Die Politik müsse sich, so das Fazit der Folgestudien 2009 und 2011, vom Ziel gleicher Lebensverhältnisse im ganzen Land verabschieden, denn in manchen Regionen wäre ein weiteres Gegensteuern zu teuer, „nicht förderbar“ (Krönert, u.a.). Auch in Bayern wurden solche Problemzonen ausgemacht, wie etwa die Grenzgebiete im Norden und Osten des Freistaats, für die das Institut der deutschen Wirtschaft 2007 eine „Anbindungsstrategie“ vorschlug. Selbst im Bericht des von der Bayerischen Staats­regierung eingerichteten Zukunftsrates war Ende 2010 von „Leistungsträgern“ mit „Leuchtturmfunktion“ – gemeint waren damit die Agglomerationszentren – die Rede. Der ländliche Raum hingegen: „Hinterland“. Sollten im Zuge der (internationalen) Wettbewerbsfähigkeit nur noch die Starken weiter gestärkt werden und alle anderen abgeschrieben? Die betroffenen Kommunalpolitiker und Bürger der so genannten Peripherie waren in Aufruhr.

„Kein Land der zwei Geschwindigkeiten“ – Die Heimatstrategie

Mit ihrer „Heimatstrategie“ ging die Bayerische Staatsregierung in die Offensive und demonstrierte, dass das erst 2013 in die bayerische Verfassung (Art. 3 Abs. 2 Satz 2) aufgenommene Ziel der gleichwertigen Arbeits- und Lebensbedingungen in ganz Bayern allen Unkenrufen zum Trotz weiterhin uneingeschränkt gelte. Mit der Erweiterung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen um „Landesentwicklung und Heimat“ nach den Landtagswahlen 2013 setzte Ministerpräsident Horst Seehofer ein markantes Zeichen. Dass dieses Heimatministerium darüber hinaus seinen Dienstsitz in Nürnberg einnahm, womit die Bayerische Staatsregierung erstmals seit 1806 wieder einen Sitz außerhalb Münchens hat, tat sein Übriges zur symbolischen Wucht dieser Maßnahme. Zunächst weithin belächelt sollte die Idee eines Heimatministeriums doch Nachahmer finden, so in Nordrhein-Westfalen und auf Bundesebene.

Die freistaatliche Heimatstrategie fand ihre Fortsetzung in der von 2014 bis 2018 tagenden Enquete-Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Bayern“ des Bayerischen Landtages und dem 2015 von Finanz- und Heimatminister Markus Söder vorgestellten „Heimat­bericht“. Söders zentrale Botschaft, dass der ländliche Raum viel besser sei als sein Image, wurde ergänzt durch die konkrete Ausbuchstabierung der Heimatstrategie in fünf strukturpolitischen Säulen: der Stärkung des kommunalen Finanzausgleichs, der Forcierung des Breitbandausbaus, dem Ziel der „Strukturentwicklung für ganz Bayern“, der Ausgründung von Hochschulen sowie der Verlagerung von Behörden. Zu der entsprechenden Teilfortschreibung des Landesentwicklungsprogramms gehörte die Neuordnung des Zentrale-Orte-Systems und die Erweiterung der Kategorie „Raum mit besonderem Handlungsbedarf“, wodurch mehr Kommunen und Regionen erhöhte Förderpriorität erhielten, sowie die Lockerung des Anbindegebots, welche nun die Ausweisung neuer Gewerbe- und Industriegebiete auch außerhalb bereits bestehender Siedlungseinheiten erlaubte. Gerade letzteres wurde bzw. wird von Experten in ihren Stellungnahmen zur Landesplanung mit Blick auf den Flächenverbrauch allerdings mehrheitlich stark kritisiert (siehe z.B. Initiative „Für das bessere Landesentwicklungsprogramm"). Die Dezentralisierung von Einrichtungen stieß hingegen auf mehr Zustimmung.

Demokratisierung der Bildungslandschaft

Dass Neugründungen von Universitäten und Fachhochschulen den Regionen wirtschaftliche wie kulturelle Infrastruktur erschließen, hatte sich schon in den 1960er- und 1970er-Jahren gezeigt. Mit den Universitäten Regensburg (gegründet 1962), Augsburg (1970), Bayreuth (1972) und Passau (1973) sowie Fachhochschulen wie beispielsweise in Landshut (1978) war schon frühzeitig eine Dezentralisierung der bayerischen Hochschullandschaft erfolgt, die sich in den 1990er-Jahren mit der Errichtung neuer Fachholschulstandorte in Bayern fortsetzte. Seit den 2010er-Jahren folgten schließlich Dependancen dieser Hochschulen, die wie der zur TU Deggendorf zählende European Campus Rottal-Inn in Pfarrkirchen (2015) „weitab der Universitätsstädte wie Löwenzahn auf der Wiese“ (Günther) sprießen und dem ländlichen Raum neue Impulse geben. Aktuelle Ansätze wie der 2018 gefällte Beschluss zur Gründung einer Technischen Universität in Nürnberg (geplante Eröffnung 2025) oder die Stärkung der Forschungslandschaft flächendeckend in ganz Bayern im Rahmen der „Hightech-Agenda“ (2019) knüpfen nahtlos an diese Idee der Bildungs- und Wissenschaftspolitik als Infrastrukturpolitik an.

Behördenverlagerung aus Überzeugung

Dem Grundsatz, den Staat nicht nur als Dienstleister, sondern auch als Arbeitgeber zu den Bürgern in ganz Bayern zu bringen, folgt nicht nur die Bildungspolitik als Instrument aktiver Strukturpolitik, sondern ebenso die Idee der Behördenverlagerung. Die Beschlüsse des Kabinetts Seehofer II zur Realisierung der vom Heimat- und Finanzminister Söder erarbeiteten Konzepte „Regionalisierung von Verwaltung“ (2015) und „Chancen im ganzen Land“ (2016) markierte den Beginn der umfangreichsten Regionalisierung von Behörden und staatlichen Einrichtungen in der Geschichte des Freistaates seit dem Zweiten Weltkrieg. Nach Darstellung der Bayerischen Staatsregierung haben zwischen 2015 und 2020 bereits 48 Behörden und staatliche Einrichtungen (von geplant rund 70) mit mehr als 1.260 Beschäftigten (geplant 2.700) ihre Tätigkeit an den neuen Standorten in ganz Bayern – hier vor allem in Räumen mit besonderem Handlungsbedarf – aufgenommen.

Viele der Mitarbeiter traten den Weg aus dem Zentrum der Landeshauptstadt in die bayerische Peripherie nur unwillig oder gar nicht an. Kritiker werfen dem Konzept der Behördenverlagerung sogar vor, mehr Symbolpolitik denn wirksame infrastrukturelle Maßnahme zu sein. CSU und bayerische Staatsregierung aber treten solcher Kritik vehement entgegen. Die CSU sei der „Schutzpatron für den ländlichen Raum“ (Markus Söder), das strukturpolitische Instrument der Behördenverlagerung sei „notwendig als Antwort auf Strukturveränderungen in der Wirtschaft und notwendig als Antwort auf das große Ziel ‚gleiche Lebenschancen in allen Regionen‘“ (Horst Seehofer).

Der Ausgleichsauftrag – Gebot der CSU von Anfang an

Die Heimatstrategie der Bayerischen Staatsregierung hat der Fortentwicklung des ländlichen Raumes in Bayern neue Impulse gegeben. Tatsächlich aber ist sie nahtlose Fortsetzung einer seit Jahrzehnten gültigen CSU-Politik.

Seit den Anfängen der Raumordnung auf Bundesebene in den 1960er-Jahren vertraten CDU und CSU die Belange der ländlichen Gebiete besonders stark, wohingegen die SPD eher die Interessen der Ballungsräume im Blick hatte – beides den räumlichen Schwerpunkten des Wählerklientels geschuldet. Als im Zuge des Wandels Bayerns vom Agrar- zum Industrieland ländliche, strukturschwache Gegenden wie auch die Zonenrandgebiete von der ökonomischen Entwicklung abgehängt zu werden drohten, hatte die CSU die Forderung nach einem Ausgleich zwischen Stadt und Land zu einem ihrer zentralen Leitbilder mit Wirkung für ihre Politikformulierung in verschiedenen Politikfeldern erhoben, von dem sie bis heute nicht abgerückt ist. Auch in Bereichen der Landwirtschafts- und Umweltpolitik werden strukturpolitische Ziele zugunsten ländlicher Räume verknüpft. Die Philosophie der bayerischen Landentwicklung, wie sie insbesondere von den Ämtern der Ländlichen Entwicklung vertreten werden, setzt sich im Vergleich zu anderen Bundesländern ausnehmend stark für eine eigenständige Entwicklungsfähigkeit und ein von der Bürgerschaft getragenes Engagement der Gemeinden ein. Auch die Programme zur Regionalentwicklung und Interkommunalen Zusammenarbeit sollen Bleibeperspektiven eröffnen und eine Solidarität der Teilräume fördern.

Literatur

Silke Franke/Alois Glück/Holger Magel (Hrsg.), Gerechtigkeit für alle Regionen in Bayern (Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen 78) München Dez. 2011.

Anna Günther, Eine internationale Hochschule, mitten in der Provinz, in: Süddeutsche Zeitung vom 26./27.1.2019, Bayernteil.

Karl-Hermann Hübler, Die Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen in allen Teilräumen, in: Raumforschung und Raum­ordnung 1/2005, S. 55-62.

Institut der deutschen Wirtschaft Köln Consult, Ausschöpfung der Potenziale regionaler Wirtschaftskreisläufe. Zukunft bayerischen Regionen, Köln 2007.

Steffen Kröhnert u.a., Die Zukunft der Dörfer – zwischen Stabilität und demografischem Niedergang, Berlin 2011.