Der Parlamentarische Rat

 

 

Gemäß den Bestimmungen der Frankfurter Dokumente, die den westdeutschen Ministerpräsidenten am 1. Juli 1948 übergeben worden sind, tritt am 1. September 1948 mit dem Parlamentarischen Rat eine „verfassunggebende Versammlung“ zusammen. Die Arbeit des Parlamentarischen Rats endet mit der Ratifizierung und Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949. Um eine Teilung Deutschlands in Ost und West nicht zu zementieren, greift man dabei im Hinblick auf eine später erhoffte gesamtdeutsche Staatsgründung auf die provisorischen Bezeichnungen „Grundgesetz“ und „parlamentarischer Rat“ anstelle von „Verfassung“ und „verfassunggebender Versammlung“ zurück. Mit dem Grundgesetz entsteht jedoch eine freiheitliche, demokratische Verfassung, die bis heute Bestand hat.

Der Parlamentarische Rat und seine Mitglieder

Der Parlamentarische Rat setzt sich aus 65 stimmberechtigten Mitgliedern zusammen. Hierbei handelt es sich um Abgeordnete, die zwar von den jeweiligen Fraktionen nominiert, aber in den Landtagen gewählt werden. Die Anzahl der Abgeordneten pro Gebiet orientiert sich dabei an der jeweiligen Bevölkerungsdichte. Eine Aufteilung nach Parteien wird dabei nicht vorgeschrieben, eine Ausrichtung an den Stimmenverhältnissen in den Parlamenten wird aber empfohlen. Dieses Prozedere folgt damit einem Modell, das auf Vorgaben der westalliierten Besatzungsmächte in den Frankfurter Dokumenten beruht, mit alliierter Genehmigung von den Ministerpräsidenten modifiziert und von allen Landtagen mitgetragen wird.

Insgesamt gehören dem Parlamentarischen Rat damit je 27 Abgeordnete der CDU/CSU und der SPD, fünf Abgeordnete der FDP sowie jeweils zwei Vertreter der Deutschen Partei (DP), des Zentrums und der KPD an. Die CSU stellt folgende acht Teilnehmer:

Ferdinand Kleindinst, Gerhard Kroll, Wilhelm Laforet, Karl Sigmund Mayr, Anton Pfeiffer, Kaspar Gottfried Schlör, Josef Schwalber, Kaspar Seibold 

Gleichzeitig sind fünf Berliner Vertreter Teil des Parlamentarischen Rats. Da der Parlamentarische Rat als Länderorgan der westlichen Besatzungsmächte angesehen wird, sind diese allerdings mit keinem Stimmrecht ausgestattet, sondern üben lediglich eine beratende Funktion aus.

Mit nur vier Frauen (Friederike Nadig, Elisabeth Selbert (beide SPD), Helene Weber (CDU), Helene Wessel (Zentrum)) ist der Parlamentarische Rat zudem deutlich männerdominiert. Das Durchschnittsalter liegt bei ca. 55 Jahren.

Konstituierung des Parlamentarischen Rats

Nachdem die bisherigen Treffen der Ministerpräsidenten in der amerikanischen (Verfassungskonvent von Herrenchiemsee) und der französischen Zone (u.a. Koblenzer Rittersturz-Konferenz) stattfanden, sollte der Parlamentarische Rat nun in der britischen Zone tagen. Die Ministerpräsidenten einigen sich dabei per Telefonabstimmung auf Bonn.

Am 1. September 1948 wird der Parlamentarische Rat mit einem Festakt im Zoologischen Museum Alexander König eröffnet. Christian Stock, hessischer Ministerpräsident und Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, hebt im Zuge dessen hervor, dass

„wir […] heute zum ersten Male in der neuen deutschen Geschichte seit der Kapitulation nicht nach einem Diktat, sondern nach Vereinbarungen, die zwischen den Herren Militärgouverneuren und den Ministerpräsidenten zustande gekommen sind“, (Broschüre zum Festakt bei der Eröffnung des Parlamentarischen Rats: ACSP, NL Müller Josef : D 49)

handeln.

Die eigentlichen Sitzungen des Parlamentarischen Rats finden hingegen in den Räumen der Pädagogischen Akademie statt. Noch am 1. September wird dort Konrad Adenauer zum Präsidenten des Parlamentarischen Rats gewählt. Als Präsident nimmt Adenauer eine Vermittlerrolle ein, leitet die parlamentarischen Beratungen und steht öffentlichkeitswirksam im Austausch mit den Militärgouverneuren. Nach der Einrichtung eines Ältestenrates, eines Ausschusses zur Ausarbeitung einer Geschäftsordnung und mehreren Plenarsitzungen werden Mitte September sieben Fachausschüsse und ein Hauptausschuss gebildet. Die Fachausschüsse übernehmen zunächst die Ausarbeitung von Entwürfen. Die Ergebnisse der Fachausschüsse werden schließlich im Hauptausschuss unter der Leitung des SPD-Politikers Carlo Schmid ab Mitte November diskutiert und koordiniert. Hinzukommen noch Plenarsitzungen, in welchen die Abgeordneten die grundsätzlichen Positionen ihrer Partei zum Ausdruck bringen, die sich jedoch für die konkrete Verfassungsarbeit als kaum wirkungsvoll erweisen. Von den CSU-Abgeordneten erhält Anton Pfeiffer als Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion eine Führungsrolle, die es ihm erlaubt, die Positionen der CSU mit Nachdruck zu vertreten.

Der beschwerliche Weg zum Grundgesetz

Die ursprüngliche zeitliche Planung, laut der das Grundgesetz bis spätestens Dezember 1948 ausgearbeitet sein sollte, lässt sich nicht verwirklichen. Dies liegt u.a. an den Strukturen des Parlamentarischen Rats, denn angesichts der großen Anzahl an Fachausschüssen ist es für den Hauptausschuss kaum möglich, deren Arbeit detailliert nachzuvollziehen, zumal den Hauptausschuss immer neue Entwürfe und Formulierungen erreichen. Darüber hinaus beschränkt sich der vom Ältestenrat eigens einberufene Redaktionsausschuss entgegen seiner eigentlichen Bestimmung nicht darauf, die Resultate des Hauptausschusses in rechtlich einwandfreie Gesetzestexte zu gießen, sondern bringt sich zunehmend inhaltlich mit in die Verfassungsarbeit ein. Als sich Lösungen bei strittigen Fragen im Hauptausschuss immer schwieriger finden lassen, bilden sich vermehrt meist inoffizielle Kleingremien, die Kompromissvorschläge erarbeiten und so die Arbeit des Parlamentarischen Rats erleichtern. Doch auch inhaltliche Streitpunkte, insbesondere die Aufteilung von Kompetenzen zwischen Bund und Ländern, ziehen dabei weitreichende Diskussionen nach sich. Bereits im Tätigkeitsbericht des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee, der dem Parlamentarischen Rat als Arbeitsgrundlage dient, ist die Frage nach der Gestaltung einer dem Parlament gegenüberstehenden Ländervertretung als Bundesrat oder als Senat offengeblieben. Während sich die SPD nun für das Senatsmodell mit vom Volk direkt gewählten Vertretern in eher beratender Funktion einsetzt, votieren CDU und CSU für einen Bundesrat, der dem Parlament gleichberechtigt gegenübersteht, mit einem Vetorecht ausgestattet ist und aus Vertretern besteht, die von den Ländern entsandt werden. Als ein weiterer konfliktträchtiger Themenkomplex gilt die Gestaltung der Finanzverfassung etwa mit der Frage, ob die Steuererhebung in den Zuständigkeitsbereich der Länder oder des Bundes fällt. Zugleich bieten ideologische Differenzen u.a. bei der Verzahnung von Staat und Kirche zusätzliche Reibungspunkte.

Ratifizierung und Verkündung des Grundgesetzes

Nach insgesamt über 200 Sitzungen, unzähligen Besprechungen in Kleingremien und drei Lesungen im Hauptausschuss einigt sich der Parlamentarische Rat in der letzten Lesung des Hauptausschusses (8. bis 10. Februar 1949) auf einen Grundgesetzentwurf. Dieser wird anschließend den Militärgouverneuren übermittelt und von diesen in einem mit Gegenvorschlägen versehenen Memorandum am 2. März 1949 aufgrund zu wenig ausgeprägter föderalistischer Elemente, z.B. bei der Gesetzgebung oder der Finanzverfassung, abgelehnt. Auch ein Gesetzesentwurf vom interfraktionellen Siebenerausschuss, der infolgedessen im Parlamentarischen Rat gebildet wird, findet keine Zustimmung der Militärgouverneure, da dieser den Vorstellungen ihres Memorandums nicht ausreichend entspricht. Der Austausch mit den Militärgouverneuren wird überdies von den teils unterschiedlichen Anschauungen erschwert, die die Westalliierten selbst bei der Ausgestaltung des künftigen Grundgesetzes vertreten. Der entscheidende Durchbruch gelingt schließlich bei einer Konferenz der westalliierten Außenminister in Washington am 4. April 1949. Diese sehen dabei von einer strikten Umsetzung des Memorandums insbesondere bei der Finanzverfassung ab, was den Mitgliedern des Parlamentarischen Rats am 22. April offiziell mitgeteilt wird. Als nun auch eine Einigung bei den letzten Streitpunkten – u.a. der Einrichtung der obersten Bundesgerichte – erzielt wird, wird das Grundgesetz am 8. Mai 1949 verabschiedet. Am 12. Mai erfolgt die Zustimmung der Militärgouverneure, bevor zwischen dem 18. und 21. Mai die Landtage das Grundgesetz annehmen. In einer abschließenden Plenarsitzung am 23. Mai 1949 wird das Grundgesetz offiziell verkündet. Am 24. Mai um 0.00 Uhr tritt es schließlich in Kraft.

Die Rolle der CSU

Die CSU setzt sich während der Arbeiten des Parlamentarischen Rats für einen ausgeprägten Föderalismus ein und unterstützt dementsprechend auch das Memorandum der Militärgouverneure vom 2. März. Neben der KPD ist die CSU zudem die einzige Partei, die auf eine Teilnahme am interfraktionellen Siebenerausschuss verzichtet. Nachdem die föderalen Elemente zugunsten bundesstaatlicher Kompetenzen in einigen Bereichen beschnitten werden, beispielsweise steht der Bundesrat dem Parlament nicht gleichberechtigt gegenüber, sehen sich sechs von acht Vertreter der CSU bei der Verabschiedung des Grundgesetzes am 8. Mai „deshalb nicht in der Lage, dem Grundgesetz in der vorliegenden Fassung zuzustimmen“. In einer gemeinsamen, von Josef Schwalber verlesenen Erklärung führen sie neben den geschmälerten Befugnissen des Bundesrates u.a. das Finanzwesen an, das „eine eigene gesunde Finanzwirtschaft der Länder wohl nicht mehr ermöglicht“. Auch ein eindeutiges Bekenntnis „zu den Gedanken unserer christlichen Staatsauffassung“ wird vermisst. Dennoch betonen auch diese Abgeordneten der CSU, dass sie sich „trotz [ihrer] Einwände gegen dieses Grundgesetz dem neuen Staat und Gesamtdeutschland aus tiefstem Empfinden heraus verpflichtet fühlen“.  Darüber hinaus sind sie „einmütig in dem Willen, das gesamte deutsche Volk zu einer kraftvollen Einheit zusammenzufassen und sehen in der Bundesrepublik Deutschland einen Weg zur Erreichung dieses Ziels“. (Redemanuskript von Josef Schwalber, in: ACSP, NL Müller Josef : D 5)

Als einziges Parlament lehnt der Bayerische Landtag schließlich das Grundgesetz ab. Allerdings verständigt sich der Bayerische Landtag auf eine Klausel, laut der das Grundgesetz auch in Bayern gelten soll, falls zwei Drittel der anderen Landtage im westalliierten Besatzungsgebiet dieses annehmen, was letztlich auch geschieht.

Literatur

  • Feldkamp, Michael F.: Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Die Entstehung des Grundgesetzes, Göttingen 1998.
  • Ders.: Parlamentarischer Rat, publiziert am 28.06.2021; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Parlamentarischer_Rat (07.08.2023).
  • Lange, Erhard: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Der Parlamentarische Rat und das Grundgesetz, Heidelberg 1993.