Wachsen an der Herausforderung: Die CSU und die Gemeindegebietsreform

Michael Weigl

Die zweite Hälfte der 1970er-Jahre sah eine CSU, die nur so strotzte vor Kraft und Selbstbewusstsein. Ob bei Europa-, Bundes-, Landtags- oder auch Kommunalwahlen: Überall hagelte es neue Rekordergebnisse, die die Dominanz der Partei im bayerischen Parteisystem nicht nur zementierten, sondern weiter ausbauten. Gründe hierfür gab es verschiedene, zum Beispiel die Modernisierung Bayerns unter Ministerpräsident Alfons Goppel, die klare Frontstellung der CSU gegenüber der sozial-liberalen Regierung in Bonn oder die allgemeine Politisierung der Gesellschaft dieser Zeit. Gleichwohl erscheint der Umstand, dass die CSU in den 1970er-Jahren selbst bei Kommunalwahlen nicht an Zustimmung einbüßte, sondern im Gegenteil noch erhebliche Gewinne verzeichnen konnte, im Rückblick überraschend. Die in den 1970er Jahren realisierte Gemeindegebietsreform in Bayern – die weitreichendste Reform der bayerischen Verwaltungsstrukturen seit Montgelas – hätte nach heutigen Maßstäben das Potenzial, die regierende Partei in die Knie zu zwingen: Zu heikel, zu emotional, zu kontrovers, politisch kaum durchsetzbar ohne Beschädigung. Die CSU dagegen schulterte die Herausforderung nicht nur, sie wuchs an ihr.

Ein Jahrzehnt Reformanstrengungen

Als Goppel in seiner Regierungserklärung vom 25. Januar 1967 eine umfassende Reform der bayerischen Verwaltung mit Blick auch auf die Gliederung des Landes in Gemeinden, Landkreisen und Bezirke ankündigte, war die Notwendigkeit einer Reform allgemein anerkannt. Um den Strukturwandel Bayerns von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft erfolgreich zu schultern, mussten auch die Kommunen zukunftstauglich gemacht werden. Schon im Dezember 1971 beschloss der Bayerische Landtag mit der Mehrheit der CSU-Abgeordneten ein entsprechendes Gesetz zur Neugliederung Bayerns, nachdem zuvor die Kommunen zweimal angehört worden waren.

Tatsächlich bestand die Gemeindegebietsreform aus drei Strängen: der bereits 1972 abgeschlossenen Kreisreform, der 1978 zu Ende geführten Gemeindereform und der Mitte der 1970er-Jahre verwirklichten Funktionalreform mit dem Ziel der Zuständigkeitsverlagerung von Verwaltungsaufgaben von oben nach unten. Im Ergebnis änderte sich die politische Landkarte Bayerns massiv: Die Zahl der Landkreise wurde von vormals 143 auf nunmehr 71 verringert, die Zahl der Gemeinden sank von 7.073 auf 2.048 (heute: 2.056), die der kreisfreien Städte von 48 auf 25. Mit zwei Gesetzen vom 27. Juli und 15. Dezember 1971, die den Rahmen der Reformmaßnahmen darstellten, wurde die kommunale Selbstverwaltung gestärkt. Auch wurden manche Verwaltungsaufgaben wie die Ausstellung von Pässen und Personalausweisen auf die Gemeinden verlagert, um so dem Ziel der Maßnahmen, eine effektive und bürgernahe Verwaltung zu installieren, gerecht zu werden.

Mit Mistgabeln und Barrikaden für die Eigenständigkeit

Unumstritten waren kommunale Gebietsreformen, wie sie zu dieser Zeit in der ganzen Bundesrepublik umgesetzt wurden, nirgendswo. „Doch wohl nirgends“ war der kommunalpolitische Widerstand „so stark und so organisiert wie in Bayern“ (Scholler). Die „Arbeitsgemeinschaft für die Gebietsreform von Landkreisen und Gemeinden Bayerns“ (Riedenburger Kreis) strebte 1971 einen Volksentscheid zur Festschreibung einer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit für Gebiets- und Bestandveränderungen (Art. 9 und 10 Abs. 1 BV) an, fand jedoch nur die Unterstützung von 3,7 Prozent der Wahlberechtigten, verfehlte damit sogar das in Bayern notwendige Quorum (10 Prozent) für Volksbegehren. Eine weitere Volksbegehrensinitiative der „Aktionsgemeinschaft Demokratische Gemeindegebietsreform Bayern“ (Türkenfelder Kreis) zusammen mit der „Vereinigung für Gemeindefreiheit in Bayern“ (Leutstetten) strebte an, Gebiets- und Bestandsänderungen in der Regel von dem Ergebnis von Bürgerbefragungen abhängig zu machen (Art. 11 BV). Der Bayerische Verfassungsgerichtshof aber erklärte diese Initiative 1978 für verfassungswidrig. Schließlich scheiterte auch eine Popularklage von 211 Gemeinden vor Gericht (1978).

Jenseits solch überregionaler Initiativen formierte sich an vielen Orten Bayerns der Unmut der Menschen – vor allem ab Januar 1976, als in der so genannten „Amtsphase“ nach einer Zeit der Freiwilligkeit nun Zwangseingemeindungen und Zwangsmitgliedschaften in einer Verwaltungsgemeinschaft drohten. Nicht überall ging dabei der Protest so weit wie im schwäbischen Horgau, wo die Bürgerinnen und Bürger ihr Rathaus mit Mistgabeln verteidigten, oder im unterfränkischen Ermershausen, wo eine Barrikade des Rathauses gar in dessen Räumung durch mehrere Hundertschaften der Bereitschaftspolizei mündete. Gleichwohl war der Unmut in der Bevölkerung groß. Zwar wehrten sich – in Relation zur Gesamtzahl der betroffenen Gemeinden – nur wenige mit juristischen Mitteln gegen die Maßnahmen. Viele aber verzichteten lediglich aus Kostengründen oder aufgrund der nur geringen Erfolgsaussichten auf einen Gang vor Gericht. Noch bis in die 1990er-Jahre hatten sich die obersten bayerischen Gerichte mit entsprechenden Klagen zu beschäftigen.

Die politische Kultur der „alten Zeit“ als Stütze der CSU

Um zu verstehen, wie die CSU diese Stürme unbeschadet überstehen konnte, ist es notwendig, die Uhren zurückzudrehen. Der Wandel von Gesellschaft und politischer Kultur deutete sich in den 1970er-Jahren an. Noch aber griffen die Mechanismen der ‚alten Zeit‘ mehr als das Neue.

Die Landtagswahl 1978 markierte einen Umbruch. Nach 16-jähriger Amtszeit kandidierte nicht mehr Alfons Goppel, sondern Franz Josef Strauß für das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten. Strauß aber hatte sich an die Spitze des Protestes kommunaler Mandatsträger aus der CSU gegen die Gebietsreform gestellt. Im Wahlkampf ausgesandte Signale punktueller Korrekturen erhielten so eine besondere Glaubwürdigkeit. Von einer grundlegenden Abkehr vom eingeschlagenen Weg aber konnte auch im so genannten Korrekturgesetz vom 10. August 1979 keine Rede sein.

Ihre ausgeprägte „Grasverwurzelung“ vor Ort und ihre Netzwerke zu Interessenorganisationen ermöglichte der CSU den ständigen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie Akteuren der Zivilgesellschaft. Ob Zustimmung zur Reform oder auch Unmut – die Diskussionen liefen mit der CSU, nicht gegen sie. Zwar kam es auch vereinzelt zu Austritten aus der Partei, die ideologisch motivierte Parteibindung an die CSU und ihre Netzwerkstrukturen aber waren noch intakt und überwog letztlich den Unmut.

Als bürgerliche Kraft war die CSU dieser Zeit weitgehend alternativlos. Wer bürgerlich-konservativ eingestellt war, konnte nicht anders, als christlich-sozial zu wählen, zumal die Gemeindegebietsreform zwar Emotionen und Protest schürte, nicht aber an den christlich-konservativen Grundsätzen der Partei rüttelte. Im Gegenteil war der alternative Rothemund-Plan der SPD vom 15. Februar 1971 mit seiner angedachten Ersetzung von Kreisen und Bezirken durch Verwaltungsregionen ausgesprochen radikal, machte demnach auch keine Angebote für eine konservativ gestimmte Wählerschaft.

Schließlich, und nicht zuletzt, war die politische Kultur der Zeit noch von einer stark ausgeprägten Akzeptanz der repräsentativen Demokratie geprägt. Traditionelle Autoritätsvorstellungen waren noch weitgehend intakt und äußerten sich beispielsweise in einem honoratiorenbezogenen Wahlverhalten. Die „partizipatorische Revolution“ (Kaase) stand erst an ihrem Anfang, der Wunsch der Bürger nach Teilhabe an Entscheidungsprozessen war noch nicht derart ausgeprägt wie in heutiger Zeit.

Vergangen, nicht vergessen

Die Gemeindegebietsreform belastete das Verhältnis zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und der CSU. Tatsächlich beschädigen aber konnte sie es nicht. Zu stark war die Autorität der CSU, zu eng ihre Netzwerke in die Fläche und den vorpolitischen Raum, zu ausgeprägt auch noch das ideologische und honoratiorenbezogene Wahlverhalten, als dass selbst eine solch weitreichende Reform ihr gefährlich hätte werden können. Wie sehr die Gemeindegebietsreform aber aufwühlte, zeigt sich wieder seit 2013. Seitdem der damalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) die sogenannte Kennzeichenliberalisierung durchsetzte, wurden in Bayern bereits wieder rund 70 alte Autokennzeichen der Zeit vor der Reform reaktiviert. Das Bewusstsein um alte Eigenständigkeiten lebt weiter fort – wenn auch vor allem auf der Straße.

Literatur

Karl-Ulrich Gelberg, Vom Kriegsende bis zum Ausgang der Ära Goppel (1945-1978), in: Max Spindler (Begr.)/Alois Schmid (Hrsg.), Das Neue Bayern. Von 1800 bis zur Gegenwart (Handbuch der bayerischen Geschichte, Bd. IV, 1) München 2003, S. 635-956.

Philipp Hamann, Gemeindegebietsreform in Bayern. Entwicklungsgeschichte, Bilanz und Perspektiven, München 2005.

Max Kaase, Partizipatorische Revolution – Ende der Parteien?, in: Joachim Raschke (Hrsg.), Bürger und Parteien. Ansichten und Analysen einer schwierigen Beziehung, Bonn 1982, S. 173–189.

Wolfgang Krieger, Franz Josef Strauß und die zweite Epoche in der Geschichte der CSU, in: Hanns-Seidel-Stiftung (Hrsg.), Geschichte einer Volkspartei. 50 Jahre CSU 1945-1995, Grünwald 1995, S. 163-193.

Heinrich Scholler, Die bayerische Gemeindegebietsreform als Konflikt zwischen grundrechtlich verstandener Selbstverwaltung und staatlicher Reformpolitik, München 1980.

Theo Stammen/Hans-Otto Mühleisen, Gemeinde- und Gebietsreform in Bayern. Politikwissenschaftliche Fragen und Unter­suchungen 10 Jahre nach Abschluss der Reformmaßnahmen, Augsburg 1986.