Man war auf der sicheren Seite, wenn wegen „mangelnder“ föderaler Strukturen oder auch wegen des umstrittenen Regierungssitzes (Bonn oder Frankfurt/Main) gehandelt wurde. Der Bayerische Landtag lehnte folgerichtig im Mai 1949 nach einer Marathon-Sitzung das neue deutsche Grundgesetz ab, als einziges Bundesland. SPD und FDP stimmten dafür, die Mehrheit der CSU- und WAV-Abgeordneten stimmte dagegen. Die meinungsbildende Bayernpartei war im Landtag noch nicht vertreten. Es gab aber eine Art „Rückversicherungsklausel“: Sollten zwei Drittel der anderen Landtage in den westlichen Besatzungszonen dem Grundgesetz zustimmen, so sollte dieses Grundgesetz auch in Bayern gelten. Letzteres geschah tatsächlich.
Ein solche „Nein, aber“-Haltung sollte auch in den kommenden Jahrzehnten vorkommen. Der politische Erfolg der neuen Bundesrepublik Deutschland drängte die „Nein-Sager“ schnell in den Hintergrund. Es gab aber noch genug Gelegenheit, eigenständig aufzutreten. Da gab es sogar den berühmten „CSU-Streit“ von 1968/69, als die Bundesregierung von CDU/CSU und SPD eine „Große Finanzreform“ beschlossen hatte, federführend Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß (CSU). Es ging um die Neuregelung der Steuerverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, die unter dem Stichwort „Gemeinschaftsaufgaben“ im Grundgesetz verankert werden sollte (Art. 91a, b), sowie in Artikel 104a Absatz 4 um die „Gemeinsame Finanzierung von gesamtwirtschaftlich wichtigen Investitionsprojekten“. Das Vorhaben galt als „gravierendster Einschnitt zuungunsten der Länder“ (CSU-Parteitag 1968). Protest kam von fast allen Ländern, im Bayerischen Landtag aber auch von allen Parteien. In Erinnerung blieb der heftige Streit zwischen Ministerpräsident Alfons Goppel (CSU) und Franz Josef Strauß (CSU), aber auch zwischen CSU-Landesgruppe und CSU-Landtagsfraktion. Der Weihnachtsfrieden war gestört. Schließlich gab es im Januar 1969 den „Münchner Kompromiss“ – statt neun Gemeinschaftsaufgaben sollte es bloß noch drei geben.
Außerdem gab es am 9. Januar 1974 den berühmten Strauß-Satz: „Wir Bayern müssen bereit sein, wenn die Geschichte es erfordert, notfalls die letzten Preußen zu werden.“ Für die gestandenen Bayern war die Verwirrung groß. Doch wegen der neuen Ostpolitik der Brandt/Scheel-Regierung in Bonn, die im Grundlagenvertrag mit der DDR von 1972 gipfelte, sah die bayerische Staatsregierung (Alleinregierung CSU) die Notwendigkeit, vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu klagen. Der Erfolg mit Urteil vom 31. Juli 1973 gab Bayern Recht – der Weg zur Wiedervereinigung blieb juristisch offen. Auch unter Ministerpräsident Edmund Stoiber gab es 1992 wegen föderalistischer Bedenken ein grundsätzliches Nein zum in Bonn beschlossenen Vertrag von Maastricht samt Euro – und dann doch Zustimmung im Bundesrat. Immerhin setzte sich die von der CSU vertretene Idee des „Europa der Regionen“ durch. Der Erfolg zeigt sich in wertvoller grenzüberschreitender Zusammenarbeit.
Ein besonders scharfes Nein richtete die CSU schließlich gegen die Absicht, nach der Wiedervereinigung Deutschlands auch wieder Berlin zur Hauptstadt zu machen, Symbol des Zentralismus. Vier Fünftel der CSU-Bundestagsabgeordneten stimmten am 20. Juni 1991 für Bonn, obwohl sie viele Jahre auch Bonn als „preußisches Übel“ gesehen hatten. Doch es war auch wieder der Freistaat Bayern, der sich als erstes Bundesland ein besonders attraktives Grundstück in Berlin sicherte, um seine eigene Repräsentanz dort zu erstellen.
Da seit 1990 die CSU weitere 22 Jahre in der Bundesregierung saß, konnte sie stets ihr „Ja zu Deutschland“ bekunden. Die geradezu lustvolle Beschimpfung Berlins als „Stadt des Gesindels“ (linke Revoluzzer, Hausbesetzer, langhaarige Studenten, Sozialschmarotzer usw.) schwoll zunehmend ab. Die bayerische Staatsregierung hielt auch den Bundesnachrichtendienst nicht ab vom Umzug von Pullach nach Berlin, ebenso nicht den Ausverkauf wichtiger bayerischer Unternehmen wie Bayernwerk (heute EON mit Sitz in Düsseldorf-Hannover) oder MAN (zum VW-Konzern). Es hat sich einiges geändert durch die vergrößerte Bundesrepublik Deutschland. Es hat sich natürlich auch Bayern verändert durch den starken Bevölkerungswandel. Nicht bloß neue Bayern waren zu integrieren, sondern auch veränderte Bayern zu pflegen. Bayern war kein Agrarland mehr, das Stadt/Land-Gefälle nivellierte sich, die bayerische Identität sah sich herausgefordert. Selbst der Länderfinanzausgleich weckte neues Grummeln. Bayern musste plötzlich Deutschland alimentieren, obwohl doch die Bayern lieber an Südtirol denken als an die Lausitz. Trotzdem blieb (bisher) das Ja zu Deutschland. Schließlich alimentiert auch der FC Bayern die deutsche Fußballnationalelf – wenn es sein muss mit Neu-Bayern.